© by Dr. Hilmar Alquiros, 2017 + 2022, The Philippines Impressum Datenschutzerklärung
老子 道 德 經
Lǎozĭ Dŕodéjīng
Übersetzung + Kommentar
Teil 1: Dŕo 1–37
Der WEG
Bronze – Zhou Dynasty (1122-221 BCE):
Seal – Qin-Han Dynasties (221 BCE-200 CE):
© Adrian Chan-Wyles, PhD, (ShiDaDao) 2014.
© Adrian Chan-Wyles, PhD, (ShiDaDao) 2014. http://icbi.weebly.com/etymology-of-the-ideogram-lsquodaorsquo.html
www.icbi.weebly.com/icbi-projects.html Qianfeng Daoism (UK) - Introduction Etymology of the Ideogram ‘Dao’
道 Etymologie = "Das Haupt in Bewegung; die Bewegung der Gedanken, welche mannigfaltig sind; durch das Leben reisen mit der Aufmerksamkeit für die Dualität der Einheit mit der Natur" [Nina Correa, p. 267].
Die Teile Dŕo und Dé sind in den Mǎwángduī-Texten insgesamt vertauscht: 1–37 folgen 38–81; außerdem erscheint Kap. 24 vor 22 und 23, Kap. 40 und 41 sind vertauscht und Kap. 80 und 81 nach 66 platziert.
01 - Der Mystische Weg
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
道可道,非常道。
dŕo kě dŕo ,fēi cháng dŕo 。
名可名,非常名。
míng kě míng ,fēi cháng míng 。
無名天地之始。
wú míng tiān dě zhī shǐ 。
有名萬物之母。
yǒu míng wŕn wů zhī mǔ 。
故常無欲以觀其妙。
gů cháng wú yů yǐ guān qí miŕo 。
常有欲以觀其徼。
cháng yǒu yů yǐ guān qí jiǎo 。
此兩者同出而異名﹐同謂之玄。
cǐ liǎng zhě tóng chū ér yě míng ﹐tóng wči zhī xuán 。
玄之又玄,眾妙之門。
xuán zhī yňu xuán ,zhňng miŕo zhī mén 。
Die Vernunft ...
"will auch Gott nicht, sofern er Gott ist.
Warum? Weil er da (als solcher noch) einen Namen hat..
Und gäbe es tausend Götter,
sie bricht immerfort hindurch,
sie will ihn dort, wo er keinen Namen hat:
sie will etwas Edleres, etwas Besseres
als Gott, sofern er (noch) Namen hat."
Meister Eckhart. Die deutschen Werke.
Herausgegeben und übersetzt von Josef Quindt,
W. Kohlhammer, Stuttgart, 1971.
Lǎozĭ nutzte die beiden Bedeutungen von Dŕo als Wortspiel um seinen "Agnostizismus" - hier als früheste Überwindung der Mythologie zugunsten einer reinen Philosophie! - einzuführen, der so früh nur mit dem Rigveda und mit Protagoras vergleichbar ist!
01-06:
Kann man Dŕo erklären,
ist es nicht jenes zeitlose Dŕo.
Kann man Begriffe begreifen,
sind es nicht jene zeitlosen Begriffe.
Unbegreiflich ist der Uranfang der Welt,
begreiflich nur als aller Dinge Ursprung.
Da „Dŕo“ eine bloße (Hilfs-)Bezeichnung für das Unergründliche ist, jenen zeitlos transzendenten Urgrund allen Seins und Nichtseins, kann es prinzipiell nicht erklärbar sein.
Entsprechend können begreifbare Begriffe nicht zeitlos für jenen unergründlichen Uranfang sein, denn dieser ultimative Uranfang des Seins aus dem Nichtsein und des Nichtseins aus dem transzendenten Nichts ist inintelligibel.
Die Seinsfrage („Warum ist Etwas und nicht etwa Nichts?“ – Leibniz et al.) bleibt zeitlos metaphysisch: das Unergründliche kann bloß als aller Seinsformen Ursprung (Abstraktionen, Dinge, Ereignisse, Lebewesen) gesetzt werden.
01-02 Erklären meint einordnen in Zeit und Raum, so machbar mit Phänomenen innerhalb unserer begrenzten Raumzeit. Außerhalb von Raum und Zeit, jenseits des Reiches der Realität, endet jeglicher Anspruch, etwas in den imaginären, unvorstellbar zeitlosen Abgrund des absoluten Nichts einzuordnen.
03-04 Dazu korrespondierend, wird innerhalb der subjektiven Welt des Bewusstseins das Prinzip des Benennens als Bezeichnen außer Kraft gesetzt. Begrifflichkeiten zur unvorstellbaren Transzendenz sind eitle Un-Wörter für die imaginäre Zeitlosigkeit; Bezeichnungen sind nur von Nutzen, seitdem das Nichts hervortrat in jegliche Seiendheit innerhalb der Raumzeit.
05-06 Die Zeit begann gleichzeitig als Projektion der Raumzeit, daher ist die Zeit Null verstandesmäßig nicht zu begreifen, sondern nur vorstellbar als Urmutter aller Dinge.
07-10:
Daher: Ohne ständiges Begehren
erschaue sein Geheimnis,
mit stetem Begehren
erschaue seine Begrenzungen.
07-10 Solange
unsere Bewusstheit von Begehrlichkeiten getrieben ist, nehmen wir Oberfläche und
Begrenzungen der Phänomene in der Welt des Diesseits wahr;
doch wenn unser Bewusstsein befreit ist von den Begehrlichkeiten, erschauen wir
und nehmen bewusst die Feinsinnigkeiten und das Geheimnis in der Tiefe wahr.
Sich an den Umriss der äußeren Welt halten lässt uns die Wunder des Seins
enthüllen, mit der inneren Welt der Kontemplation in Einklang stehen lässt uns
das Geheimnis des Nichts erhellen.
11-15:
Diese beiden erwachsen aus Einem,
doch unterschiedlich bezeichnet:
gemeinsam nenne sie tief und dunkel.
Der Tiefe immer Unergründlicheres –
aller Geheimnisse Pforte.
11-12 'Diese
beiden' wurden durch
die Jahrhunderte hindurch unterschiedlich interpretiert und bezogen,
als:
[ Sein & Nichts (Buddhismus),
[ Beginn & 'Mutter [Wáng Bě],
[ mit Begehren & ohne Begehren [et.al.],
[ Namensloses & Namen-Habendes [v. Strauß],
[ Geheimnis & Begrenzungen [h.a.],
all jene Gegensätze führen unterschiedliche Bezeichnungen, treten jedoch heraus aus dem gleichen Ursprung: der großen Einheit der Gegensätze.
13-15 Daher mag diese Einheit dunkel und unklar genannt werden, tiefgründig und verborgen, geheimnisvoll und mystisch.
Dunkel als obskur und schweigend, ließ den Anfang und jene 'Mutter' entstehen: von Lǎozĭ nicht 'definiert', sondern bloß 'bezeichnet' als das Dunkle:
"Das 'Dunkle' ... kann nicht bezeichnet werden als Sosein [und nichts anderes]. Sollte man es bezeichnen als Sosein [und nichts anderes], wäre es definitiv [sic!] nicht erlaubt, es als ein [spezifisches] Dunkles zu definieren.
Wenn man es definieren sollte als ein [spezifisches] Dunkles zu sein und nichts anderes, wäre dies eine Definition, und dies wäre weit gefehlt. Darum also sagt Lǎozĭ 'Dunkles und wiederum Dunkles'." [Wáng Bě / Wagner 2003 p. 122-123].
Das Dunkelste alles Dunklen – diese Farbe der Unendlichkeit; das letztmögliche Tor zum absoluten Nichts ... jenem schöpferischen Potential des transzendenten Dŕo.
[
02 - Die Einheit der Gegensätze
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
天下皆知美之為美,斯惡已;
tiān xiŕ jiē zhī měi zhī wéi měi ,sī č yǐ ;
皆知善之為善,斯不善已。
jiē zhī shŕn zhī wéi shŕn ,sī bú shŕn yǐ 。
故有無相生,難易相成,
gů yǒu wú xiŕng shēng ,nán yě xiŕng chéng ,
長短相形,高下相傾,
zhǎng duǎn xiŕng xíng ,gāo xiŕ xiŕng qīng ,
音聲相和,前後相隨。
yīn shēng xiŕng hé ,qián hňu xiŕng suí 。
是以聖人處無為之事,行不言之教。
shě yǐ shčng rén chů wú wéi zhī shě ,háng bú yán zhī jiāo 。
萬物作焉而不辭。生而不有,
wŕn wů zuň yān ér bú cí 。shēng ér bú yǒu ,
為而不恃,功成而弗居。
wéi ér bú shě ,gōng chéng ér fú jū 。
夫唯弗居,是以不去。
fū wéi fú jū ,shě yǐ bú qů 。
Dŕo als die Einheit aller Gegensätze wird letztgültig im uralten Yin-Yang-Symbol 太極圖 Tŕi jí tú symbolisiert: komplementär und dynamisch ineinander fließend [.
01-02:
Ist sich
weltweit jeder bewusst
des Schönen Wirkung als Schönheit,
dann ebenso des Hässlichen.
Ist sich
weltweit jeder bewusst
des Guten Wirkung als Güte,
dann ebenso des nicht Guten.
01-02 Dieses höchst grundlegende Naturgesetz zeigt seine Gültigkeit ebenso in den philosophischen Kategorien der Ästhetik und Ethik: jedes Menschenwesen wird gewahr, wie sich Schönheit und Güte in ihren intuitiven Unterscheidungen gleichzeitig und unausweichlich ihre eigenen Gegenteile Hässlichkeit und Übel erschaffen.
03-08:
Somit: Sein und Nichts
erzeugen einander,
Schwere und Leichtigkeit
vollenden einander,
Länge und Kürze
formen einander,
Hohes und Tiefes
neigen sich zueinander,
Ton und Stimme
harmonieren miteinander,
Zuvor und hernach
folgen einander!
03-08 Das
gleiche Urprinzip, Heraklits Enantiodromie – alles
fließt, wandelt und verwandelt sich umkehrbar in sein Gegenteil – beherrscht
das Universum der Realität einerseits und die Welt der Realitätswahrnehmung
andrerseits.
"Sich erfreuen und ärgerlich werden kommen [folglich] aus der gleichen Tür
heraus; daher ist es nicht
möglich [nur
eines von ihnen] einseitig
aufzugreifen.
Diese sechs [Paare, die aus dem Anfangsfestellung folgen] bringen alle den
klaren Beweis dafür hervor, dass nichts in 自然 'Dem-was-aus-sich-selbst-ist-was-es-ist' einseitig
aufgegriffen werden kann"
[Wáng Bě /
Wagner].
Von
Beginn an verwurzelt in der Dualität
von Sein und Nichts,
muss es ebenso wahr sein in den angewandten ontologischen Ebenen von Raum und
Zeit wie auch für das intellektuelle und emotionale Bewusstsein.
09-16:
Daher verbleiben
weise Menschen
in ihren Angelegenheiten ohne eingreifendes Handeln,
praktizieren die Lehre ohne Worte.
Alle Geschöpfe
entfalten sich da,
doch lassen nicht nach;
sie treten hervor,
doch nicht besitzergreifend;
sie bewirken,
doch nicht darauf pochend.
Sie vollbringen Aufgaben,
doch verweilen nicht dabei:
denn gerade nicht
dabei verweilend,
so entschwinden sie nicht.
09-10 Das fundamentale
Dŕoistische
Konzept des 無為 wú
wéi als müheloses
Handeln basiert
auf dem Prinzip des 自然 zě
rán "von
selbst so", somit "natürlicherweise;
spontan": im individuellen Leben ebenso wie im Leiten eines Staates.
Konsequenterweise bedeutet das Praktizieren des Dŕo so
wenig wie möglich einzugreifen:
in die Harmonie der Natur und ihrer intrinsischen, immanenten Kraft der
Selbstregulierung.
Keinerlei absichtsvolle Einmischung wird Schaden verhüten:
mühelos, zweifellos, elegant – wie
es auch wortloses Lehren als unmerkliches Vorbild zu tun vermag.
11-13 Demzufolge
lassen absichtslose Unparteilichkeit und Nichteingreifen des Weisen die
Mannigfaltigkeit der Wesen unaufhörlich entfalten.
Lehrer ohne Worte erscheinen um zu fördern, nicht zu besitzen; ihr Handeln ohne
zu handeln wird niemals irgendwelche Verdienste beanspruchen.
14-16 "Es
ist genau darum, dass sie sich nicht [mit diesen besonderen Leistungen]
aufspielen, dass sie nicht entschwinden." [*]:
nur vom Weisen abhängig könnten sie nicht fortdauern.
Aufgrund ihrer selbstlosen Einstellung erfüllen sie ihre Aufgaben, doch niemals
verweilen sie dabei.
Und gerade, da sie sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, werden sie nicht in
Vergessenheit geraten!
[
03 - Schlichtheit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
不尚賢, 使民不爭。
bú shŕng xián , shǐ mín bú zhēng 。
不貴難得之貨,使民不為盜。
bú guě nán dé zhī huň ,shǐ mín bú wéi dŕo 。
不見可欲,使民心不亂。
bú jiŕn kě yů ,shǐ mín xīn bú luŕn 。
是以聖人之治,虛其心,
shě yǐ shčng rén zhī zhě ,xū qí xīn ,
實其腹,弱其志,強其骨;
shí qí fů ,ruň qí zhě ,qiáng qí gǔ ;
常使民無知、無欲,
cháng shǐ mín wú zhī 、wú yů ,
使夫智者不敢為也。
shǐ fū zhě zhě bú gǎn wéi yě 。
為無為,則無不治。
wéi wú wéi ,zé wú bú zhě 。
[ Die daoistischen Grundprinzipien gelten universell: gleichermaßen für unbelebte wie belebte Systeme, einfache und komplexe Lebensformen, seelenlose und beseelte Wesen, und für Individuum und Gesellschaft.
[ Um
die Überführung der daoistischen Einsichten auf die ebene des weisen Herrschers
vorzubereiten, legt Laozi die wesentlichen Fallen für das menschliche Herz
offen: Begehrlichkeit und Habsucht.
01-06:
Tüchtige nicht verherrlichen
lässt Menschen nicht wettstreiten.
Schwer zu erlangende Güter nicht überschätzen
lässt das Volk keinen Raub begehen.
Begehrenswertes nicht präsentieren
lässt der Leute Herz unverwirrt.
01-02 Auf
andere Leute bezogen, führt dies - als Neid und Eifersucht, oder verkleidet als
Bewundern und Verherrlichen – zu
Wettbewerb und zum Abhandenkommen des Dritten der Drei
Schätze in Kap.
67.
Die Tüchtigen und Ehrenwerten nicht zu erhöhen und verherrlichen vermeidet die
Abwärtsspirale des Wettkampfs.
03-06 Bezogen auf Gegenstände verleitet Rarität zur Räuberei (Kap. 53); weise Menschen verstecken ihre Schätze (Kap 70), weise Führer Wohlstand und Waffen.
07-11:
Daher wird des Weisen Regieren ...
ihre Begehrlichkeiten lindern,
ihre Bedürfnisse befriedigen,
ihren Ehrgeiz dämpfen,
ihre Mitte stärken.
07-11 Daher
meiden weise Herrscher als Vorbilder Übersteigerung, Übertreibung, Übermaß (Kap.
29),
um die Begehrlichkeiten des Volkes zu dämpfen und ihr Herz [ihren Ehrgeiz]
zu lindern, jedoch den Kern von Leib und Seele zu stärken und ihre Innere Kraft
zu fördern.
"Er leert [das was] Wissen* hat
[the heart] und füllt [das was] kein Wissen hat [the belly]. Knochen sind ohne
Ambition und daher stark. Ehrgeiz schafft Vorfälle und führt daher zum Chaos.
[Auf diese Weise] veranlasst er andauernd das Volk, ohne Wissen und
Begehrlichkeiten zu sein." [*
Wáng Bě / Wagner].
* "'Jene,
die Wissen haben' bezieht sich auf jene, die Wissen haben über [wie zu] handeln.
Wenn [sie] das Nicht-Eingreifen betreiben, wird es nichts geben, das nicht
wohlgeordnet ist. [Dito für jene, die Begehrlichkeiten haben." [*].
12-15:
Beständig
belassen sie das Volk
ohne Schläue und Begehrlichkeiten,
und jene mit Schläue
lassen sie nicht wagen einzugreifen.
Handeln ohne einzugreifen
lässt alsdann nichts unerledigt.
12-13 Wettkampf
gebiert Schläue – weise
Führer verhüten allemal derlei Fehlnutzung reinen Wissens.
Sie lassen es die Überlegenen nicht wagen, die Unterlegenen zu missbrauchen – durch
den Eingriff in die spontane Selbstregulierung sozialer Systeme.
14-15 Nicht-Eingreifen meint handeln ohne zu handeln: verständige Herrscher vertrauen in das grundlegende daoistische Konzept des 無為 wú wéi (Kap. 02) als mühelosen Weg, nichts ungetan zu lassen.
[
04 - Unergründlichkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
道沖而用之或不盈。
dŕo chňng ér yňng zhī huň bú yíng 。
淵兮似萬物之宗。
yuān xī sě wŕn wů zhī zōng 。
挫其銳解其紛,和其光,
cuň qí ruě jiě qí fēn ,hé qí guāng ,
同其塵,湛兮似或存。
tóng qí chén ,zhŕn xī sě huň cún 。
吾不知誰之子,象帝之先。
wú bú zhī shuí zhī zǐ ,xiŕng dě zhī xiān 。
[ "Dŕo wird als eine paradoxe Polarität beschrieben: Es steht für die Leere unendlicher Potenzialität." [Simon].
[ Der transzendente Anteil des Dŕo jenseits der Singularitätsgrenze, das Nichts, bedeutet gleich-"zeitig" die letztgültige Potenzialität.
01-04:
Dŕo: wie sich ergießend, doch im Gebrauch
wohl nicht zu füllen.
Abgründig tief, oh,
anscheinend aller Wesen Urgrund.
01-02 Wie
das Vakuum innerhalb des existierenden Universums bereits ein Füllhorn ist an
virtuellen kürzestzeitigen Seienden, umso mehr ist die schöpferische Leere im
imaginären Reich des Nichts unendlich überfließend.
Doch ist diese formlose Leerheit niemals zu "füllen" oder zu erschöpfen - sich
weise sehnend nach "zeit-weisem" Sein.
03-04 Der
ursprüngliche Symmetriebruch der großen Einheit von Sein und Nicht-Sein trat
hervor aus reinster Potentialität.
Anscheinend abgründig unbegreiflich in seiner Tiefgründigkeit, wird der Urgrund
allen Seins von all den Geschöpfen als ältester Ahnherr bezeichnet: sich
"zeit-weise" sehnend nach zeitlosem Nicht-Sein.
05-08:
Es mildert ihre Schärfe,
entwirrt ihre Verwicklung,
mildert ihren Glanz, und
wird eins mit ihrem Staub.
05-08 Entlehnt von Kap. 56:
[ wird der ausgleichende und erlösende Wesenszug des Dŕo - nun in seinem immanenten Anteil - in vier Veranschaulichungen erläutert.
[ Schärfe, Verwicklung, Glanz und Nicht-Einssein werden mittels der Sanftheit des Dŕo erleichtert: peu ŕ peu zur ursprünglich ungebrochenen Symmetrie hin.
[ Am
Ende des Tages aller Tage werden alle Geschöpfe befreit in das Einssein mit
ihrem irdischen Staub, alle Dinge mit ihrem Sternenstaub.
Diese
Identifikation des Dŕo sogar mit dem Staub der Geschöpfe wurde als ähnlich
vermerkt mit der christlichen Idee einer Synthese von Schöpfer und Geschöpf. [v.
Strauß 1870 p. 25].
09-12:
Verborgen, oh,
es scheint zu 'existieren' als bloße Möglichkeit.
Wessen Kind? Ich weiß es nicht:
offenbar des Himmelsherrn Vorspiel!
09-10 Die Potentialität des Nichts träumt bereits von der Möglichkeit von Etwas.
11-12 Im Dŕodéjīng, 帝 dě, der
'Herr (des Himmels)', wird nur hier erwähnt:
sogar dieser einst höchste Gott wird reduziert durch Dŕo als seinen Vorläufer!
Das Kind sucht nach seiner Herkunft: agnostische Ehrlichkeit verehrt das
namenlose, 'zeit-lose', unbegreifliche Dŕo, das himmlische Vorspiel zu
allen 'erschaffenen' (erdachten) Schöpfern.
[
05 - Schöpferische Leere
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
天地不仁,以萬物為芻狗。
tiān dě bú rén ,yǐ wŕn wů wéi zōu gǒu 。
聖人不仁,以百姓為芻狗。
shčng rén bú rén ,yǐ bǎi xěng wéi zōu gǒu 。
天地之間,其猶橐籥乎﹖
tiān dě zhī jiān ,qí yóu tuó yŕo hū ﹖
虛而不屈,動而愈出。
xū ér bú qū ,dňng ér yů chū 。
多言數窮,不如守中。
duō yán shů qióng ,bú rú shǒu zhōng 。
Die
"Menschenfreundlichkeit" (仁 des
Konfuzius (孔夫子 Kǒng fū zǐ)
als Regel zur Sozialverträglichkeit, ist anthropozentrisch, daher
voreingenommen und nicht so universell wie das ŕ.
Mutter
Natur operiert oberhalb allen menschlichen Anspruchs auf Einzigartigkeit.
01-04:
Himmel und Erde sind nicht 'menschlich' –
denn alle Geschöpfe
werden betrachtet
wie Opferhunde aus Stroh.
Auch Weise Herrscher sind nicht 'menschlich' –
denn alle Menschen
werden ähnlich betrachtet
wie Opferhunde aus Stroh.
01-04 Am
Ende ihrer Tage ... wird die zeitweilige Existenz aller Kreaturen geopfert wie
rituelle Strohhunde (kostbar
geschmückt, dann achtlos weggeworfen) – für
die höhere Idee der Evolution: unvoreingenommen, unparteiisch (Kap.
79)
'allen Dingen' gegenüber, insofern nicht "menschenfreundlich".
Mit "...
Mitleid und Eingreifen würden die Wesen nicht in ihrer Gesamtheit bestehen
bleiben [da dieses Mitleid und das Eingreifen parteiisch wäre und einige
gegenüber anderen bevorzugen würde]. Wenn die Wesen nicht in ihrer Gesamtheit
bestehen bleiben, dann würden [Himmel und Erde] darin versagen, vollständig für
[alle Wesen] zu sorgen." [Wáng
Bě / Wagner].
Weise leben das ŕals
Dé,
bevor beides an die "Menschlichkeit" verloren ging (Kap
18, 38),
sie verkörpern so die universelle Integrität des ŕt
05-08:
Himmel und Erde – ihr Zwischenraum
gleicht einem Blasebalg:
Leer, und doch nicht zusammenfallend:
umso schöpferischer in Bewegung.
Blasebalg oder
'Trommel oder Flöte': "...Trommel und Flöte sind leer und hohl. [Die Flöte]
besitzt keine Gefühle [von sich selbst, einen Klange vor dem anderen zu
bevorzugen]. [Die Trommel] zeigt keine Aktivität [von
sich selbst, diese Resonanz eher als eine andere zu erzeugen]."
Beide, Trommel und Flöte, sind unerschöpflich, und so ist der Raum zwischen
Himmel und Erde unerschöpflich;
sich an die Mitte haltend, "legen sie ihre Selbste ab und stellen sich in den
Dienst anderer Wesenheiten, so dass es keine gibt, die nicht wohlbestellt ist." [*].
Das Sein entstand aus dem Nichts (Kap. 40), jener ausschweifenden, kreativen Leere.
05-08 [Scholie].
Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde ... [Hamlet
I, 5] aufgrund
der unerschöpflichen Antriebskraft des leeren Raums zwischen den beiden:
schöpferisch hin- und herpendelnd, doch niemals zusammenfallend – im
Schmieden unserer Geschicke.
Einmal in Bewegung, wird das Perpetuum mobile des ŕ,
symbolisiert im Blasebalg der Natur, alle Wesen fortdauernd hegen und pflegen.
09-10:
Viele Worte erschöpfen sich häufig:
nicht gerade, als bewahrte man seine Mitte.
Spruchweisheit in Reimform:
窮 qióng + 中 zhōng, erinnernd an Wittgenstein's "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." [German original, 1921].
09-10 Von
der Selbstbegrenzung der Oberfläche zur Tiefe der Versenkung (Kap.
1)
muss das Netzwerk der Worte gegen den Klang der Stille eingetauscht werden, die
Ratlosigkeit des Randbereichs gegen die Geborgenheit der Mitte.
Lass los und finde.
[
06 - Das Mystisch-Weibliche
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
谷神不死是謂玄牝。
gǔ shén bú sǐ shě wči xuán pěn 。
玄牝之門是謂天地根。
xuán pěn zhī mén shě wči tiān dě gēn 。
綿綿若存,用之不勤。
mián mián ruň cún ,yňng zhī bú qín 。
[ Von 列子 Ličzǐ (~ 440-360) als gereimte Lehrsprüche vor (aa bbbb) Lǎozĭ erwähnt, als auf den 'Gelben Kaiser' zurückgehend.
[ Alternative Deutung: lebensverlängernde Atemtechniken breathing durch 河上公 Héshŕng Gōng – verlacht von 庄子 Zhuāngzǐ (~ 365-290) in ch. XV.
01-06:
Unsterblich ist der Geist des Tals:
genannt das dunkle Weibliche ...
Des mystisch Weiblichen Pforte,
genannt aller Welt Uranfang:
ungreifbar, ist er doch offensichtlich da –
unerschöpflich sein Nutzen.
01 "Der
'Geist des Tals' ist das Nicht-Tal in der Mitte des Tals" [王弼
Wáng Bě / Wagner,
2000, 210].
Der Geist (ch.
29)
des Tals (ch.
39.04-05) ist
form- und bewegungslos, passiv-niedrig (ch.
66, 32; 28) – als
die leere Mitte, umgeben von Fülle (ch.
11, 5), gelassen
als höchstes Wesen.
Diese Yin-Perspektive des ŕFlussbett,
das unaufhörlich ausfließt, und dessen Strömung
ins Dasein nie
versiegen wird.
02 Genannt (謂), nicht definiert (名) als geheimnisvoll, dunkel (~Himmel) und weiblich (~Erde): das transzendente, namenlose, ŕ
03-04 Diese mystische Tor des Weiblichen (ch. 1) – zwischen Ursprung und Mutter, schenkt Leben an Yin und Yang als der Grundlage aller Wesen, auch Wurzel genannt (Quelle und Urgrund, ch. 16) von Himmel und Erde.
05-06 Unfassbar: ŕist
immateriell und unbegreiflich... wie
ein (nicht
enden wollender) Seidenfaden, wünscht
man, dass es da sei, zeigt es nicht seine Form, wünscht man, dass es nicht da
sein, werden doch alle Wesen durch es entstehen.
Unerschöpflich:
kein Wesen, das nicht durch ŕvollendet
wird, doch im Gebrauch schenkt dasŕstets
mühelos.
[
07 - Unvergängliche Selbstlosigkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
天長地久。
tiān zhǎng dě jiǔ 。
天地所以能長且久者,
tiān dě suǒ yǐ néng zhǎng qiě jiǔ zhě ,
以其不自生,故能長生。
yǐ qí bú zě shēng ,gů néng zhǎng shēng 。
是以聖人後其身而身先,
shě yǐ shčng rén hňu qí shēn ér shēn xiān ,
外其身而身存。
wŕi qí shēn ér shēn cún 。
非以其無私邪!故能成其私
fēi yǐ qí wú sī xié !gů néng chéng qí sī
Nur das ŕ
01-04:
Der Himmel scheint ewig,
die Erde dauerhaft.
Dadurch vermögen
Himmel und Erde
so beständig und von Dauer sein:
weil sie nicht für sich selbst leben,
daher können sie beständig bestehen.
01 "Der
Himmel 'überragt', Die Erde dauert an ... Sollten
sie für ihre eigenen Interessen leben, sie würden mit [anderen] Wesen ringen. Da
sie nicht für ihre eigenen Interessen leben, führen sich die [anderen] Wesen auf
sie zurück." [王弼
Wáng Bě / Wagner].
Nachdem
das Tor zum Nicht-Nichts passiert war, ist daherŕ
02 Noch
immer dem Geist des ŕfolgend,
besitzt die Welt die Kapazität (Dé),
beständig und langanhaltend zu sein.
Dabei gehorchen Himmel und Erde den Naturgesetzen,
welche wiederum dem Vorbild des ŕfolgen
und dessen Zeitlosigkeit berühren.
03-04 ŕ (Kap.
2, 34).
Entsprechend folgen Himmel und Erde keinerlei eigenen
Absichten, sie "leben" nicht sich selbst wegen, daher sind sie in der Lage,
fortzudauern und "langlebig" genannt zu werden.
05-10:
Darum: Weise Menschen
stellen ihr
Selbst hintan
und gehen doch selbst voraus,
entäußern sich ihrer eigenen Person –
und doch bleibt ihre Person bewahrt.
Nicht wahr: weil
sie keine Eigeninteressen vertreten,
darum können sie
ihre persönlichen Ziele erfüllen.
05-08 Weise streben dem uneigennützigen, unparteiischen und unvoreingenommenen Weg der Natur nach.
Entsprechend setzen sie ihr Selbst hintan, sie berücksichtigen ihre Eigenbelange nicht und entäußern sich ihrer eigenen Person.
Dennoch führt die "mütterliche" Paradoxie des ŕ in seinem Handeln ohne zu handeln
09-10rhetorische Frage zielt auf ziellose Selbstvergessenheit als entscheidendem Wesenszug der Weisen.
Schlussendlich hebt er just diese Eigenschaft als wesentlich dabei hervor, ihre Eigeninteressen paradoxerweise doch vollenden und ihre persönlichen Ziele bewältigen zu lassen.
V. Strauß vergleicht dies mit "So werden die Letzten Erste und die Ersten Letzte sein." [Matthäus, 20:16] und "Denn wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden." [Matthäus 23:12], in Nietzsche's Version: "Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden."
[
08 - Konkurrenzlose Anpassungsfähigkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
上善若水。
shŕng shŕn ruň shuǐ 。
水善利萬物而不爭,
shuǐ shŕn lě wŕn wů ér bú zhēng ,
處眾人之所惡,故幾於道。
chů zhňng rén zhī suǒ č ,gů jǐ yú dŕo 。
居善地,心善淵與善仁,
jū shŕn dě ,xīn shŕn yuān yǔ shŕn rén ,
言善信,正善治,
yán shŕn xěn ,zhčng shŕn zhě ,
事善能,動善時。
shě shŕn néng ,dňng shŕn shí 。
夫唯不爭,故無尤
fū wéi bú zhēng ,gů wú yóu
Dŕo - Der Lauf des Wassers. [A. Watts].
01-05:
Höchste Güte gleicht dem Wasser:
seine Güte nützt allen Wesen –
und doch ohne Wettstreit.
Es weilt an Orten, die jeder
verachtet –
daher nahe zum Dŕo.
01 Die höchste Güte und auch
Weise, die oberste Güte erreicht haben, werden symbolisiert durch Wasser: seine
Nachgiebigkeit und Anpassungsfähigkeit, seine Bereitwilligkeit und
Selbstlosigkeit.
"Die
anderen verabscheuen niedrige [Positionen]" ... Wasser ist "nahezu wie", nicht
identisch mit dem Weg, weil es eine Wesenheit darstellt.
[*王弼
Wáng Bě / Wagner].
'Nahe'
meint hier beides: 'ähnlich' und 'nahebei', möglicherweise mit Absicht des Alten
Meisters.
[v.
Strauß 1870 p. 39].
02-03 Wie
Wasser lebenswichtig ist für die Myriaden von Lebensformen, bedeutet
unauffällige und unaufdringliche Güte zu allen Untertanen die ethische Essenz
weiser Herrscher.
Unveräußerlich für
beide, Wasser wie Wegweisung, ist der innewohnende Kern der Kooperation: stetes
Begegnen, nie im Wettstreit.
04-05 Unumgänglich
auch, für das Symbol des Wassers wie für die oberste Güte unparteiischen
Leitens, muss die unbeschränkte Bereitschaft und Verfügbarkeit sein, überallhin
zu fließen: auch und gerade in die niedrigsten, unansehnlichsten Orte, die
jedweder Geist des Wettbewerbs verschmähen würde.
Dies ist der Weg ... Nähe zum ŕzu
erlangen.
06-12:
Güte:
Im Wohnen – niedere
Orte,
in Herzensangelegenheiten – Tiefe,
im Geben – Mitmenschlichkeit,
im Gespräch – Aufrichtigkeit,
im Verwalten – Ordnung,
bei Geschäften – Kompetenz,
bei Handlungen – Zeitgefühl.
Die
Güte der Weisen folgt dem Lauf des Wassers.
Philosophische Grundlegung und allgemeine Prinzipien der Güte – als
unbegrenztes Fließen und allwaltendes Herrschen nahe am ŕ!
– sollen nun wie folgt mittels sieben praktischer beleuchtet
werden
06-12 Güte:
[ Rechtes Wohnen scheut keine niedrigen Orte; weise Anführer leben in Niederungen und begründen dabei ihre innere Hoheit.
[ Dem bescheidenen Herzen schenkt die Güte Tiefe, dem besonnenen Denken Tiefgründigkeit.
[ Rechtes Geben ist entgegenkommend, insofern mitmenschlich auf Augenhöhe.
[ Die Güte eines Gesprächs beruht darauf, aufrichtig und ehrlich zu sein.
[ Gutes Verwalten erfolgt auf lautlose Weise: Regulierung ohne Reglementierung.
[ Gutes Geschäftsgebahren basiert auf ehrlicher Kompetenz und erlesener Expertise.
[ Format im Handeln erfordert Rechtzeitigkeit, spontanes Ingangsetzen basiert auf gutem Zeitgefühl.
13-14:
Denn nur ohne Wettstreit
folgt dann kein Groll.
13-14 Die Regel aller Regeln, nicht in Wettstreit zu treten, ist unabdingbar:
[ Zusammenspiel statt Wettbewerb,
[ Aufgeschlossenheit statt Ungleichbehandlung
[ Gemeinwohl vor individueller Begünstigung
"Dies
meint, dass Wasser in allen Eigenschaften diesem Weg entspricht." [*].
Sie
stellen den geistigen Rahmen für ein Reich
ohne Ranküne dar,
für einen Rückzugsort
ohne Resentiment.
[
09 - Loslassen
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
持而盈之不如其己;
chí ér yíng zhī bú rú qí jǐ ;
揣而銳之不可長保;
chuāi ér ruě zhī bú kě zhǎng bǎo ;
金玉滿堂莫之能守;
jīn yů mǎn táng mň zhī néng shǒu ;
富貴而驕,自遺其咎。
fů guě ér jiāo ,zě yí qí jiů 。
功遂身退,天之道。
gōng suí shēn tuě ,tiān zhī dŕo 。
Angesichts des zyklischen Tanzes der Yin-Yang-Dualität in aller Natur stellen die Versuche der Menschen, Mittel und Wege zu maximieren, kurzlebige Episoden dar, die zum Scheitern verurteilt sind.
01-04:
Etwas erhalten und zugleich übersteigern –
nicht so gut wie es belassen.
Zugleich polieren und schärfen –
vermag nicht lange zu beschützen!
01-02 Ein
Gefäß beidhändig zu ergreifen und gleichzeitig bis zum Rand zu füllen, etwas
bewahren und übertreiben, gebrauchen
und zugleich überspannen – lass'
es besser sein.
"
'Aufrechterhalten' bezieht sich auf [was in Laozi
38 heißt]
'nicht loslassen aus Erhalt / Kapazität.' Falls
[er] bereits loslässt aus seiner Kapazität, aber noch immer hinzufügt,
[resultiert dies in] einer Situation, wo es eine unvermeidbare Gefahr gibt,
gestürzt zu werden." [*王弼
Wáng Bě / Wagner].
03-04 Eine
Klinge polieren und gleichzeitig schärfen,
ein zweischneidiges Schwert härten und zugleich
überschärfen – der
Pfad der Perfektion wird nicht lange beschützen.
"Wenn jemand bereits die Spitze [eines Schwertes] poliert hat, derart, dass sie
gespitzt wird, und schleift sie darüberhinaus, so dass sie scharf werde,
[entsteht] eine Situation, in welcher es unvermeidlich ist, dass man eine
Niederlage erleidet." [*].
05-08:
Mit Gold- und Jade gefüllte Paläste
kann niemand bewachen.
Reich und geehrt, doch hochmütig –
sich selbst seinem Unglück auszuliefern.
Nach einiger nützlichen Ausstattung in Krieg und Frieden werden nun Reichtum und Ruhm verdeutlicht:
05-06 Stelle niemals deine Schätze zur Schau: die Kostbarkeiten in den Palästen können nicht für lange Zeit bewahrt werden ... nicht so gut wie nichts zu haben.
07-08 Auch
rühme dich nie deiner Verdienste: wie
Wohlstand, sind auch Ruhm und Ehre häufig
mit hochnäsiger Arroganz verknüpft.
Dies wird Unheil und Verhängnis über dich bringen – Hochmut
kommt vor dem Fall.
09-10:
Sich zurückziehen nach vollbrachter Tat:
der Weg der Natur.
Dŕo als Mutter aller Dinge ist auch Methode, Ablauf und Verfahren – als Weg des Himmels, als Weg der Natur.
09-10 Wenn die Aufgabe bewerkstelligt, das Werk vollendet ist ...
[ zeigt der Weg des Dŕo einem weisen Herrscher, wie man sich hernach zurückzieht: das Dŕo kehrt zurück in seinen unsichtbaren Ursprung.
[ "Die vier Jahreszeiten wechseln, wenn die Ausgabe [von einer von ihnen] efüllt ist, gibt es eine Veränderung [zur nächsten]." [*].
[ Auch Weise und ebenso kluge Anführer kehren zurück zu ihrem Ausgangspunkt – und zur nächsten Phase im immerwährenden Zyklus.
[
10 - Reinheit und Anspruchslosigkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
載營魄抱一,能無離乎﹖
zǎi yíng pň bŕo yī ,néng wú lí hū ﹖
專氣致柔,能如嬰兒乎﹖
zhuān qě zhě róu ,néng rú yīng ér hū ﹖
滌除玄覽,能無疵乎﹖
dí chú xuán lǎn ,néng wú cī hū ﹖
愛國治民,能無為乎﹖
ŕi guó zhě mín ,néng wú wéi hū ﹖
天門開闔,能為雌乎﹖
tiān mén kāi hé ,néng wéi cí hū ﹖
明白四達,能無知乎。
míng bái sě dá ,néng wú zhī hū 。
生之,畜之,生而不有;
shēng zhī ,chů zhī ,shēng ér bú yǒu ;
為而不恃;長而不宰,
wéi ér bú shě ;zhǎng ér bú zǎi ,
是謂玄德。
shě wči xuán dé 。
Die Festellungen "!" / Fragen "?" in 01-12, die ein "ja" erheischen, wurden Dŕoistische Hymne [Arthur Waley] oder Katechismus [Ernst Schwarz] genannt.
01-06:
Bewahre Geist und Seele, belasse ihre Einheit,
kannst du wohl ungespalten sein?
Bündele Lebenskraft, erreiche Nachgiebigkeit,
kannst du wie ein neugeborenes Kind sein?
Vertreibe finstere Visionen,
kannst du gewiss ohne Makel sein?
Die Zeilen 01-06 zielen ab auf individuelle Selbst-Vervollkommnung:
01-02 Das
allgemeine dŕoistische Prinzip "Einheit der Gegensätze" wird hier auf die "Sprituelle Seele des Yang (Atmen/Übungen,
Bewusstsein) und die Körperliche Seele des Yin (Blut/Kreislauf,
Wahrnehmung) angewandt –
und darauf, wie beide Kräfte kombiniert werden können zum ungeteilten Einssein,
dem Fließen des Dŕo,
das in Dé lebt.
Lǎozĭ scheint folglich 營 yǐng die “Spirituelle
Seele” und 魄 bō die "Sterbliche Seele",
welche dem Körper anhaftet, ähnlich zu
unterscheiden wie Aristoteles' ψυχή und νοῦς [v.
Strauß 1870 p. 46].
03-04 Die Konzentration auf das 氣 Qě (Kap. 42), als Liaison beider Seelenformen, lässt die notwendige Nachgiebigkeit und Geschmeidigkeit eines Neugeborenen erreichen (Kap 10, 28, 41), sie bewahrt die Fülle seiner Inneren Kraft (Kap. 55), mit Anklängen an die Upanishaden ("The Brahmane sollte das Lernen verlassen und wie ein Kind werden."), und später 耶穌 Yē sū.
05-06 Den inneren Bewusstseinsspiegel makellos von dunklen Visionen zu reinigen, kann erreicht werden: durch frei sein von Begehrlichkeiten (Kap. 1), durch Erschauen der Segen des Nichts (Kap. 11, 14, 48), klären des Trüben mittels Behutsamkeit der Stille und Gelassenheit zu schaffen durch die Behutsamkeit fortdauernder Bewegung (Kap. 15).
07-12:
Das Volk lieben, das Land leiten:
vermagst du das gewiss ohne Taktieren?
Wie Himmelspforten sich öffnen, schließen –
kannst du wohl so weiblich-passiv handeln?
Ein allumfassendes Verständnis erlangen:
vermagst du das freilich ohne Gerissenheit?
Die
Zeilen 07-12
zielen auf überindividuelle Schlussfolgerungen, hauptsächlich auf den
Herrscher des Staates:
07-08 Werden
die obengenannten individuellen ethischen Qualitäten in Geist und Seele des
Herrschers vertreten, wird
er durch uneigennützige Liebe 愛 ŕi zum
Volk anführen, durch
nicht-eingreifendes Handeln ohne Schläue,
Leiten ohne List.
09-10 Laut
einem dunklen Schöpfungsmythos [Wilhelm,
1910; Trauzettel, 1999], verwandeln die Himmelspforten Dŕo's
transzendenten Zustand des Nichts in alle Dinge mittels ständigem Öffnen und
Schließen "als Phasen von Ordnung und Chaos, mit tiefgreifender
Wirkung auf alle unter dem Himmel". [Wáng
Bě 王弼].
Später
wählte der Religiöse Daoismus die alternative, konkrete Bedeutung Nasenlöcher,
um ihre Atemtechniken zu unterstreichen.
Alle Veränderungen und Wirkungen der Himmelspforten
werden auf weibliche Art vollzogen, nicht anführend, sondern sich spontan
anpassend: wie ein Huhn reaktiv für alle sorgt,
jedoch nicht anführend oder aktiv eingreifend. So wird auch ein Herrscher,
diesem weiblichen Prinzip folgend, sich der Untertanen erfreuen, die ihm aus
eigenen Stücken folgen.
11-12 Ein
Anführer vermag ein tiefes und umfassendes Verständnis zu erlangen, ohne Trug
und Täuschung, ohne List oder politische Gerissenheit, da er kein persönliches
Interesse besitzt.
Vgl. Kap.
37:
"Das Ewige des Weges ist ohne Eingreifen. ... Wenn Herzöge und Könige nur fähig
wären, daran festzuhalten [am Ewigen des Weges], die zehntausend Arten von Wesen
würden sich aus sich selbst heraus [vorteilhaft] verändern." [*].
13-17:
Hervorbringen und hegen;
erschaffen, doch nicht besitzen;
bewirken, doch nicht darauf bauen;
anführen, doch nicht anordnen –
dies heißt tiefe Innere Kraft.
13-17 Dé, Vergegenständlichung des Dŕo als Innere Kraft, oder "subjektive Verobjektivierung"(!), umschließt Erzeugen und Pflegen von Aspekten des Dŕo:
[ der Natur (erschaffen, nicht besitzen),
[ des Menschen (bewirken, nicht darauf bauen),
[ der Erde (anführen, nicht anordnen).
Nach 13 "Hervorbringen und hegen" identisch mit Kap. 51, 15-18!
[
11 - Schöpferisches Nichts
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
三十幅共一轂,
sān shí fú gňng yī gū ,
當其無,有車之用。
dāng qí wú ,yǒu chē zhī yňng 。
埏埴以為器,
shān zhí yǐ wéi qě ,
當其無,有器之用。
dāng qí wú ,yǒu qě zhī yňng 。
鑿戶牖以為室,
záo hů yǒu yǐ wéi shě ,
當其無,有室之用。
dāng qí wú ,yǒu shě zhī yňng 。
故有之以為利,
gů yǒu zhī yǐ wéi lě ,
無之以為用。
wú zhī yǐ wéi yňng 。
Im westlichen Denken tendiert das Sein dazu, das Nicht-Sein zu dominieren: in naiver Wahrnehmung als ontologisches Grundgestein, Nicht-Sein als bloße Abwesenheit – als Platzhalter ... mit Anklängen an Democrits Atom und Leere.
無 wú und 有 yǒu im Chinesischen Denken sind gleichberechtigt, sind komplementäre "Zwillingsgeschwister", Gegenwart von Etwas und von Nichts (Kap. 02, 04, 05, 14, 40, 43).
01-02:
Dreißig Speichen treffen sich in einer Nabe:
gerade
deren Nicht-Sein
ist des Wagens
Brauchbarkeit.
01-02 Das
erste der drei von Lǎozĭ klug
gewählten Gleichnisse vergleicht die dreißig (= Tage eines Monats) Speichen,
welche auf die einzige Nabe im Zentrum ausgerichtet sind und es sich teilen:
Materie wandelt sich zu Form, Form wird Wesen und Zweck, verdichtet zu Nichts
als bedeutungsvolle und nützliche Leere.
03-04:
Knete Ton, entsprechend forme ein Gefäß:
Genauso ist
dessen Nicht-Sein
des Gefäßes Brauchbarkeit.
03-04 Das
zweite Beispiel eines unbrauchbaren Lehmklumpen, der zu einem nützlichen Gefäß
geformt wird, ist so grundlegend wie frappierend: nur Leere kann gefüllt und
erfüllt werden!
Heidegger benutzte
in "Das
Ding" Lǎozĭs
Parabel, merkwürdigerweise ohne Erwähnung der Quelle,
obschon er die Bewunderung für diese letztmögliche Tiefgründigkeit nicht
verbarg.
Tatsächlich ist die Dinglichkeit seines Kruges die Leere darin: die
Leere formen heißt den Krug zu formen. "Die
Leere, dieses Nichts am Krug, ist das, was der Krug als das fassende Gefäß ist." [Technikphilosophie,
2. Vorl.].
05-06:
Stemme
Fenster und Türen
aus,
entsprechend bilde Wohnraum:
Ebenso ist sein Nicht-Sein
des Raumes Verwendbarkeit.
05-06 Die dritte Verdeutlichung, von Fenstern und Türen in einem Haus, betont wiederum die Yin-Funktion des Nichts in der Yang-Grundlage des Seins.
Keine Fenster – kein Licht, kein Leben. Keine Türen – ein Gefängnis, ein Grab. Das Nichts schenkt und wahrt Leben.
07-08:
Daher: Das Sein bewirkt dabei Vorteile,
das Nicht-Sein bewirkt dabei Verwendbarkeit.
07-08 Die Einheit der Gegensätze innerhalb der dinglichen Welt (Chang,Tsung-Tung, 1982) nunmehr dreifach beleuchtet, hebt Lǎozĭ die wesentlichen Besonderheiten jener ontologischen Geschwister hervor: Schwester Yin und Bruder Yang – Vorteil und Nutzbarkeit.
[ "Die drei [Rad, Gefäß, Raum] sind aus Holz, Lehm und beziehungsweise Mörtel gemacht, aber alle [hängen] für ihre Brauchbarkeit von der Negativität ab. Diese [Laozi-Feststellung] meint: Um vorteilhaft zu sein hängen die Wesen für ihre Brauchbarkeit von der Negativität ab." [Wáng Bě 王弼 / Wagner].
[ Das 'Leer-Element' ist "dazu befähigt, selbst das Minimum zu sein und die Vielen zu kontrollieren" [*].
[ Die Vorteile des Seins und die Zweckmäßigket des Nicht-Seins fließen ineinander über, um eine ontologische Einheit von Quantität und Qualität zu bilden.
"Denn alles muß in Nichts zerfallen,
Wenn es im Sein beharren will."
("Eins und Alles", Goethe).
[
12 - Suchtfreier Einklang
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
五色令人目盲,
wǔ sč lěng rén mů máng ,
五音令人耳聾,
wǔ yīn lěng rén ěr lóng ,
五味令人口爽,
wǔ wči lěng rén kǒu shuǎng ,
馳騁畋獵令人心發狂,
chí chěng tián lič lěng rén xīn fā kuáng ,
難得之貨令人行妨。
nán dé zhī huň lěng rén háng fáng 。
是以聖人,為腹不為目,
shě yǐ shčng rén ,wéi fů bú wéi mů ,
故去彼取此。
gů qů bǐ qǔ cǐ 。
[ In Kap.
1 wurden
Sinnlichkeit und Geistigkeit komplementär nebeneinandergestellt, im Hinblick auf
die Wahrnehmung der Begrenzungen oder Mysterien, der Oberfläche oder des
Tiefgründigen.
[ Hier
stellt Lǎozĭ natürliche
Bedürfnisse der Menschen und Genussstreben als schädliche Steigerungen des
Begehrens philosophisch gegenüber.
01-03:
Zu viele Farben
blenden des Menschen Auge,
zu
viele Töne
betäuben des Menschen Ohr,
zu viele Gewürze
stumpfen des Menschen Gaumen ab.
01-03 Zu viele ...
[ Die konkreten fünf Farben – im alten China blau(-grün), gelb, rot, weiß und schwarz – sind das optische Beispiel bedrohlicher Reizüberflutung, drohender sensorischer und innerer Blindheit.
[ Die fünf Klänge oder Töne der altchinesischen Tonleiter – Prime, große Sekunde, große Terz, Quinte und große Sexte führen – als konkrete akustische Veranschaulichung, im Falle Maßlosigkeit zu Taubheit und dazu, kein Ohr mehr zu haben ...
[ Die fünf Geschmäcker oder Aromata – salzig, bitter, sauer, würzig und süß – machen durch Gier überbeansprucht den Mund taub und führen zu 'Geschmacksverirrung'.
04-07:
Pferderennen und Treibjagd
lassen das menschliche Herz irre werden,
schwer zu erlangende Güter
lassen des Menschen Entfaltung blockieren.
Nach drei Sinnesarten fügt Lǎozĭ zwei Gefahren der Leidenschaftlichkeit hinzu:
04-05 Rennen und Rausch verwirren das menschliche Herz, Fieber und Inbrunst treiben den menschlichen Geist in den Wahnsinn.
06-07 "Güter,
die schwer zu bekommen sind, blockieren des Menschen rechten Pfad. In diesem
Sinne 'blockieren sie des Menschen Handlungen'." [Wáng
Bě 王弼 / Wagner].
Seltene
Güter zu schätzen (Kap.
03),
Handel und Geld (Kap.
53), das Jagen nach Kostspieligkeiten –
all dies wird die innere Reifung hemmen und den Pfad versperren.
08-10:
Darum weise Menschen:
kümmern sich um
Bedürfnisse,
nicht um äußerliche Begierden;
somit weisen sie dieses
zurück
und wählen jenes.
08-10 Ein weiser Herrscher ...
[ sorgt zuerst für die grundlegenden Bedürfnisse aller Untertanen vor ausgeklügelten Begehrlichkeiten, für den Bauch, nicht für das unersättliche Auge:
[ "'Wer für den Bauch ist', nährt seine eigene Person mit anderen Dingen. 'Wer für das Auge ist', stellt sich mit seinem Auge in den Dienst [von anderen Dingen]. Daher ist der Weise nicht für das Auge." [*].
[ Der Weise meidet jegliche Gier nach Profit (Kap. 46), er verwirft Geiz und Gier, wählt stattdessen tägliches Verlieren, um das Dé des Dŕo zu gewinnen.
[
13 - Unabhängiges Selbstwertgefühl
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
寵辱若驚,貴大患若身。
chǒng rǔ ruň jīng ,guě dŕ huŕn ruň shēn 。
何謂寵辱若驚﹖
hé wči chǒng rǔ ruň jīng ﹖
寵為下。
chǒng wéi xiŕ 。
得之若驚失之若驚
dé zhī ruň jīng shī zhī ruň jīng
是謂寵辱若驚。
shě wči chǒng rǔ ruň jīng 。
何謂貴大患若身﹖
hé wči guě dŕ huŕn ruň shēn ﹖
吾所以有大患者,
wú suǒ yǐ yǒu dŕ huŕn zhě ,
為吾有身,及吾無身,
wéi wú yǒu shēn ,jí wú wú shēn ,
吾有何患?
wú yǒu hé huŕn ?
故貴以身為天下,若可寄天下。
gů guě yǐ shēn wéi tiān xiŕ ,ruň kě jě tiān xiŕ 。
愛以身為天下,若可託天下。
ŕi yǐ shēn wéi tiān xiŕ ,ruň kě tuō tiān xiŕ
Menschen verfügen über Selbstbewusstsein, daher agieren sie selbstbezogen; Lǎozĭ entlarvt dies als entscheidend für ihr Wertesystem.
01-02:
Gunst und Ungunst
sind gleich erschreckend,
Ehrungen stellen große
Sorgen dar,
ähnlich unserer Selbstheit.
01 Gunst und Ungunst sind nicht beständig und können ineinander überwechseln.
02 Sich in einer hohen gesellschaftlichen Position zu befinden, stellt eine Katastrophe dar – für die Person und Selbstheit des Anführers.
03-07:
Was heißt: 'Gunst und Ungunst
sind gleichermaßen erschreckend'?
Gunst wirkt erniedrigend –
sie zu erlangen, ist erschreckend,
sie zu verlieren, ist auch erschreckend.
Das heißt: 'Gunst und Ungunst
erschrecken gleichermaßen'.
03-07 Überraschende
Neubetrachtungen werfen Fragen auf – und
suchen nach Antworten:
"Wo
Gunst ist, ist notwendigerweise auch Ungunst. Gunst und Ungunst sind
gleichwertig. Wenn de Untertanen Gunst und Ungunst [gleichermaßen] erschreckend
empfangen, dann werden sie nicht in der Lage sein, Chaos in das Reich zu
bringen." [*Wáng
Bě 王弼 / Wagner].
Ein weiser Herrscher, unparteiisch, und handelnd, ohne einzugreifen, wird beides vermeiden: Gunst und Ungunst, um seinen Untertanen Demütigung und Peinlichkeiten zu ersparen, wenn sie jene früher oder später erlangen oder verlieren. Darum!
08-11:
Was heißt: "Ehrungen sind große
Sorgen
ähnlich unserer Selbstheit."?
Ich habe dadurch große Sorgen,
weil ich selbstisch und eigennützig bin.
Erreichte
ich Selbstlosigkeit,
welche Sorgen hätte ich noch?
08-11 Die
zweite Frage, die der obigen zweiten Feststellung folgt, ist fokussiert auf Ehre
und ihren Gegenspieler, die Katastrophe der Schmach:
"Wo Glanz ist, da ist notwendigerweise auch Verhängnis. Glanz und Verhängnis
laufen auf das Gleiche hinaus. Wenn
de Untertanen Glanz und Verhängnis [gleichermaßen]
erschreckend empfangen, dann werden sie nicht in der Lage sein, Chaos in das
Reich zu bringen." [*].
Sorgen werden unvermeidlich sein, solange des Anführers Person und
Persönlichkeit leiden –
so schmerzvoll wie der Leib leiden kann – an seiner Selbstheit, welche immer
auch Selbstbezogenheit oder gar Selbstsucht riskiert.
So richtet sich der Weise, um Lǎozĭ's
Rat in Kap.
7 zu
befolgen: "Darum
stellen weise Menschen ihre Person hintan, und doch gehen sie selbst
voraus, sie
entäußern sich ihrer Person – und doch bleibt ihre Person bewahrt."
12-15:
Darum, jene
die es schätzen, sich bei aller
Selbstheit einzusetzen für die Welt,
anscheinend kann man jenen
die Welt anheimstellen;
die es lieben, sich bei aller
Selbstheit einzusetzen für die Welt,
anscheinend
kann man denen
die Welt anvertrauen.
Logischerweise wird der letzte Teil nun der
Frage gewidmet, welche besten Auswahlkriterien den idealen Herrscher finden
lassen.
Dessen Persönlichkeit darf weder durch Gunst noch Ungunst, weder durch Ehre
noch Schmach verändert oder geschwächt werden.
12-13 Der
erste Maßstab betrachtet den intellektuellen Zugang
des Kandidaten zum Reich (zur Welt):
"'Es gibt kein anderes' Wesen,
bei welchem seine Persönlichkeit 'geändert' werden könnte' [wenn es von den
Merkmalen des weichen Wassers Gebrauch macht, das Harte zu überwinden, wie Laozi
78.1 besagt], darum
sagt der Text 'geachtet werden'. Einmal
an diesen Punkt gekommen,
dann kann ihm in der Tat alles unter dem Himmel anvertraut werden." [*].
Wer es schätzt, mit seiner ganzen Person für alle Welt zu sorgen, derjenige ist offenbar der rechte, ihm die Leitung des Staates zu übergeben.
14-15 Ein
eher gefühlsmäßiger Gesichtspunkt
sichert die umfassende Tauglichkeit zum selbstlosen, bedachtsamen Herrscher:
"Es
gibt kein anderes Wesen, das befähigt ist, seine Persönlichkeit zu vermindern,
daher besagt [der Text] 'geschätzt werden'. Einmal
an diesen Punkt gekommen,
dann kann
ihm in der Tat die Verantwortung für alles unter dem Himmel übertragen werden." Wenn
seine Persönlichkeit weder wegen Gunst oder Ungunst noch
wegen Glanz oder Verhängnis geändert
oder vermindert werden kann, dann
kann ihm in der Tat die Verantwortung für alles unter dem Himmel übergeben
werden." [*].
Jene,
die es mit all ihrer Persönlichkeit lieben, für die Welt zu tätig zu
sein, denen kann man es anscheinend zutrauen, zu handeln ohne zu agieren, im Reich
der Mitte zu
herrschen, ohne es zu gebieten.
[
14 - Unbegreiflichkeit des Dŕo
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
視之不見名曰夷。
shě zhī bú jiŕn míng yuē yí 。
聽之不聞名曰希。
tīng zhī bú wén míng yuē xī 。
摶之不得名曰微。
tuán zhī bú dé míng yuē wēi 。
此三者不可致詰,故混而為一。
cǐ sān zhě bú kě zhě jié ,gů hún ér wéi yī 。
其上不皦,其下不昧,
qí shŕng bú jiǎo ,qí xiŕ bú mči ,
繩繩不可名,復歸於無物。
shéng shéng bú kě míng ,fů guī yú wú wů 。
是謂無狀之狀,無物之象,是謂惚恍。
shě wči wú zhuŕng zhī zhuŕng ,wú wů zhī xiŕng ,shě wči hū huǎng 。
迎之不見其首,隨之不見其後。
yíng zhī bú jiŕn qí shǒu ,suí zhī bú jiŕn qí hňu 。
執古之道以御今之有。
zhí gǔ zhī dŕo yǐ yů jīn zhī yǒu 。
能知古始,是謂道紀。
néng zhī gǔ shǐ ,shě wči dŕo jě 。
[ Wegen Dŕo's prinzipieller Namenlosigkeit und Unbegreifbarkeit, ohne jedwede Verständlichkeit hin zur Transzendenz des Dŕo, hätte Lǎozĭ schlussfolgern können "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." [Wittgenstein].
[ Nichtsdestotrotz versucht er in einigen Kapiteln, sich dem Unnahbaren zu nähern, das Unbeschreibbare zwischen den Zeilen zu beschreiben: mittels einer poetischen Annäherung, ähnliche Bemühungen der Negativen Theologie vorwegnehmend [e.g. Meister Eckhart].
01-06:
Schau nach ihm - nichts zu sehen:
sein Name ist schlicht (unsichtbar);
horch nach ihm – nichts zu hören:
sein Name ist leer (unhörbar);
greif nach ihm – nichts zu ertasten:
sein Name ist fein (unfassbar).
01-06 Was
nicht zu sehen /
hören / greifen ist, nennt *Wáng
Bě 王弼 *fein, unhörbar, glatt.
"Für diese drei [die
Sinne Sehen, Hören und Tasten] ist es unmöglich, zu einer Definition [davon] zu
gelangen, und folglich ist es unbestimmt, das Eine [zu sein]."
Es ist ohne Form oder Bild, ohne Klang oder Widerhall.
Dadurch ist es in der Lage, nichts undurchdrungen und nichts unerreicht zu
lassen.
Es ist nicht erkennbar, und selbst mit meinem Ohr, Auge, und Tastsinn weiß ich
nicht, [ihm] einen Namen zu geben." [*Wáng
Bě 王弼 / Wagner].
Angefangen
damit – 夷+微 in
seinem Kommentar vertauscht wie in 馬王堆 Mǎwángduī A+B!), haben
die meisten Übersetzer von den wörtlichen Bedeutungen von yí-xī-wēi abstrahiert
zu Unsichtbarkeit, Unhörbarkeit und Ungreifbarkeit als nicht
identifizierbar mittels dreier Hauptsinne.
Abel-Rémusat's JHWH=Jachweh
Hypothese, erwähnt bei Hegel und
ausgeklügelt diskutiert bei von
Strauß [1870
p. 61-75], war
in gewisser Hinsicht zu weit hergeholt! [h.a.].
Das undefinierbare Dŕo, welches das Eine ist, "lässt nichts undurchdrungen und
nichts unerreicht". [王弼].
07-12:
Diese drei sind nicht weiter auszuloten –
so verbinden sie sich, bilden eine Einheit:
oben nicht hell
und unten nicht dunkel,
äußerst grenzenlos, unmöglich zu erfassen;
so kehrt sie zurück, heim ins Nicht-Sein.
07-08 Die
einzelnen Sinne sind begrenzt: begrenzt in ihren besonderen Qualitäten tragen
sie ihre konkreten Aspekte bei – als
Zwischenstationen zu höheren Schlussfolgerungen über die Wirklichkeit:
Doch wenn sich die Sinne zu einem Bündel kleiner Einsichten zusammenschließen,
schwingen sie sich zur nächsten Abstraktionsebene auf, um an rationaler
Erkenntnis teilzuhaben, auf dem langen Weg zu spiritueller Erleuchtung.
09-12 "Dieses
Eine – seine
Oberseite ist nicht hell; – seine
Unterseite ist nicht dunkel. Dämmrig ist es und unmöglich zu benennen.
Es
kehrt zurück
und bezieht [die Wesen] zurück zum 'Nichts'." [*].
Beim
Aufstieg zu höherer Verwirklichung, ist Yang (die
Sonnenseite des Hügels) nicht hell, Yin (seine
schattige Seite) nicht mehr dunkel.
Unbegreiflich, uferlos, unbenannt: dergestalt folgen Dinge und Wesen als
zeitweise Substanzen dem Pfad heim zum Nicht-Ding und Wesenlosen, zurück zum
Nicht-Sein.
13-17:
Es heißt Form des Formlosen,
Abbild des Nicht-Seins;
das meint verschwommen und unfasslich:
ihm entgegentretend,
sieht man nicht seinen Anfang,
ihm nachfolgend,
nicht sein Ende.
13-15 "Dies
nenne [Ich] die Form des Formlosen, die Erscheinung des 'Nichts. Man möchte
sagen, dass es nicht existiert? [Die
Tatsache bleibt noch bestehen] dass die Wesen für ihre Vollendung darauf
gründen. Man
möchte sagen, dass es existiert? [Die
Tatsache bleibt noch bestehen] dass es seine Form nicht zeigt. ... Dies nenne
[Ich] undifferenziert und vage. Das heißt: unmöglich
zu definieren."
[*].
Nähert
es sich wiederum der Pforte zum transzendenten Dŕo, strahlt das fahle Abbild des
Nicht-Seins seine formlose Form aus.
Zurück zum undifferenzierten Anfang des Universums, für alle Zeit
unverständlich und unbegreiflich, folgt sein letzter Wandlungsschritt in das
Absolute Nichts.
16-17 Zuvor und Danach, Anfang und Ende, des Menschen reine Anschauungsformen [Kant] entschwinden, und das schöpferische Dŕo träumt von seinem nächsten Zyklus.
18-21:
Hält man fest am Dŕo des Altertums,
so meistert man
Geschehnisse der Gegenwart.
Kann man den des
Altertums
Urbeginn verstehen,
heißt dies Richtschnur des Dŕo.
18-19 "Obwohl
Altertum und Gegenwart unterschiedlich sind, besteht ihr Weg ewiglich. Nur wer
daran festhält, ist befähigt, die Wesen zu regulieren. 'Vorkommnisse' bedeutet
vorkommende Regierungsgeschäfte." [*].
Jenseits
des Jenseitigen, benötigen der Weise (wie der kluge Herrscher) einen Anker in
der Vergangenheit, um die Gegenwart zu meistern, erleuchtet von den Einsichten
der Alten die Dinge des Seins zu bewältigen: die Mühen des Alltagslebens ebenso
wie die Regelungen des Reiches.
20-21 Den
ältesten Anfang zu verstehen heißt die Kontinuität des Weges zu erkennen.
"Das Merkmal- und Namenlose ist der Urahn der zehntausend Arten von Wesen.
Obwohl Gegenwart und Altertum nicht das Gleiche sind, obwohl sich die Zeiten
geändert und die Sitten gewechselt haben, sind da absolut keine [weisen
Herrscher], die sich nicht auf diesem [Merkmal- und Namenlosen]
gründeten, indem sie ihre reguierte Ordnung vollendeten. (...)
Obschon das ferne Altertum weit weg ist, dauert sein Weg noch immer an. Obwohl
man heute existiert, es deswegen möglich, 'mittels dieser [Heutzutage-Realität]
den ältesten Anfang zu erkennen." [*].
Bewusstsein bedarf des Gedenkens, von den Höhen der Antike zum Hier und Jetzt
heißt die Verankerung von Sein und Zeit [Heidegger] Dŕos
Goldener Faden. 紀 jě meint
'Faden', dann 'Gewebe', dann die Geschichtsschreibung ... das 'Weltgewebe'. [nach
v. Strauß 1870 p. 78-79].
[
15 - Unergründlichkeit der Weisen
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
古之善為士者,
gǔ zhī shŕn wéi shě zhě ,
微妙玄通,深不可識。
wēi miŕo xuán tōng ,shēn bú kě shí 。
夫唯不可識,故強為之容。
fū wéi bú kě shí ,gů qiáng wéi zhī róng 。
豫兮[焉]若冬涉川;
yů xī [yān ] ruň dōng shč chuān ;
猶兮若畏四鄰;儼兮其若容;
yóu xī ruň wči sě lín ;yǎn xī qí ruň róng ;
渙兮若冰之將釋;敦兮其若樸;
huŕn xī ruň bīng zhī jiāng shě ;dūn xī qí ruň pǔ ;
曠兮其若谷;混兮其若濁;
kuŕng xī qí ruň gǔ ;hún xī qí ruň zhuó ;
[澹兮其若海;飂兮若無止。]
[dŕn xī qí ruň hǎi ;liů xī ruň wú zhǐ 。]
]孰能濁以[止]靜之徐清。
shú néng zhuó yǐ [zhǐ ]jěng zhī xú qīng 。
孰能安以動之徐生。
shú néng ān yǐ dňng zhī xú shēng 。
保此道者不欲盈。
bǎo cǐ dŕo zhě bú yů yíng 。
夫唯不盈故能蔽而新成。
fū wéi bú yíng gů néng bě ér xīn chéng 。
Je tiefer jene alten Meister in die Geheimnisse von Dé und Dŕo eingedrungen waren, umso mehr hatten sie sich deren Eigenschaften angeeignet: die augenscheinlichen und offensichtlichen Besonderheiten und Vorzüge des Dé – und ebenso die verborgenen finsteren Geheimnisse des Dŕo als 'Verdunkelung' ihrer Erleuchtung.
01-05:
Des Altertums vortrefflich wirkende Meister:
subtil, geheimnisvoll, so tief durchdringend,
unmöglich zu durchschauen.
Gerade weil undurchschaubar,
so versuche ich, ihre Erscheinung zu skizzieren.
01-05 Wieder einmal versucht der Autor des Dŕodéjīng das Namenlose zu benennen: den unauslotbaren Abgrund des transzendenten Dŕo sowie auch dessen Widerspiegelung in den unergründlichen Meistern des Altertums zu beleuchten, sie in dichterischer Freiheit zu umreißen.
06-12:
Behutsam, wie im Winter den Fluss durchwaten,
vorsichtig, als fürchtete man allseits Nachbarn;
zurückhaltend, wie Gäste,
nachgiebig, wie Eis, das gleich zerschmilzt;
ursprünglich, wie unbearbeitetes Naturholz,
weit, wie Täler, und
undurchschaubar wie trübe Gewässer.
06-12 Die mystische Anzahl von sieben schwachen Umrissen, davon drei wiederum in Beziehung zu Wasser (!), verdichten sich allmählich zu einer klaren Andeutung eines unausdrückbaren Eindrucks.
[ "Jemand, der im Winter einen Fluss überquert, ist zögerlich darüber, ob oder ob er nicht überquert, und hat einen Gesichtsausdruck, der es unmöglich macht, seine Gefühle zu lesen." [* Wáng Bě / Wagner].
[ "Wenn sich vier Nachbarn zusammenschließen, den Herrn in der Mitte zu attackieren, wird er unentschieden sein, und man weiß wirklich nicht, welchen Weg er einschlagen wird. Dass in einer Person von 'höchster Empfänglichkeit / höchster Fassungsvermögen' [wovon in Lǎozĭ 38.1 gesprochen wird] es unmöglich ist, irgendwelche Hinweise wahr-zunehmen [in] seinem [Gesichtsausdruck] und es unmöglich ist, [seine] Absichten auszumachen, ist auch derart." [*].
[ Förmlich
wie ein Gast, brüchig wie schmelzendes Eis, ursprünglich wie ein unbehauener
Klotz, weit wie ein Tal, undurchschaubar wie trübes Gewässer:
"Allgemein
gesprochen, all jene
'sie sind wie' meinen, dass man unfähig ist, ihrer Haltung spezifische Formen
und Namen zuzuschreiben." [*].
Die psychologische Dimension ist merklich gekennzeichnet durch eine unmerkliche
Annäherung: behutsam und besonnen beschreiten die Weisen des Altertums ihren
Pfad.
Ein sanfter Kurs führt zu einem ungefährdeten Weg.
13-17:
Wer
vermag Trübes zu klären mittels
Behutsamkeit der Stille,
wer vermag Ruhe zu erzeugen
mittels
der Behutsamkeit fortdauernder Bewegung?*
Bewahre
solcherlei,
nicht zu begehren nach
Überfülle:
denn nur ohne Überfluss, so
gelingt die Abschirmung endlos neuer Mühen.
Wer könnte befähigt sein (trotzdem es so schwierig ist):
13-14 Trübes
behandeln –
in einer sozialen Situation oder in sich selbst – das wird eine Anwendung
benötigen eben jenes Weges des 無為 wú
wéi: gelassen und umsichtig loszulassen, um
Transparenz zu erlangen, und die Loslösung durch den Klang der Stille zu
erreichen.
Ruhe
behandeln – in
mir selbst oder in
einer sozialen Situation –
das wird eine Anwendung benötigen eben jenes Weges des 有為 yǒu wéi: gelassen
und umsichtig aktiv
zu werden, um
Lebendigkeit zu erlangen, und die Loslösung durch Erwachen des Gewahrwerdens zu
erreichen.
15-17 Bewahre
solche Handlungsweisen, nicht durch Wünsche überwältigt zu werden, vermeide Übersteigerung,
Übertreibung und Übermaß (Kap.
29).
Nur
nicht immer bis zum Rand zu füllen hält vom Überfließen ab, somit die Wesen
davor zu bewahren, fortwährend zu Mühsal gezwungen zu sein.
© hilmar alquiros, 2017
* * * * * * *
* 'At Heidegger’s request, Hsiao wrote out the two lines of Chapter 15 in decorative calligraphy. They read:
“Who can, settling the muddy, gradually make it clear? Who can, stirring the tranquil, gradually bring it to life?”
Heidegger’s rereading of these lines in a 1947 letter to Hsiao is as follows:
*“Who can be still and out of stillness and
through it move something on to the Way so that it comes to shine forth? Who
is able through making still to bring something into Being?” '
“Wer kann still sein und aus der Stille durch sie auf
den Weg bringen (bewegen) etwas so, dass es zum Erscheinen kommt? Wer
vermag es, stillend etwas so ins Sein zu bringen?”
Paul Shih-yi Hsiao, “Heidegger and Our Translation of the Tao Te Ching,” in Heidegger and Asian Thought, ed. Graham Parkes, p.93-103. (Honolulu: University of Hawaii Press, 1987), p.103.
* * * * * * *
15.13. (Martin Heidegger &) Paul Shih-yi Hsiao, Todnauberg, 1946 (Paul Shih-yi Hsiao,
„Wir trafen uns am Holzmarktplatz“,
in: „Erinnerung an Martin Heidegger“ [Günther Neske, Pfullingen 1977
p.119-129]
& “Heidegger
and Our Translation of the Tao Te Ching”
in: “Heidegger and Asian Thought” ed. by Graham Parkes, University of Hawaii Press 1987 (1990), 282 p.; → p.93-101:
15.14. Review
to: Parkes, Graham
(ed.)
Heidegger and Asian Thought.
Honolulu:
University of Hawaii Press, 1987, 282 p.; 1990:
by Bryan Van
Norden, Being-in-the-Way.
Taylor Carman, Barnard
College, Vassar
College; Version
of July 22, 1997;
http://faculty.vassar.edu/brvannor/heidegger.html
* * * * * * *
"Before their collaboration ended, Heidegger and Hsiao translated Chapters 1, 15, 18, 25, 32, 37, 40, and 41 of the Tao Te Ching."
[Reinhard May, Heidegger’s Hidden Sources: East Asian Influences on His Work, trans. Graham Parkes. (London: Routledge, 1996), p. 6 / p. 24.]
"These were not published and have not (yet) been found among Heidegger’s papers." / "Diese wurden nicht veröffentlicht und wurden noch nicht in Heideggers Papieren gefunden." p. 26 [Hsiao, “Our Translation,” see above) p. 98].
[
16 - Heimkehr zur Beständigkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
致虛極守靜篤。
zhě xū jí shǒu jěng dǔ 。
萬物並作,吾以觀復。
wŕn wů běng zuň ,wú yǐ guān fů 。
夫物芸芸各復歸其根。
fū wů yún yún gč fů guī qí gēn 。
歸根曰靜,是謂復命;
guī gēn yuē jěng ,shě wči fů měng ;
復命曰常,知常曰明。
fů měng yuē cháng ,zhī cháng yuē míng 。
不知常,妄作凶。
bú zhī cháng ,wŕng zuň xiōng 。
知常容,容乃公,
zhī cháng róng ,róng nǎi gōng ,
公乃全,全乃天,
gōng nǎi quán ,quán nǎi tiān ,
天乃道,道乃久,沒身不殆。
tiān nǎi dŕo ,dŕo nǎi jiǔ ,méi shēn bú dŕi 。
Zyklisch und ewig ist der Rhythmus des Dŕo, wachsen und zurückkehren ist die Bestimmung der Geschöpfe: von der Besinnlichkeit zur Beständigkeit, von der Betrachtung zu Befreiung.
01-02:
Erreiche Leere im Äußersten,
bewahre Ruhe im Innersten.
01-02 Äußerste Leere bereitet wahrhaftigste Gelassenheit vor, das Vollziehen des Nicht-Handelns wird die Begehrlichkeit dämpfen und zur innersten Seelenruhe gelangen.
03-06:
Abertausend Wesen erscheinen alsbald, doch
ich erschaue dabei bereits ihre Heimkunft;
denn die höchst unterschiedlichen Geschöpfe:
Alle kehren wieder heim zu ihrem Ursprung.
"Die Lehre von der ewigen Rückkehr, von der Aktivität zur Inaktivität, ist die Grundlehre des Dŕoismus." (Lin Yutang), s. Kap. 25, 37, 40.
03-06 Der
immerwährende Kreislauf beginnt stets und für alle
Dinge mit
der Phase des Wachstums, hin zum Höhepunkt der Reifung.
Das 24te Hexagramm im Buch
der Wandlungen 易經 yě jīng, 復 fů Umkehrpunkt genannt,
zeigt die Empfängliche Erde über dem Erregenden Donner [51th].
Lǎozĭ, frei
von jedweder Begehrlichkeit (Kap.
1), nimmt
von Anfang an bewusst allen Feinsinn und das Geheimnis der Tiefe wahr – alle
Vielfalt der Wesen, jedes Einzelne unter den Myriaden, wird zurückkehren: zurück
zu den Wurzeln, heim zum Ursprung, in den Dreh- und Angelpunkt der
Potentialität.
07-10:
Rückkehr zu den Wurzeln heißt Gelassenheit,
dies nennt man Heimkunft zur Bestimmung;
Heimkehr zur Bestimmung heißt das Ewige,
Wissen um Ewigkeit bedeutet Klarsicht.
Für eine Kette an Schlussfolgerungen wendet das Dŕodéjīng zweimal die Dominotechnik an:
07-10 Wenn
alles Wechselhafte überwechselt in den Ruhepol des Nicht-Seins, mag es die
Bestimmung des Seins genannt werden [Heidegger].
Die Heimkunft zur Bestimmung wird die Insignien der Zeitlichkeit und
Vergänglichkeit einbüßen, doch die Beständigkeit des Unbestimmten erringen.
Die spiegelhafte [淮南子 Huái
nán zi]
Wissen um die unvergängliche Essenz heißt Erleuchtung,
Bewusstheit der Zeitlosigkeit bedeutet Klarsicht und Umarmung
der äußersten
Umgreifenden.
[Jaspers].
11-17:
Konstanz nicht kennen
bringt achtlos Elend,
das Ewige kennen: allumfassend sein!
Allumfassend sein macht unparteiisch,
Unparteilichkeit führt zu königlicher Haltung,
königliche Haltung zu Himmlischkeit,
Himmlischkeit führt zum Dŕo.
11-12 Das Wissen um die unvergängliche Essenz zu verlieren, bedeutet: "Übles durchdringt die beschiedene Rolle" [Wáng Bě 王弼], in einer Kettenreaktion hin zu Chaos und Verhängnis.
13-17 Nach dieser kurzen Warnung lässt Lǎozĭ eine zweite positive "Domino-Dialektik" [Kalinke] folgen: beginnend mit dem Bewusstsein der Beständigkeit, wird der Weise beziehungsweise der weise Herrscher die psychologische Dimension ("führt zu") letztgültiger Duldsamkeit entwickeln, ebenso Unparteiischkeit, Königlichkeit und Himmlischkeit als königliches und himmlisches Format – dies alles führt am Ende aller Tage zum Dŕo.
18-19:
Das Dŕo führt zu Langlebigkeit:
der Verlust des Körpers ist keine
Gefahr!
18 Ausnahmsweise
[ stellt Dŕo hier nicht das "Letzte Wort" dar in der Kette von Schlussfolgerungen: Dŕo selbst führt auch zu etwas...
[ Wer vollends in die letztgültige Leere und "Negativität" eindringt – und das Immerwährende der Wesenheiten erlangt (des Weges: Kap. 52), wird schlussendlich nicht erschöpfbar.
[ Somit bringt das Dŕo, da letztlich nicht zu erschöpfen, Langlebigkeit zuwege.
19 Unter
Vermeidung mancherlei christianisierter oder poetisch romantisierter Deutungen, 沒身不殆 mň
shēn bů dŕi bedeutet
einfach: das Ende unseres Selbsts als Person ist keine Gefahr oder Bedrohung –
angesichts der Rückkehr: heim zu den Wurzeln des Nicht-Seins, in der
Geborgenheit des Dŕo [Wáng
Bě 王弼].
Poetischer:
"wer dauert im Dao // taucht in die Tiefe gefahrlos." [Schwrz
1980 p. 66].
Vgl. Lǎozĭs Variation in Kap. 33: 死而不亡者壽 sǐ ér bů wáng zhě shňu = sterben, doch kein Untergang – Langlebigkeit!
[
17 - Bedachtsame Herrschaft
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
太上,下知有之。
tŕi shŕng ,xiŕ zhī yǒu zhī 。
其次親而譽之。
qí cě qīn ér yů zhī 。
其次畏之。 其次侮之。
qí cě wči zhī 。 qí cě wǔ zhī 。
信不足焉,有不信焉。
xěn bú zú yān ,yǒu bú xěn yān 。
悠兮其貴言,功成事遂,
yōu xī qí guě yán ,gōng chéng shě suí ,
百姓皆謂我自然。
bǎi xěng jiē wči wǒ zě rán 。
Vier Arten von Herrschern, den "höchsten oben", werden eingestuft nach den Reaktionen der Untertanen:
01-04:
Von Höchsten oben
weiß man
unten nur: es gibt
sie!
Sein Nächsthöchster ist nahe und gepriesen,
sein Nächsthöchster ist gefürchtet,
sein Nächsthöchster ist verachtet.
01-04 Herrscher:
[ Der größte Herrscher lässt die Untertanen bloß wissen, dass er existiert; wegen seines reifen Stils zu herrschen, leichthin und unaufdringlich im Hintergrund – Führung ohne einzugreifen 無為 wú wéi hinter den Kulissen, und Lehren ohne Worte – fühlen sich die Leute frei und selbstvertrauend ohne jeden Zwang: die Angelegenheiten kommen zustande, ohne von ihm angebahnt zu sein [* Wáng Bě 王弼].
[ Der zweite, zu diesem idealen Herrschertyp nächstbeste, ist nicht in der Lage, ohne Eingreifen zu regieren und durch stillschweigende Lehre, verwendet jedoch Freundlichkeit (like in ch. 38) und Menschlichkeit (ch. 17), verbunden mit moralischer Erziehung; hierdurch wird er bereits stärker wahrgenommen: als nahestehend und gepriesen.
[ Der nächstbeste Anführer, auf Platz drei rangierend, verlor die Fähigkeit der Freundlichkeit und Menschlichkeit, somit fühlt er sich zu Zwangsmaßnahmen gezwungen wie zu dem Abschreckungsmittel der Legalisten: im Vertrauen auf "Macht und Gewalt" [Wagner], ähnlich zu 義 yě und 禮 lǐ (ch. 38).
[ Der vierte, auf dem untersten Rang, wird in Ungnade fallen und von seinen Untertanen nicht mehr ernst genommen werden: er herrscht unter Nutzung von Schläue und Gerissenheit; die Leute versuchen, ihn zu unterlaufen und seinen Anordnungen nicht Folge zu leisten [*]; sie lernen ebenfalls Arglist, um sich dem Herrscher und seinen Reglementierungen zu entziehen.
05:
Wenig Vertrauen entfalten,
wenig Vertrauen
erhalten!
05 Wo
das Vertrauen fehlt, spricht der Verdacht: nicht
genug Vertrauen schenken heißt kein Vertrauen erfahren, was?
Wenn das volle Vertrauen der Anführer im Altertum verloren ging, stiegen die
Zweifel der Untertanen.
Vertrauen,
als ein gegenseitiges, kostbares und feinsinniges Gefühl der Verbundenheit, kann
leicht zerstört werden, zur Abwesenheit aller Glaubwürdigkeit hinüberwechseln, ähnlich
den 論語 Lún
yǔ = Analekten*
06-08:
Oh, umsichtige edle Worte des Höchsten:
Aufgaben vollbracht, Geschäfte erledigt,
schon sagen
alle anderen Leute:
"Wir taten es selbst ... ganz spontan!"
06-08 Die Worte weiser Herrscher, wohlüberlegt und wahr, wertvoll und sparsam eingesetzt, wurden nicht verändert, aber befolgt, selbst wenn sie ihre Absichten nicht ausmachen konnten. [*].
Nachdem die Aufgaben durch unaufdringliches Nicht-Eingreifen erledigt und die Werke vollendet waren, deuteten die Leute dann alles als natürlich und spontan, als ob durch sie selbst getan.
* * *
*Kǒng fū zǐ 孔 夫 子 Confucius / Konfuzius
[
18 - Zeichen des Verfalls
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
大道廢有仁義;
dŕ dŕo fči yǒu rén yě ;
慧智出有大偽;
huě zhě chū yǒu dŕ wěi ;
六親不和有孝慈;
liů qīn bú hé yǒu xiŕo cí ;
國家昏亂有忠臣。
guó jiā hūn luŕn yǒu zhōng chén 。
Der Symmetriebruch des uranfänglichen Dŕo hatte die Evolution der Dinge im physikalischen Universum begonnen, und später ebenso die Ausdifferenzierung der Werte in der sozialen Welt.
01-02:
Ist das große Dŕo
verlassen, so tauchen auf
Menschlichkeit und Rechtschaffenheit.
Treten Scharfsinn und Spitzfindigkeit
auf,
entsteht große Heuchelei.
01 Dieser
Verlust der ursprünglichen Harmonie, dieses Paradies des "Niemand wünscht
irgendetwas" [河上公 Héshŕng
Gōng],
führt erstens zu "positiven" Versuchen, zu kompensieren: idealisierten
Wertsystem und formalen Reglementierungen des Sozialverhaltens, wie etwa die Konfuzianischen Begriffe 仁 rén Menschlichkeit
oder Wohlwollen und 禮 lǐ Ritual
oder Zeremonie.
Zivilisation
und Kultur betreffend, verkommt
das zirkelhafte Dŕo zu
geradliniger Rechtschaffenheit [Abbot]. Schönheit
und Hässlichkeit entstammen der gleichen Quelle (ch.
2)...
02 Mehr
und mehr aufgezwungene Befolgung führt zweitens zu wetteiferndem Gebrauch der
Intelligenz: in näheren Beziehungen als Schläue und Gerissenheit.
Erzwungene Mitwirkung wird Gegenbewegungen und Vermeidungsstrategien innerhalb
der Gesellschaft nach sich ziehen, der Gebrauch der Weisheit wird
zu Spitzfindigkeit und Heuchelei ausarten.
03-04:
Leben enge Verwandte nicht in
Harmonie,
kommen kindlicher Gehorsam
und elterliche Fürsorge auf.
Sind Land und Leute in Verwirrung und Chaos,
erscheinen treue Patrioten.
03 Bereits
innerhalb der sozialen Kerneinheit der Familie bestimmen entsprechende Muster
das Rollenverhalten elementarer Beziehungen (Vater und Sohn, älterer und
jüngerer Bruder, Ehemann und Ehefrau).
Beschönigt wird dies als Frömmigkeit und Wohlwollen, eingebettet in Riten und
Beschränkungen.
04 Umso
mehr wird an der Spitze des Staates der Abfall vom Dŕo die Kunst der Leitung
ohne einzugreifen verlieren und zur sittlichen Verwirrung des Herrschers
führen.
Daher wird er, um Chaos zu vermeiden, verzweifelte
Maßnahmen ergreifen, Recht und Ordnung zu erzwingen; der
Überwachungsapparat des Herrschers und das anschließende Ausweichverhalten der
Untertanen [Wagner]
bilden dabei eine endlose Spirale.
Gekünstelte Auffassungen von Ergebenheit kommen auf, gefolgt von einer wahren
Armee von Beamten und Speichelleckern, die schlussendlich einander mit
Misstrauen ausspionieren.
[
19 - Freiheit durch Anspruchslosigkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
絕聖棄智,民利百倍;
jué shčng qě zhě ,mín lě bǎi bči ;
絕仁棄義,民復孝慈;
jué rén qě yě ,mín fů xiŕo cí ;
絕巧棄利,盜賊無有;
jué qiǎo qě lě ,dŕo zéi wú yǒu ;
此三者,以為文不足。
cǐ sān zhě ,yǐ wéi wén bú zú 。
故令有所屬,
gů lěng yǒu suǒ shǔ ,
見素抱樸少私寡欲。
jiŕn sů bŕo pǔ shǎo sī guǎ yů 。
Die auf den ersten Blick überraschend kompromisslose Forderungen in Kap. 19 sind leichter zu verstehen als:
[ Fortsetzung und Einheit mit Kap. 18 (& 20.1.);
[ Ironische und konsequente Kritik an Konfuzianischen Werten, welche ihre Abkehr vom Dŕo der Natur entlarvt;
[ Direkte Empfehlungen vornehmlich an den Herrscher, wie die Leute zu Natürlichkeit, Einfachheit und Echtheit zurückzubringen sind (wie in Kap. 20, 22, 23, 28, 37, 38, 39, 80 fortgesetzt).
01-06:
Schafft ab Weisheitlichkeit,
verwerft Gelehrsamkeit:
das Volk zieht Nutzen hundertfach.
Schafft
ab Gutmenschentum,
lehnt ab Biedersinn:
das Volk kehrt
zurück zu
echter kindlicher Pietät und Elternliebe.
Gebt
Gerissenheit auf,
lehnt Gewinnstreben ab:
Räuber und Diebe wird es nicht geben.
01-02 Die
Pseudo-Weisheitlichkeit eines eigennützigen Herrschers und der vorherrschenden
Klasse: ihre
Scheinheiligkeit, Gerissenheit und Gelehrsamkeit müssen abgeschafft werden für
die wahre Weisheit der "Heiligen Einfalt".
Lasst das Volk die mannigfaltigen Vorteile wiederentdecken, ihr 德 Dé zu
leben: die Innere Kraft unschuldiger Schlichtheit 樸 pǔ an
Stelle von Konkurrenzdenken 爭 zhēng – “Selig
sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen." (Matthew
5:5).
03-04 Im
gesellschaftlichen Leben muss entsprechend der Weg von der Scheinkultur zurück
zur Natur und Natürlichkeit [Rousseau, Thoreau]
die sozialen Ersatzwerte verwerfen:
Menschlichkeit 仁 rén zugunsten
selbstloser Liebe 愛 ŕi,
und moralischen Biedersinn 義 yě zugunsten
von echter, ursprünglicher, spontaner Pietät und Liebe –
ohne den Umweg über Riten und Zeremonien.
05-06 Im
alltäglichen praktischen und wirtschaftlichen Leben muss demgemäß der Souverän
Schläue und Gerissenheit verwerfen 巧 qiǎo sowie
harten Wettbewerb und reine Profitgier 利 lě,
um alle
Untertanen wieder zu Kooperationsbereitschaft
und ethisches
Verbrauchertum zu geleiten.
Das Übervorteilen der Mitmenschen durch "legale" Geschäfte ebenso wie direkte
Formen des Diebstahls, des Raubes und Betruges werden in Bedeutungslosigkeit
versinken.
07-11:
Diese drei
Beispiele sind noch unzulänglich,
als Beschreibung zu gelten,
darum lasst sie diese Ergänzung haben:
Erscheint
einfach,
bewahrt Naturbelassenheit,
mindert
Selbstsucht,
verringert Begehrlichkeiten,
Verzichtet auf Gelehrsamkeit:
keine Sorgen mehr.
"Mit diesen drei Aufhebungen sollte man meinen, dass die Kultur unzureichend wird." [Karlgren].
07-08 Angesichts der Bedeutung dieser dreifachen Grundlegung als entscheidend dafür, den Geist des Dŕo zu leben, fügt Lǎozĭ einige weitere Veranschaulichungen hinzu:
09
Erscheine schlicht 素 sů: offenbare Einfachheit,
wahre Natürlichkeit 樸 pǔ: schätze Schmuckloses.
10
Reduziere Eigennutz 私 sī: mindere Interessen,
dämpfe Begierden 欲 yů: verringere die Gier.
11*
Gib auf Expertendünkel 學 xué: beende Buchgelehrsamkeit,
sorglos 憂 yōu: frei von Angst.
[
20 - Weltmenschen und Weise
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
絕學無憂,唯之與阿,相去幾何﹖
jué xué wú yōu ,wéi zhī yǔ ā ,xiŕng qů jǐ hé ﹖
善之與惡,相去若何﹖
shŕn zhī yǔ č ,xiŕng qů ruň hé ﹖
人之所畏,不可不畏。
rén zhī suǒ wči ,bú kě bú wči 。
荒兮其未央哉!
huāng xī qí wči yāng zāi !
眾人熙熙如享太牢 如春登臺。
zhňng rén xī xī rú xiǎng tŕi láo rú chūn dēng tái 。
我獨泊兮其未兆,如嬰兒之未孩;
wǒ dú bó xī qí wči zhŕo ,rú yīng ér zhī wči hái ;
儽儽兮若無所歸。
lěi lěi xī ruň wú suǒ guī 。
眾人皆有餘,而我獨若遺。
zhňng rén jiē yǒu yú ,ér wǒ dú ruň yí 。
我愚人之心也哉!
wǒ yú rén zhī xīn yě zāi !
沌沌兮俗人昭昭。
důn důn xī sú rén zhāo zhāo 。
我獨昏昏;俗人察察,我獨悶悶。
wǒ dú hūn hūn ;sú rén chá chá ,wǒ dú mčn mčn 。
澹兮其若海,飂兮若無止眾人皆有以,
dŕn xī qí ruň hǎi ,liů xī ruň wú zhǐ zhňng rén jiē yǒu yǐ ,
而我獨頑且鄙。
ér wǒ dú wán qiě bǐ 。
我獨異於人,而貴食母。
wǒ dú yě yú rén ,ér guě shí mǔ 。
[ Mit 28 Zeilen das längste aller Kapitel – und das persönlichste mit 7 我 wǒ!
[ 09-28 wurde "Die erste Emotionale Prosa der Chinesischen Literatur" [Shen] genannt, sei es nun ein Selbstporträt [Ellen Chen] oder nicht [Waley; Duyvendak].
Prosa voller altehrwürdiger Poesie!
01-05:
Verzicht auf Gelehrsamkeit: keine Sorgen!
Zustimmung im Unterschied zur Heuchelei –
wie weit wohl voneinander entfernt, wie?
Gutes und sein Unterschied zum Bösen –
ähnlich weit wohl auseinander, was?
01 Gib Expertendünkel 學 xué auf, beende
Buchgelehrsamkeit: sorglos 憂 yōu,
frei von Angst.
[= 19.11.].
"Wenn ich ohne Wissen ins Schwarze träfe, warum sollte [ich] nach dessen Erweiterung streben?" [* Wáng Bě 王弼 / Wagner].
02-03 Wahre
Zustimmung oder heuchlerische Schmeichelei, oder Ja! & Jawohl oder durch
den Sohn &
durch die Tochter [v.
Strauß]:
ähnlich, und dennoch möglicherweise sehr unterschiedlich!
Mǎwángduī 馬王堆:
wütend schreien 訶, oder lachend
schimpfen 呵; nicht in Guōdiŕn 郭店, aber
in Běi
Dŕ 北大: wie? oder warum? 何
04-05 Sind
Gut 善 &
Böse 惡, als
klare Gegensätze, entfernter oder ähnlich zu 唯 & 阿?!
fragt Lǎozĭ im
Stile des Sokrates.
In Anbetracht der Tatsache, dass Gegensätze aus der gleichen Quelle stammen (Kap. 2) und Heraclitus' Enantiodromie als
Prinzip für alle yīn & yáng 陰 陽 gilt,
sind von einem dŕoistischen Standpunkt aus Gegensätze keine unerbittlichen
Feinde, sondern
sich gegenseitig ergänzende Zwillinge in der Gebärmutter des Ureinen.
Sogar noch abhängiger von Kontext und auch Absicht, können 唯 & 阿 in
ähnlicher Weise voneinander getrennt sein – "Ja
und Jawohl"!
06-08:
Fürchten Menschen etwas,
können sie der Furcht nicht entkommen:
Einsamkeit, die noch nicht endet, fürwahr!
06-08 Die
Mitmenschen teilen die gleichen unvermeidlichen Muster der Furcht: gepriesen zu
werden oder zu leiden [*],
zuallererst vor Selbstentäußerung. [v.
Strauß].
Einsam und verlassen, so fühlt man sich noch endlos in Distanz zu den
Gewöhnlichen.
"'Verlassen [bin
ich], endlos!' Er
seufzt über die Distanz, die ihn von den Gewöhnlichen trennt."
09-11:
Die meisten Leute: fröhlich und ausgelassen,
als feierten sie große Opferfeste
und bestiegen Aussichtsterrassen im Frühling.
09-11 Opfer
eines großen Ochsen waren nur den obersten Rängen vorbehalten.
Gewöhnliche Leute erfreuen sich ihrer oberflächlichen Genusssucht, als ob, auf
einem großen Fest oder auf einer herrlichen Panoramaterrasse, ihre Aussicht hoch
sei – nicht
tief jedoch ihre
Einsicht.
Waley zitiert
auch spezifische "Frühlingsterrassenspiele" (die Fruchtbarkeit ihrer
Feldfrüchte zu begünstigen).
Wáng
Bě: "Tailao-Opfer":
"'Der gewöhnliche Gelehrte ist aufgeregt, als ob er das Tailao sacrifice beginge,
als ob er die Frühlingsterrassen bestiege.' Der gewöhnliche
Gelehrte ist von Schönheit und Aufstieg
überwältigt, geblendet von Pracht und Profit. Ihre Begehrlichkeiten drängen
voran, ihre Herzen stehen im Wettbewerb."
[*
p. 184].
Vgl. 莊子 Zhuāng
zǐ, Kap.
19 "Das
volle Verständnis für das Leben"
[James
Legge]!
[h.a.].
12-14:
Ich allein ... bin
ruhig, ach,
so ohne jedes Anzeichen noch,
wie ein Säugling, welcher noch nicht lächelt,
müde und erschöpft,
ach -
wie ohne Heimstätte.
12-14 Das erste "Ich" von sieben hier, und drei Feststellungen über etwas, das fehlt:
[ einsam und verwaist, als ob müßig, und noch immer ohne Vorzeichen, als ob ohne Seinsgeschick [Heidegger];
[ wie ein Neugeborenes, als ob, was zu belächeln, noch nicht vorgezeichnet sei;
[ ratlos und ziellos, als ob ohne Heimkunft zum Erdkreis; allgegenwärtig wie das Dŕo: "überall und nirgendwo" [Ellen Chen].
15-18:
Die allermeisten Leute haben im Überfluss,
doch ich alleine scheine wie zurückgelassen.
Ich bin eines Toren Herz auch, ja:
verworren, ach, und verwirrt.
Wir folgen nun seiner subjektiven Sicht:
15-16 Etliche dieser gewöhnlichen Leute scheinen im Überfluss zu leben, ihr Füllhorn an überflüssigen Etwassen zu genießen, "Brust und Herz bis zum Überfließen zu füllen" [*] – doch ich allein scheine rückständig, ohne Anliegen und Begehrlichkeiten zu sein, als wenn ich sie verloren hätte.
17-18 Als abgestumpfter Schwachkopf, der ich lasch und unschlüssig bin, ist mein Herz verworren und verwirrt; ich hege keinerlei Ehrgeiz (nach vorgefertigter Erfüllung).
19-24:
Gewöhnliche Menschen sind hell und klar,
ich allein bin trüb und dunkel;
normale Leute sind genau und unterscheidend,
ich allein bin betrübt und bekümmert.
Wogend bin ich, ach, so wie das Meer,
verweht, oh, wie ohne Ziel.
19-20 Das
gewöhnliche Volk ist wie leicht und licht und lässt sein Licht aufleuchten (im
Gegensatz zum Weisen, der erleuchtet ist, doch ohne zu erkunden; ch.
58).
21-22 Normale
Leute sind so hellwach und unterscheidend; sie ermitteln und zerlegen (doch
spalten auch) – ich
scheine düster und dumpf zu sein, trüb und dunkel.
23-24 Wogend
und aufgewühlt wie das Meer, sind "meine Gefühle unmöglich auszumachen" [*].
Ich scheine dahintreibend ohne Halt, ohne Hingabe: "wie die starken Winde
niemals anhalten" [Chen].
25-28:
Die allermeisten Leute haben klare Motive,
doch ich allein bin eigenbrötlerisch
wie ein Hinterwäldler.
Ich allein bin anders als andere Menschen –
ich aber schätze ... die Nährende Mutter!
25-26 Jedermann hat einen klaren Beweggrund, normalen Menschen behandeln ihre Angelegenheiten auf wohlüberlegte Weise, doch scheine ich stumpf und eigenbrötlerisch zu sein, stur und stupide, rückständig und zurückgeblieben.
27-28 Und nun, nach langer poetischer Vorbereitung, lässt Lǎozĭ einen Paukenschlag an letztmöglicher Ironie folgen: ein einmaliges rhetorisches Meisterstück – um die Tiefe unter der Oberfläche zu enthüllen und die Weisheit hinter den philosophischen Kulissen:
[ Ich allein ersehne, anders geartet zu sein als das gemeine Volk ... indem ich die Nährende Mutter ehre.
[ Um seine Wertschätzung dem Dŕo gegenüber zum Ausdruck zu bringen, verwendet Lǎozĭ ("das Alte Kind", "der altehrwürdige Meister") hier das Gleichnis vom Säugling, welcher seiner "Amme" den Vorzug gibt, indes die Vergnügungen all der anderen verschmäht.
[ Jene Leute schätzen Blendwerk, "die blendende Helle des weltlichen Beiwerks" [*] – weise Menschen aber ehren die säugende, fürsorgliche, nährende Mutter, jene Wurzel allen Lebens: Dŕo.
[
21 - Unauslotbares Dŕo
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
孔德之容惟道是從。
kǒng dé zhī róng wéi dŕo shě cóng 。
道之為物惟恍惟惚。
dŕo zhī wéi wů wéi huǎng wéi hū 。
惚兮恍兮其中有象。
hū xī huǎng xī qí zhōng yǒu xiŕng 。
恍兮惚兮其中有物。
huǎng xī hū xī qí zhōng yǒu wů 。
窈兮冥兮其中有精。
yǎo xī míng xī qí zhōng yǒu jīng 。
其精甚真。其中有信。
qí jīng shčn zhēn 。qí zhōng yǒu xěn 。
自古及今,其名不去以閱眾甫。
zě gǔ jí jīn ,qí míng bú qů yǐ yuč zhňng fǔ 。
吾何以知眾甫之狀哉!以此。
wú hé yǐ zhī zhňng fǔ zhī zhuŕng zāi !yǐ cǐ 。
[ In diesem Kapitel versucht Lǎozĭ abermals, das Unbeschreibbare zu beschreiben, er nutzt dabei das poetische Potentials des Vakuums zwischen den Zeilen, ebenso – methodologisch – die Einsicht der Intuition.
[ Das Dŕodéjīng bietet in diesem Kapitel nicht weniger als eine kreative Theorie der Schöpfung an: vom Nichts zum Sein!
01-02:
Die reinste
Gesinnung Innere Kraft
folgt nur dem Dŕo.
01-02 Hier bereitet das Dŕodéjīng eine logische Stufenleiter vor, um sich der "Zeit vor der Zeit" zu nähern und die Wahrheit des 德 Dč zurückzuverfolgen bis zur reinen Potenzialität des 道 Dŕo.
Der Inneren Kraft Gesinnung (Einstellung) zur wahrhaften Leere ist ausschlaggebend für jedermanns Vermögen, nur in Übereinstimmung mit dem Weg des 道 zu handeln.
"The grandest forms of active force
From Tao come, their only source" [Legge]
("Als Quelle nur des Dŕos Norm,
Bringt Innere Kraft zu höchster Form"; h.a.).
03-12:
In seiner Wirkweise als Wesen bleibt
Dŕo nur formlos und unfasslich;
unfasslich und formlos, ach,
sind in seinem Inneren Urbilder angelegt;
formlos und unfasslich
sind in seinem Inneren Wesen angedeutet;
verborgen und unergründlich
sind in seinem Inneren Essenzen,
welche äußerst ursprünglich sind:
in ihrem Inneren herrscht Wahrhaftigkeit.
Der Inhalt der nachfolgenden poetischen Umschreibungen erinnerte manch einen Kommentar (nur teils!) an Plato's Ideenlehre.
03-04 Dŕo's Wirken (nicht auf, aber) als eine Entität [Wagner p. 443]: bildhafte, symbolische, metaphorische Ausdrücke, "vage" = gestaltlos, "diffus" = ungehindert, frei [wir folgen nun hauptsächlich * 王弼 Wáng Bě].
05-08 Diffus und vage, ausweichend und undeutlich existieren Bilder darin;
[ vage und diffus, undeutlich und ausweichend existieren Wesen darin.
[ Die Wesen werden initiiert mittels Dŕos Formlosigkeit, vervollständigt mittels seiner Unbeschränktheit.
[ Doch die zehntausend Entitäten sind sich nicht bewusst, warum sie angestoßen und vollendet wurden.
[ Der Prozess von ursprünglich vagen und gestaltlosen Bildern im Innern (von Dŕo) hin zu Dingen und Wesen außen im Universum: dies ist eine Art kreativer Vorstellung von Schöpfung(!), von absoluter Leere zu potentiellen (Ideen von) Bildern zum Sein in der Raumzeit.
09-10 Abgeschieden
und fern, tief und unergründlich, ach, befinden sich im Innern Essenzen:
"Abgeschieden"
und "fern", benennt Wáng
Bě Seufzer, ob
ihrer Tiefe und Verworrnheit: nicht direkt wahrzunehmen, obschon die
zehntaussend Arten von Wesen auf diesen Essenzen basieren.
Doch da gibt es Hoffnung: durch Bestimmung ihrer wahren Natur (dem Dŕo!), wird
es möglich, die Wesenheiten indirekt wahrzunehmen, und somit wird der Weg
durch sie indirekt erkennbar –
zumindest in einigen Aspekten ihres "Samens", gegenwärtig in den zehntausend
Arten von Wesen! [Wagner,
p. 443].
11-12 Da
diese Essenzen in
der Tat wahrhaftig sind, gibt es im Innern Glaubhaftigkeit (glaubhafte
Beweiskraft).
Wenn sich die Wesen and die Phase abgeschieden
und fern zurückverwiesen
haben, wird ihre äußerst wahrhaftige Essenz verstanden, und die Natur der
Myriaden von Arten wird bestimmt: Vertrauenswürdigkeit wird zu Vertrauen.
13-17:
Von den Urtagen an bis heute
blieb sein Name unvergessen,
denn man erschaut da
den Urbeginn alles Seins.
Woher ich diesen Ursprung aller Dinge kenne?
Intuitiv!
13-15 Da
die letztlich absolute Wahrheit nicht über Bezeichnungen verstanden werden kann,
daher also lautet ihr (unvergessener) Name ... Namenlosigkeit!
In diesem Namen erkennt man den Urbeginn aller Wesen; Von der Antike bis zur
Gegenwart geschah alles auf der Grundlage dieser Namenlosigkeit.
16-17 Schließlich
scheint Lǎozĭ gefragt
worden zu sein, wie er denn irgendetwas wissen könne: über die Merkmale der
unzähligen Wesen zu
Beginn, wenn es doch offensichtlich keine direkte Erfahrung über "Absolute
Negativität" [Hegel] gebe sowie
über die frühen Phasen reiner Potenzialität?
"Davon", "dafür": alles oben gesagte sei lediglich aus den Einsichten der Intuition gewonnen.
[
22 - Weisheit der Nachgiebigkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
曲則全, 枉則直,
qǔ zé quán , wǎng zé zhí ,
窪則盈,敝則新少則得,
wā zé yíng ,bě zé xīn shǎo zé dé ,
多則惑。是以聖人抱一,為天下式。
duō zé huň 。shě yǐ shčng rén bŕo yī ,wéi tiān xiŕ shě 。
不自見故明;不自是故彰;
bú zě jiŕn gů míng ;bú zě shě gů zhāng ;
不自伐故有功;不自矜故長;
bú zě fá gů yǒu gōng ;bú zě jīn gů zhǎng ;
夫唯不爭,故天下莫能與之爭。
fū wéi bú zhēng ,gů tiān xiŕ mň néng yǔ zhī zhēng 。
古之所謂:「曲則全者」豈虛言哉!
gǔ zhī suǒ wči :「qǔ zé quán zhě 」qǐ xū yán zāi !
誠全而歸之。
chéng quán ér guī zhī 。
"Wahre Worte klingen sinnverkehrt ..." (ch. 78): Macht und Kraft der Paradoxien zu nutzen schenkt uns Einsicht in die Dynamik der Entwicklung, ebenso in die Einheit der Gegensätze.
01-06:
Teilweise, dann vollständig,
krumm, dann gerade;
leer, dann gefüllt,
verbraucht, dann neu.
Wenig haben, dann viel erlangen –
Doch zu viel, dann folgt Verwirrung!
Zitate
alter aphoristischer Sprüche, mit ihrer "ausgleichenden
Weisheit"
[LaFargue]
bereiten sie die Anwendung durch einen weisen Herrscher vor.
Wáng
Bě 王弼 setzt 01-04 zu 09-16(!)
in Beziehung wie folgt:
01-04 Leitsätze:
[ Erster Leitsatz der Weisen: Teilstücke bilden ein Ganzes, sogar wenn sie zunächst die Ergebnisse in der Vollendung verbergen: ohne sich zu zeigen werden sie (in ihrer Erleuchtung) vollendet.
[ Zweiter Leitsatz der Weisen: so Ergebnisse zur Korrektheit neigen, und da ohne Selbstgerechtigkeit, leuchtet ihr im Recht sein auf.
[ Dritter Leitsatz der Weisen: eine Vertiefung (in einem Flussbett) wird gefüllt werden, gerade ohne Prahlen werden daher ihre Leistungen unbestritten sein.
[ Vierter Leitsatz der Weisen: Abgenutztes führt zu Neuem, so wird, ohne sich selbst zu preisen, ihre Kapazität wachsen.
05-06 Nach vier Gesichtspunkten zur Qualität wird die quantitative Macht des Paradoxen auf prägnanteste Weise enthüllt: "Reduktion resultiert in Erlangen, Zuwachs in Verblendung"!
Zur
Verdeutlichung bedient sich Wáng
Bě 王弼 der
Metapher des Baumes: je höher der Baumwipfel, umso weiter ist er von der Wurzel
entfernt, je niedriger aber, umso besser erhält er die Wurzel ...
Vermindern lässt die Wurzel erhalten, steigern bedeutet: weiter von seiner
wahren Natur entfernt, daher in wirrer Verblendung.
07-18:
Darum halten sich Weise an die Einheit,
und werden aller Welt zum Vorbild:
Nicht selbstgefällig,
darum erleuchtet,
nicht selbstgerecht,
so herausragend,
nicht selbstrühmend,
darum verdienstvoll;
nicht selbstbewundernd,
so überdauernd.
Gerade weil nie im Wettstreit,
darum kann niemand
auf der Welt
mit ihnen streiten.
07-08 Diese Erläuterungen in all ihren qualitativen und quantitativen Facetten werden nun auf das Herrschen eines idealen Anführers übertragen: wenn sie dem Einen innewohnen können und die Einheit der Gegensätze in Ehren halten, dann können sie als Vorbilder angesehen werden, dann können sie als weise Herrscher agieren und das Reich vorbildlich gestalten.
09-16 Wáng Bě's 王弼 obengenannten vier Maxime, nicht
[ auf sich selbst bedacht,
[ selbstgerecht,
[ sich selbst rühmend und
[ bewundernd zu sein,
führt weise Herrscher zu Erleuchtung, Hervortreten, Verdiensten und ebenso zu Stehvermögen und Standhaftigkeit.
17-18 Handeln durch Nichthandeln, die Selbstbescheidung durch
Nichteingreifen, die hohe Kunst des Nichtwettstreitens (ch.
73)
lässt Leitende leiten durch Nichtleiten: unaufdringlich und fast unbemerkt,
genießen ihre Untertanen Selbstregulierung und Frieden.
Nur
da Weise niemals wettstreiten, kann niemand mit ihnen in Wettstreit treten (Pazifismus)!
"Negative Tugendhaftigkeit", bestimmt durch das was man unterlässt, vermag
positive Ziele und Zwecke zu setzen, mit Anklängen an die Bergpredigt [Wing-tsit
Chan].
19-21:
Der Spruch der
Alten:
'Teilweise, dann vollständig',
wie könnte das wohl leeres Gerede sein!
Wahrlich,
ungeteilt ...
kehren sie zurück zum Dŕo.
19-21 Die
Zitate aus uralter Zeiten werden wiederum bestätigt; Lǎozĭ stellt
die rhetorische Frage, ob Vom
Teil zum Ganzen und
die anderen Beispiele denn
bloß leere Worte sein könnten?
Aufgrund ihrer wahren, echten Ganzheit werden alle Wesen (Anführer und
Untertanen) heimkehren, zurück zu ihren Wurzeln, das Eine zu empfangen, heim in
den Schoß des Dŕo.
Das Dŕo als Werkzeug: einem Kompass gleich,
"wacht das große Eine über die Bestimmung unter dem Himmel" [Ren,
1993].
[
23 - Nachhaltigkeit des Dŕo
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
希言自然。
xī yán zě rán 。
故飄風不終朝,驟雨不終日。
gů piāo fēng bú zhōng cháo ,zhňu yǔ bú zhōng rě 。
孰為此者﹖天地。
shú wéi cǐ zhě ﹖tiān dě 。
天地尚不能久,而況於人乎﹖
tiān dě shŕng bú néng jiǔ ,ér kuŕng yú rén hū ﹖
故從事於道者,同於道。
gů cóng shě yú dŕo zhě ,tóng yú dŕo 。
德者同於德。
dé zhě tóng yú dé 。
失者同於失。
shī zhě tóng yú shī 。
同於道者道亦樂得之;
tóng yú dŕo zhě dŕo yě lč dé zhī ;
同於德者德亦樂得之;
tóng yú dé zhě dé yě lč dé zhī ;
同於失者失於樂得之。
tóng yú shī zhě shī yú lč dé zhī 。
信不足焉有不信焉
xěn bú zú yān yǒu bú xěn yān
Die Selbstregulation der Natur wie auch der natürliche Weg, der inneren Wahrheit zu folgen, zeigen ähnlich wortlose Nachhaltigkeit.
Mit Dŕo, mit Dé?!
Erlangen oder verlieren sie?!
01-07:
Wenig Worte machen – der Weg der Natur.
So dauern Wirbelwinde nicht den Morgen,
noch dauern Platzregen den ganzen Tag.
Wer derlei bewirkt?
Himmel und Erde!
Sind gar Himmel und Erde
nicht imstande zur Dauer,
so umso weniger der Mensch, wie?
01 Worte
über den Weg sind schal und fade (Kap.
35),
darum sind die letztgültigen Hinweise der Natur unhörbar (Kap.
14).
"Viele
Worte erschöpfen sich häufig" (Kap.
05): Zerreden
hemmt, Spontaneität löst.
02-03 Wirbelstürme und Wolkenbrüch dauern, wie alle Extreme, nicht lange an:
"Sunrise doesn't last all moring,
A cloudburst doesn't last all day..."
[Beatles].
„Nichts ist so beständig wie der Wandel” [Heraklit], die Konstante im Universum heißt Evolution!
04-07 Wenn sogar die Urheber jener heftigen Ausbrüche, Himmel und Erde, diesem Gesetz des Wandel unterliegen, wie könnten dann Menschen dazu befähigt sein, "eine eingreifende Staatsführung lange aufrecht zu erhalten?" [Wagner].
08-11:
Daher behandele
Angelegenheiten
mit Dŕo:
jene, die Dŕo folgen, werden eins mit Dŕo;
jene, die Innerer
Kraft folgen,
werden eins mit Innerer Kraft;
jene, die beider Verlust
folgen,
werden eins mit deren Verlust.
08-09 Darum
behandelnd weise Menschen (und Herrscher) ihre Angelegenheiten in
Übereinstimmung mit dem Dŕo – da
alle Wesen durch
Dŕos formlose und nicht-eingreifende Anleitung (Kap.
02)
und seine wortlose, "unausgesprochene" Lehre vollendet
werden.
Es
belässt dabei allen anderen Wesen ihre wahre Natur [*Wáng
Bě 王弼].
Jene, welche dem Vorbild des Weisen folgen und den Weg des Dŕo
praktizieren, werden substantiell identisch mit ihm.
10-11 Jene,
welche – da
sie ihrer Inneren Kraft folgen! – das
Dŕo [ihre
Wurzel, ihre 'wahre Natur'; Kap.
22]
erlangen, d.h.
durch Vermindern ihre
Wurzel erlangen (ch.
22),
werden substantiell mit dem Erlangen (und
mit ihrer Inneren
Kraft!) identisch
werden.
Entsprechend werden jene,
welche das
Dŕo verlieren (und
ihre Wurzel durch Vermehren), werden substantiell mit dem Verlust
identisch werden.
12-17:
Jene, die eins mit Dŕo sind,
erlangt auch gern das Dŕo;
jene, eins mit Inneren Kraft
erlangt auch gern die Innere Kraft;
jene, eins mit Verlieren des Dŕo:
erlangt auch gern der Verlust.
12-13 Jene
Anhänger, welche nun identisch mit dem Dŕo sind, werden sozusagen
'freudig' vom Dŕo selbst aufgenommen und angeeignet.
Das Dŕo wird 'sich ihnen entgegen bewegen, sie fördern und ihr Streben
vollenden und sich freuen, sie zu erhalten' [von
Strauß].
14-15 Jene, die nun eins sind mit der Personifizierung des (Dŕo) Erlangens (mittels Innerer Kraft), werden 'freudig' vom Erlangen selbst (und Dé) aufgenommen und angeeignet.
16-17 Jene, die nun eins sind mit der Personifizierung des (Dŕo) Verlierens, werden 'freudig' vom Verlust selbst aufgenommen und angeeignet.
Wáng
Bě's
Kommentar "Dies
meint: Er passt sich ihrer Gepflogenheit an. Deshalb macht er [sie] identisch
mit [dem Weg, der Erlangung, oder dem Verlust] dadurch, dass sie ihnen
entsprechen."
...'unzufriedenstellend' aus Wagner's
Sicht:
"Er
passt sich ihrer Gepflogenheit an..."
ist nicht der typische Weg einer "expliziteren Sprache, in welcher die meisten
der ursprünglichen Ingredienzien des Textes noch sichtbar sind." etc. [Wagner 2003
p. 445-446].
18:
Wenig Vertrauen
entfalten,
wenig Vertrauen
erhalten!
18 Wo
das Vertrauen fehlt, spricht der Verdacht.
Wie
schon in Kap. 5,
dort eher auf die Beziehung zwischen Herrscher und Untertan bezogen, hier mehr
im allgemeinen:
Nicht genug Vertrauen schenken
heißt kein Vertrauen erfahren, was?
Als das volle Vertrauen der Anführer im Altertum verloren ging, stiegen die
Zweifel der Untertanen.
Vertrauen,
als ein gegenseitiges, kostbares und feinsinniges Gefühl der Verbundenheit, kann
leicht zerstört werden, zur Abwesenheit aller Glaubwürdigkeit hinüberwechseln.
Vgl. 論語 Lún
yǔ (Analekten)*
* * *
*Kǒng fū zǐ 孔 夫 子 Confucius / Konfuzius
[
24 - Meidung der Raffinesse
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
企者不立;跨者不行。
qǐ zhě bú lě ;kuŕ zhě bú háng 。
自見者不明;自是者不彰。
zě jiŕn zhě bú míng ;zě shě zhě bú zhāng 。
自伐者無功;自矜者不長。
zě fá zhě wú gōng ;zě jīn zhě bú zhǎng 。
其在道也曰:餘食贅形。
qí zŕi dŕo yě yuē :yú shí zhuě xíng 。
物或惡之,故有道者不處。
wů huň č zhī ,gů yǒu dŕo zhě bú chů 。
Teils unter Rückgriff auf Kap. 22, entlarvt das Dŕodéjīng hier unnatürliche Eigenschaften und schwülstiges Verhalten vor dem Hintergrund des Dŕo.
01-06:
Auf Zehenspitzen steht man nicht,
mit gespreizten Schritten geht man nicht.
Selbstbeachtend wird man nicht erleuchtet,
selbstgerecht nicht erhellend.
Selbstrühmende bleiben ohne Verdienst,
Selbstbewunderer überdauern nicht.
01-02 Zwei
neue Beispiele vermeintlicher Selbsterhöhung werden den bereits aus Kap.
22 bekannten
vorangestellt:
Erkünstelte Versuche, einen höheren Rang oder eine weiterführende Position zu
ergattern sind zum Scheitern verurteilt:
Ein Herrscher "der einen hohen Stand
einnimmt, wird nicht standhalten". Die anderen Wesen [seine Untertanen] werden
[, als eine Konsequenz seines Beispiels,] solch [eigenes] Vorgehen bedenken und
konsequenterweise [ihn] [seine] Sicherheit verlieren lassen." [*Wáng
Bě 王弼 / Wagner].
Ein Herrscher "der zu großen Schritten
neigt, wird nicht vom Fleck kommen". [Ein Herrscher] der sich selbst vorzeigt,
wird nicht erleuchtet. [Ein Herrscher] der selbstgerecht ist wird sein
[rechthaben] nicht aufleuchten lassen. [Ein Herrscher] der angibt, wird [seine]
Leistungen nicht unbestritten haben. [Ein
Herrscher] der sich selbst preist, wird [sein Fassungsvermögen] nicht wachsen
lassen. Im Hinblick auf den Weg nenne ich diese [Einstellungen] 'Essensreste'
und 'überflüssige Handlungen'." [*].
03-06 Diese
Zeilen 24.03.-24.06. stellen
formal beinahe perfekte Inversionen des Inhaltes in den Zeilen(-paaren) 22.09.-22.16. dar,
mit 者 zhě an
Stelle von 故 gů – plus 24.05.
無 wú für 22.14. 有 yǒu,
natürlich!
Konsequenterweise
stellen 馬王堆 Mǎwángduī A+B
Kap. 24 zwischen
21 und 23.
In Kap.
22 zeigt Lǎozĭ,
wie negative Züge
wie selbstgefällig,
selbstgerecht, selbstrühmend, selbst-bewundernd nicht zu besitzen zu positiven
Konsequenzen führt: erleuchtet, herausragend, verdienstvoll, überdauernd.
Hier demonstriert der 'Alte Meister' umgekehrt,
wie diese negativen Züge zu besitzen dazu führt, jene gleichen positiven
Eigenschaften nicht zu haben!
07-10:
Im Hinblick auch auf das Dŕo heißt dies:
übertriebene Kost, schwülstiges Gebaren –
die Geschöpfe mögen das verabscheuen,
darum verweilen Dŕo-Befolger da keineswegs.
07-10 Die
abstrakteren Empfehlungen in Kap.
29, Übersteigerung,
Übertreibung und Übermaß zu meiden, werden hier als Folgerungen aus den
obengenannten Korrelationen verdeutlicht – in
Anbetracht des Dŕo:
Eitles,
anmaßendes, nach vorne drängendes, schwülstiges Verhalten ist widerlich ... wie
übrig gelassene Speise, grundsätzlich gut, aber mittlerweise verdorben.
Alle Geschöpfe verachten überflüssiges, überladenes Gebaren als überschießende
Wucherungen.
[
25 - Größe des Dŕo
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
有物混成先天地生。
yǒu wů hún chéng xiān tiān dě shēng 。
寂兮寥兮獨立不改,
jě xī liáo xī dú lě bú gǎi ,
周行而不殆,可以為天下母。
zhōu háng ér bú dŕi ,kě yǐ wéi tiān xiŕ mǔ 。
吾不知其名,強字之曰道。
wú bú zhī qí míng ,qiáng zě zhī yuē dŕo 。
強為之名曰大。
qiáng wéi zhī míng yuē dŕ 。
大曰逝,逝曰遠,遠曰反。
dŕ yuē shě ,shě yuē yuǎn ,yuǎn yuē fǎn 。
故道大、天大、地大、人亦大。
gů dŕo dŕ 、tiān dŕ 、dě dŕ 、rén yě dŕ 。
域中有四大,而人居其一焉。
yů zhōng yǒu sě dŕ ,ér rén jū qí yī yān 。
人法地,地法天,天法道,道法自然
rén fǎ dě ,dě fǎ tiān ,tiān fǎ dŕo ,dŕo fǎ zě rán
Einmal mehr eines von jenen Kapiteln ... wo Lǎozĭ versucht, das Unerforschbare zu erforschen das Unnennbare zu bezeichnen und das Entschwinden zu entbergen.
[ In Kap. 14, nutzt er negative Ausführungen, sich der Reinen Anschauung zu nähern.
[ In Kap. 21 finden wir seine visionäre Weitsicht poetisch zwischen den Zeilen.
[ In Kap. 25 ist der Weg zur Substantialität des Absoluten mit der Kraft der Poesie und der ästhetischen Versenkung.
01-05:
Es gab eine Wesenheit,
nebelhaft und vollendet,
vor Himmel und Erde
entstanden.
Lautlos, ach, und leer,
eigenständig und unwandelbar,
allumkreisend,
doch unerschöpflich:
so mag es gelten
als der Welt Urmutter.
01-02 In der "Achsenzeit" [Jaspers, 1949, after Anquetil-Duperron, 1771, v. Strauß, 1859 (!) & v. Lasoulx, 1870], die Philosophie tauchte unabhängig voneinander in mehreren Hochkulturen auf, "also sprachen": Zarathustra, Konfuzius, Lǎozĭ, Buddha, die Propheten und die Vorsokratiker.
In der "mythologisch-evolutionären" Kosmogonie des Dŕodéjīng, auf den Schultern von Schöpfungsmythen, entschwindet der letztgültige Anfang in den Bodennebel jener Periode, bevor die Urmutter von Himmel und Erde entstand, via die perfekte Sym-metrie der Großen Vereinheitlichung, zurück zum Ur-Chaos der "formloser Form", der unvermeidlichen Leere des Nicht-Seiendheit und in die Transzendenz des Absoluten Nichts.
03-05 *Wáng Bě 王弼 erläutert Lǎozĭ's Adjektive:
[ Leer: und still ist das Dŕo: "ohne Form und Substanz";
[ allein: "keines anderen Wesens Gefährte";
[ unveränderlich: "seine ewige Essenz niemals verlierend";
[ reisend: ringsum zu jedem Ort, "doch weicht jeglicher Gefahr".
Somit: Dŕo ist "die Mutter von Himmel und Erde", in der Lage, seine "Große Form" intakt zu halten [*Wagner, p. 448].
06-08:
Ich weiß seinen Namen nicht,
es zu bezeichnen, nenne ich es Dŕo,
genötigt, ihm einen Namen zu geben,
nenne ich es groß.
06-08 Es kann keinen zeitlosen Namen für Dŕo geben (Kap. 01):
[ Seine Gestalt zu umgrenzen, da jedwedes transzendente, unbegreifliche Etwas "sich aus dem Unscharfen vollendet!" und "ohne Form" ist. (Kap. 41).
[ Ein zeitweiser praktikabler Verlegenheitsname, als bloße Bezeichnung, sei der Weg (Dŕo), weil "es keine Wesen gibt, die nicht auf ihm gründen".
[ Einen ersten Eindruck seiner Natur, seines Wesenskerns und seiner Substanz anzudeuten, sei eine (erzwungenermaßen) zweite Bezeichnung Groß ("auf der Durchreise": kein Ort, zu dem er nicht Zugang findet).
09-11:
Groß meint fortgehen,
fortgehen meint weitreichend,
weitreichend meint zurückkehren.
09-11 Bedeutungen:
[ Groß meint "auf der Durchfahrt" (Reisen): nicht auf eine Substanz alleine festgelegt, es gibt keine Stelle, zu dem es nicht gelangt [*]:
[ Auf der Durchreise meint weithin gelangen: "das ferne Ende erreichen", nicht voreingenommen oder eingeschränkt zu sein in einseitige Richtungen.
[ Weitreichend meint zu den Wurzeln zurückzukehren, zu seiner zeitlosen Natur.
12-13:
Daher sind das Dŕo groß, der Himmel
groß,
die Erde groß, auch weise Könige groß.
Das Reich der Mitte hat vier Große,
auch der König weilt als deren einer
wohl!
12-13 Die
Großen werden zunächst absteigend betrachtet: vom
Abstrakten zum Konkreten, von Hohen zum Niedrigen, unter Berücksichtigung ihrer
Kraft.
Unter dem Dŕo sind der Himmel, dann die Erde, und auch – doch
nicht dem ersten Anschein nach dŕoistisch klingend – der
König ("Sohn des Himmels"), als
höchster Repräsentant des Menschen.
Der Herrscher verdient nicht bloß durch seine Position, groß genannt zu werden,
d.h. sein Amt, sondern, falls mit
den anderen zusammengehörig, als ein großer Vermittler zwischen
den drei Großen.
14-17:
Menschen folgen der Erde,
die Erde folgt dem Himmel,
der Himmel folgt dem Dŕo,
das Dŕo folgt der eigenen Natur.
14-17 Nun
werden die Großen aufsteigend betrachtet: vom König als dem
Stellvertreter der Menschen, welcher der Erde als Vorbild, Norm und Anleitung
folgt, zur Erde, die dem himmlischen Wegweiser folgt, zum Himmel, welcher der
Führung durch das Unbezeichenbare folgt, "das Jenseitige" genannt – Dŕo [*].
Dŕo, als Sein-an-sich,
schon im Chaos vollendet, folgt schließlich seinem eigenen Weg: wegen
seines äußersten Freiheitsgrades, von selbst, spontan, ... ganz natürlicherweise.
[
26 - Gelassenheit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
重為輕根,靜為躁君。
zhňng wéi qīng gēn ,jěng wéi zŕo jūn 。
是以君子終日行不離輜重。
shě yǐ jūn zǐ zhōng rě háng bú lí zī zhňng 。
雖有榮觀燕處超然。
suī yǒu róng guān yŕn chů chāo rán 。
奈何萬乘之主而以身輕天下。
nŕi hé wŕn chéng zhī zhǔ ér yǐ shēn qīng tiān xiŕ 。
輕則失根,躁則失君。
qīng zé shī gēn ,zŕo zé shī jūn 。
[ Das Vorbild des Weisen mag den idealen Herrscher formen, Gelassenheit (Kap. 16) und Innere Kraft (Kap. 54), Reinheit und Ruhe (Kap. 45) auszubilden [Hán Fēizǐ 韓非子, ch. 21].
[ Der Weise weist den Weg, wie die Quellen der Selbstsucht und die Fallen der Versuchung zu vermeiden sind (Kap. 44, 46), und Schwierigkeiten gelöst werden, noch bevor sie entstehen (Kap. 63, 64).
[ Sie weisen ihnen die Richtung zu einer wohlausgewogenen Harmonie aus Seriosität und Serenität.
01-02:
Schwere dient als des Leichten Wurzel,
Ruhe als Meisterung der Unruhe.
Wir folgen hier einigen Veranschaulichungen des unüberbietbaren Victor v. Strauß (1870!):
01 Das schwere Gebirge trägt den Wald, dessen Holz die leichten Blätter und Blüten, aus schwerem Gewässer steigt der leichte Wolkendunst empor – diese Paradigmen zeigen auf: das Schwere ist der Fels des Schwerelosen.
02 Das unbewegliche Strombett gebietet dem Lauf des beweglichen Wassers, am festen Gemäuer bricht sich der unruhige Wind – diese Paradigmen zeigen auf: Herr des Unruhigen ist das Ruhende.
03-06:
Somit wandern Weise den ganzen Tag,
ohne ihres Gepäckes Schwere zurückzulassen.
Obschon sie glänzenden Aussichten haben,
bleiben sie gelassen und überwinden sie so.
03-04 Der
Weise wird wandeln den ganzen Tag, ohne seine
Schwere zu verlassen: nur das nötigste Gepäck, die Bürde ihres Lebens, ihren heiteren
Ernst.
Wahre Herrscher verlassen nicht die Regeln der Verantwortlichkeit.
05-06 Weise Menschen, weise Herrscher werden weder abgelenkt von prachtvollen Villen und günstigen Aussichten, noch von verlockenden Türmen und gewaltigen Versuchungen. sie bleiben ruhig und zurückhaltend [* Wáng Bě 王弼], gemächlich und gleichmütig [Chan], still und ungestört [Duyvendak], gelassen wie der Flug einer Schwalbe [v. Strauß].
07-10:
Wie könnten
Herrscher
über abertausenden Kampfwagen
aus purer Selbstsucht
alle Welt zu leicht nehmen?
Leichtfertig verliert man die Wurzeln,
hastig die Herrschaft.
07-08 Zehntausend Kampfwagen stellen die Macht des Kaisers dar: selbstsüchtige Herrscher sind der eigenen Person gegenüber leichthin und leichtsinnig, ungestüm und unbedacht.
09-10 "Das
Leichte [und Ungestüme] kann das Schwere [und ruhige] nicht niederdrücken. 'Er
wird die Basis verlieren' meint, er wird seiner eigenen Person schaden. 'Er wird
seine fürstliche [Stellung] verlieren' meint er wird seine Position als Fürst
verlieren." [*].
Darum werden sie die grundlegenden Wurzeln verlieren, ebenso ihre hoheitliche
Stellung, und hierdurch ihre Integrität, und dabei ihre Redlichkeit – ohne
die schweren Gewässer und das unbewegliche Strombett ...
[
27 - Wahre Meisterschaft
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
善行無轍跡。善言無瑕謫。
shŕn háng wú zhé jě 。shŕn yán wú xiá zhé 。
善數不用籌策。善閉無關楗而不可開。
shŕn shů bú yňng chóu cč 。shŕn bě wú guān jiŕn ér bú kě kāi 。
善結無繩約而不可解。
shŕn jié wú shéng yuē ér bú kě jiě 。
是以聖人常善救人,故無棄人。
shě yǐ shčng rén cháng shŕn jiů rén ,gů wú qě rén 。
常善救物,故無棄物。是謂襲明。
cháng shŕn jiů wů ,gů wú qě wů 。shě wči xí míng 。
故善人者不善人之師。不善人者善人之資。
gů shŕn rén zhě bú shŕn rén zhī shī 。bú shŕn rén zhě shŕn rén zhī zī 。
不貴其師、不愛其資,
bú guě qí shī 、bú ŕi qí zī ,
雖智大迷,是謂要妙。
suī zhě dŕ mí ,shě wči yŕo miŕo 。
Dieses Kapitel zeigt den dŕoistischen Weg auf, Güte und Wirksamkeit in praktischen Aufgaben zu verstehen, im Behandeln von Menschen und anderen Kreaturen, sowie in Lehre und Erziehung.
01-07:
Gute Wanderer
hinterlassen weder Spur noch Fährte,
gute Redner
sind ohne Fehl und Tadel;
gute Rechner
nutzen weder Zählmarken noch Schreibtafel,
gute Schlosser
brauchen weder Schloss noch Riegel –
doch nicht zu öffnen;
gute Knüpfer
nehmen weder Schnur noch Knoten –
doch nicht zu öffnen.
Dŕo's Weg, Probleme zu lösen, ist nicht
ausgeklügelt, sondern einfach: künstliche Mittel werden vermieden, natürliche,
einfache, bescheidene Lösungen bevorzugt, oftmals unter Nutzung der verborgenen
Kraft des Paradoxen.
Wir
folgen hier Wáng
Bě 王弼 "selbst"(!): der
Weise lässt, ohne einzugreifen oder zu initiieren, die Leute in ihrer
natürlichen Spontaneität handeln.
01 Darum erreichen Fußreisende oder Reisende mit Gepäckkarre "ihre Ziele, doch gibt es keine Spuren": anleitende Spuren des Weisen.
02 "Untadelig" wird sein, dessen Sprechen sich "an die Natur anderer Wesen anpasst ... ohne sie zu analysieren".
03 Gute Rechner benötigen keine 'Rechenstäbe' oder andere künstlichen Mittel wie ein Kerbholz, aber 'es geht auf' ... [die Berechnungen].
04-05 "In der Einfachheit zeigt sich der Meister": ein meisterlicher Schließer (Schlosser) ist in der Lage, höchst einfach und verlässlich zu verschließen, ohne Schloss und Riegel [Schloss und Haken] zu verwenden.
06-07 Schnüre
binden ohne Knoten und "doch kann der Knoten nicht
gelöst werden": der Weise "rüstet
anderen Wesen weder auf noch veranlasst er sie etwas zu tun".
Wie in allen fünf Beispielen werden die Leute nicht kontrolliert, so können sie
ihrer eigenen Natur folgen.
08-13:
Darum sind Weise ...
stets gute Behüter der Menschen,
dabei ohne Menschen je aufzugeben,
stets auch gute Hüter der Geschöpfe,
dabei ohne Geschöpfe je aufzugeben.
Dies heißt: der Erleuchtung folgen.
Dŕoistischer "Humanismus" ist nicht auf der Regulierung menschlichen Verhaltens durch Bestrafung gegründet, sondern auf dem Lernen am Vorbild und auf Einfühlung; niemals wird die Würde des Menschen [Simon] preisgegeben (Kap. 49).*
08-09 Nach Güte in individuellen Fähigkeiten (01-07), wendet sich Lǎozĭ der sozialen Güte zu: Weise sind Menschen, die anderen Menschen helfen, sie gar retten. Diese Güte ist beständig, diese Hilfe ist eine Art, sie zu retten.
10 Keine Einschränkungen, keine Bedingungen, keine Abschottung: dŕoistische Hilfe meint, alle Menschen zu retten: niemals jemanden aufzugeben.
11-12 Dŕoistische Hilfe meint auch, alle Geschöpfe zu retten: niemals eine Kreatur aufzugeben.
13 Dieses (er-)retten von Mensch und Geschöpf – die Menschenwürde und die Würde allen Lebens zu retten – geschieht
[ in Übereinstimmung mit,
[ in Harmonie mit,
[ auf der Grundlage von
Erleuchtung und spiritueller Klarheit.
14-18:
So sind Gute
die Lehrer der Nicht-Guten,
Nicht-Gute die Herausforderung der Guten.
Ihre Lehrer nicht ehren,
ihre Herausforderung nicht lieben:
trotz Wissen große Verblendung;
dies bedeutet ein wesentliches Geheimnis.
Lehren
ist nicht bloße Wissensvermittlung, sondern Lernen am Vorbild, in 'modernem'
motivierenden Stil.
Erziehung ist Hingabe von beiden Seiten, Lehrer und Schüler, in gegenseitiger
Erleuchtung.
14-15 Gute und schlechte, Lehrer und Schüler, jeder des anderen Aufgabe, teilen eine herausfordernde 'Win-win-Situation'; somit sind sie aus dŕoistischer Sicht jeweils des anderen Schatz.
16-17 Diesen Guten, als Vorbild Lehrenden zu ehren, und diesen nicht so Guten, einen herausfordernden Schatz darstellenden, zu lieben: diese Konstellation ist ausschlaggebend; ohne solch Ehren und Lieben: reine Belehrung, bloße Verblendung. [Hán Fēizǐ 韓非子, ch. 21].
18 Dieser
Abschnitt (14-18) ist voll tiefer Weisheit:
要妙 Wesentliches
Geheimnis [W,
H, F],
妙要 Geheimnis
des Wesentlichen [M, m, B].
------------------------------------
*"Die Würde des Menschen ist unantastbar." Deutsches Grundgesetz, §1; Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
[
28 - Visionäre Kraft
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
知其雄,守其雌,為天下谿。
zhī qí xióng ,shǒu qí cí ,wéi tiān xiŕ jī 。
為天下谿,常德不離,復歸於嬰兒。
wéi tiān xiŕ jī ,cháng dé bú lí ,fů guī yú yīng ér 。
知其白,守其黑,為天下式。
zhī qí bái ,shǒu qí hēi ,wéi tiān xiŕ shě 。
為天下式,常德不忒,復歸於無極。
wéi tiān xiŕ shě ,cháng dé bú tuī ,fů guī yú wú jí 。
知其榮,守其辱,為天下谷。
zhī qí róng ,shǒu qí rǔ ,wéi tiān xiŕ gǔ 。
為天下谷,常德乃足,復歸於樸。
wéi tiān xiŕ gǔ ,cháng dé nǎi zú ,fů guī yú pǔ 。
樸散則為器,聖人用之則為官長。
pǔ sŕn zé wéi qě ,shčng rén yňng zhī zé wéi guān zhǎng 。
故大制不割。
gů dŕ zhě bú gē 。
[ Dŕo lässt die Innere Kraft des Dé von unten und die Harmonie von Yin und Yang von innen wirken, die Geschöpfe heimzuführen zu Unbegrenztheit und Ursprünglichkeit.
[ Als Herrscher führen Weise im schlichten Geist des Dŕo, von niederstem Strombett aus (Kap. 61), meisterlich alle Wesen in milder Hingabe.
[ Die
ersten drei Abschnitte folgen perfekt parallel dem poetischen Muster:
Kenne - bewahre - bilde - beständig - zurück ... von
den Gegensatzpaaren 'Mannheit / Weibheit', 'Helligkeit / Dunkelheit', und 'Gunst
/ Ungunst' heim zu Kindlichkeit, Unendlichkeit, und Ursprünglichkeit!
01-06:
Kenne deine männlichen,
bewahre deine weiblichen Züge:
Bilde das Strombett der Welt.
Bilde das Strombett der Welt,
beständige Innere Kraft verlässt dich nicht:
Kehre zurück, heim zur Kindlichkeit.
Die Seele ist androgyn, mit Yin und Yang in harmonischer
Entfaltung.
Buchstäblich symbolisieren Hahn (vorn) und Henne (im Hintergrund) Männlichkeit (Yang:
die sonnige Seite des Hügels) und Weiblichkeit (Yin:
die schattige Seite des Hügels).
01-03 In Bewusstheit seiner männlichen Züge, jedoch die weiblichen Züge bewahrend, wird Yang weise von Yin abgemildert, und erweist sich als Talgrund, als der Welt Strombett: Zusammenfluss aller Ströme und aller Geister (Kap. 61, 66).
04-06 Als Strombett der Welt wird die Innere Kraft stetig und nachhaltig den anderen Wesen dabei dienstbar sein, zur Makellosigkeit eines neugeborenen Kindes zurückzukehren (Kap. 55), großen Reichen dabei, unter die kleinen Staaten hinabzufließen, um sie zu gewinnen (Kap. 61).
07-12:
Kenne deine helle,
bewahre deine dunkle Seite:
Bilde das Leitbild der Welt.
Bilde das Leitbild der Welt,
beständige Innere Kraft wird nicht weichen:
Kehre zurück, heim zur Unendlichkeit.
07-09 In Bewusstheit der Helligkeit, Klarheit und Prägnanz des Yang, doch unter Wahrung der Dunkelheit, Unklarheit und Weitschweifigkeit des Yin: so werden weise Menschen zum Vorbild der Welt.
10-12 Als Vorbild der Welt wird die Innere Kraft nicht vom Großen Einen abweichen: verborgen und unscheinbar wird die Kraft der Integrität und Tugendhaftigkeit, unbefangen uns frei von Absicht, zum Ultimativen Nichts zurückkehren. [„Unendlichkeit“, Mair 1990, S. 93]
13-18:
Kenne deine Gunst,
bewahre deine Ungunst:
Werde der Welt Talgrund.
Bilde den Talgrund aller Welt,
so wird beständige Innere Kraft reichlich:
Kehre zurück, heim zur Ursprünglichkeit.
13-15 In
Bewusstheit der Gunst, des Ruhmes und der Größe des Yang, jedoch unter Wahrung
der Ungunst, Namenlosigkeit und Bescheidenheit des Yin:
so werden weisen Menschen zum Talbett
der Welt.
16-18 Als Talbett der Welt werden sie hinreichend genug Innere Kraft besitzen, zur ursprünglichen Einfachheit des 樸 pǔ zurückzukehren, jenem 'Rohholz' der schlichten Natürlichkeit (Kap. 32, 37, 57).
19-22:
Das Ursprüngliche, einmal aufgelöst,
wird bloßes Werkzeug.
Weise Menschen aber
werden zu wahren Hoheiten.
Denn Großes Schnitzwerk reift ohne Späne.
Das Schmucklose ist die Wahrheit der Einfachheit in der Natürlichkeit.
19-21 Einmal
zergliedert, wird dieses schnörkellose 'Rohholz'
zu einem bloßen Werkzeug, zum Instrument einer
Absicht, wie Beamte als Mittel des Staates; somit wird die ursprüngliche
Einfachheit zerstört.
Weise aber entfalten sich dann zu hohen Würdenträgern,
als Herrscher zu einer wahren Hoheit auf lange Zeit.
22 Daher
führt der Weise nicht durch schieres Wissen und politische Gerissenheit, sondern
durch geniale Schlichtheit und herrscht mittels Milde und Anspruchslosigkeit,
in hingebungsvoller Demut:
"In der Beschränkung zeigt sich der Meister!
_______________
* "Älteste Beamte"
[
29 - Nichteingreifen
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
將欲取天下而為之,吾見其不得已。
jiāng yů qǔ tiān xiŕ ér wéi zhī ,wú jiŕn qí bú dé yǐ 。
天下神器,不可為也,
tiān xiŕ shén qě ,bú kě wéi yě ,
為者敗之,執者失之。
wéi zhě bŕi zhī ,zhí zhě shī zhī 。
夫物或行或隨、或歔或吹、
fū wů huň háng huň suí 、huň xū huň chuī 、
或強或贏、或挫或隳。
huň qiáng huň yíng 、huň cuň huň huī 。
是以聖人去甚、
shě yǐ shčng rén qů shčn 、
去奢、去泰。
qů shē 、qů tŕi 。
[ Das Nicht-Eingreifen ist entscheidend für die Entfaltung der Geschöpfe wie auch der Gemeinschaften: aufgrund der geistigen Wesen "unter dem Himmel".
[ So er Vielfalt und Wandelbarkeit aller Dinge und Wesen wertschätzt, hält sich der Weise an den Pfad der Mitte und die Würde des Menschen.
01-02:
Solltest du planen, alle
Welt einzunehmen
und in sie einzugreifen?
Ich sehe das letztendlich misslingen.
01-02 "Alle
Welt" (Alles unter dem Himmel) meint auch im relativ abgeschottenen alten China
... das Chinesische Reich!
Den Staat ergreifen,
das Reich übernehmen: wer das versucht, wird es nicht durch irgendwelches
Eingreifen (zu viel in Tätigkeit treten) erreichen,
noch mittels gewaltsamer militärisch-politischer Einverleibung, sondern
ausschließlich durch "Handeln ohne zu handeln" 無為 wú (ch.
48).
Waffen sind von schlechten Vorzeichen begleitete Werkzeuge, und man kann sein
Ziel nicht
durch (Freude am) Töten erreichen (ch.
30, 31).
03-06:
In die Welt als Geistgefäß
kann man auch nicht einzugreifen:
Eingreifende zerstören,
Ergreifende verlieren es.
03-04 Das
Reich ist nicht bloß ein Ding – es
ist ein Gefäß voller Geist!
Geistig meint "ohne Form" (ch. 41),
ein Gefäß ist eine Kombination aus etwas Formlosem mit einer Form, der
gestaltlose Geist füllt die Gestalt aus Materie: wie
die Menschenwesen ist auch die Welt ein Gefäß voller Geist.
Man kann nur auf eine Form einwirken,
jedoch nicht auf ein formloses Etwas; darum ist es hoffnungslos, in ein Reich
einzugreifen ... und daran festzuhalten.
05-06 Weil
es der Natur der Abertausend Wesenheiten entspricht, über spontane
Selbstregulierung zu verfügen 自然 zě rán,
kann man empfänglich für sie sein und sie durchdringen, aber nicht auf sie
einwirken oder sie zu etwas veranlassen [Wáng
Bě 王弼].
In sie eingreifen wird unvermeidlich den Kern ihrer gestaltlosen und zeitlosen
Natur zerstören,
daher muss das Einnehmen eines Staates (als einer Vielzahl von Wesen) es
unvermeidlich verlieren.
07-10:
So gehen manche Wesen voran, andere folgen,
manche prusten, andere pusten,
manche kräftig, andere schwach,
manche zerstören, andere werden zerstört.
07-10 Individuelle
und über-individuelle Vorgänge demonstrieren die Wandelbarkeit von allem.
Wenn nicht von außen angestoßen oder eingegriffen wurde [Wáng
Bě 王弼],
folgen sie den Wahlmöglichkeiten auf ihrem Weg, zunächst erstarkend, später
alternd und aus dem Leben scheidend (ch.
30).
Vier antithetische, parallele Gegenüberstellungen zeigen
Vielfalt und Bestimmung aller Geschöpfe an; folglich wird ein weiser Herrscher
die eigene Natur seiner Untertanen fördern
und ebenso die Selbst-Entfaltung des Staates ...
und beide weder täuschen noch verwirren.
11-13:
Daher meiden die Weisen
Übersteigerung,
Übertreibung,
Übermaß.
11-13 Als Schlussfolgerung aus den obengenannten Einsichten schätzen der Weise – und der weise Herrscher – die Natur aller Kreaturen; konsequenterweise vermeiden sie alle Arten des Zwangs, jegliches Handeln außerhalb der natürlichen Angleichung, allen "Verlust der Mitte":
[ sie vermeiden, Exzesse zu begehen, sie streben nicht hoch hinauf,
[ sie meiden den Hang zur Übertreibung und sind nicht überheblich,
[ sie entfliehen jedwedem Gebrauch von Extremen, sie halten sich an die Mitte.
Derart bewahren sie die Goldene Mitte, sie verhüten des Volkes Untergang, Erniedrigung und Demütigung.
[
30 - Macht der Gewaltlosigkeit अहिंसा
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
以道佐人主者,不以兵強天下。
yǐ dŕo zuǒ rén zhǔ zhě ,bú yǐ bīng qiáng tiān xiŕ 。
其事好還。師之所處荊棘生焉。
qí shě hǎo hái 。shī zhī suǒ chů jīng jí shēng yān 。
軍之後必有凶年。善有果而已,
jun1 zhī hňu bě yǒu xiōng nián 。shŕn yǒu guǒ ér yǐ ,
不敢以取強。果而勿矜。
bú gǎn yǐ qǔ qiáng 。guǒ ér wů jīn 。
果而勿伐。果而勿驕。
guǒ ér wů fá 。guǒ ér wů jiāo 。
果而不得已。果而勿強。
guǒ ér bú dé yǐ 。guǒ ér wů qiáng 。
物壯則老,是謂不道,不道早已。
wů zhuŕng zé lǎo ,shě wči bú dŕo ,bú dŕo zǎo yǐ 。
[ Dieses Kapitel handelt von der Macht der अहिंसा, ahiṃsā, f., Sanskrit, "Nicht-Verletzen" = Gewaltlosigkeit.
[ Im Griechischen Altertum war Krieg sogar für den häufig verglichenen Heraklit "Der Vater aller Dinge".
[ Während der Zeit der Streitenden Reiche wurde für Lǎozĭ Krieg ein verabscheungswürdiges Mittel für politische Ziele.
01-03:
Im Geiste des Dŕo gebraucht ein Landesherr
keine Waffen, alle Welt anzugreifen:
In seinem Wirken bevorzugt er den Rückzug.
01-03 Im
Gegensatz zum klassischen griechischen
Denken,
wurden von den frühen Dŕoisten Krieg und Waffen als destruktiv und kurzsichtig,
das Kriegshandwerk als unheilvoll angesehen (ch.
31).
Sogar, falls man keine Wahl hatte, wird der Waffengebrauch zur Verteidigung
als ultima
ratio gesehen.
Angriffe tendieren zu Gegenangriffen! In
ihren Angelegenheiten werden weise Anführer eher den Rückzug anstreben,
zurück zum gewaltfreien Beginn, zu den Wurzeln des Einsseins (ch.
34).
04-07:
Feldlager der
Truppen
lassen dort
Dornen und Disteln wachsen;
großer Kriege
Nachspiel
sind sicher Hungerjahre.
Die Guten
erzielen Ergebnisse,
doch hören dann auf
und wagen
nicht,
alles derart gewaltsam zu übernehmen.
04-05 Nachspiel des Krieges wird zunächst unterdrückt und verdrängt, nachher jedoch lassen ruchlose und schändliche Truppen verheerende Übel folgen: Dornen und Disteln [Genesis 3:18; Matthäus 7:16], die Landwirtschaft zunichtegemacht und die Felder verwüstet, lassen Hungersnöte und Leiden das Volk darbend und bedrückt.
06-07 Gute
Anführer im Geiste des Dŕo "werden (die Dinge)
nur fertigbringen und das ist alles" [Wáng
Bě 王弼].
Gezwungen, Terror und Chaos Einhalt zu gebieten, werden sie weder erobern noch
annektieren, sie bezwecken bloß
als Ergebnis Frieden und Ordnung.
08-12:
Sie erzielen
Ergebnisse,
doch tun es nicht prahlend,
sie erzielen
Ergebnisse,
doch tun es nicht auftrumpfend,
sie erzielen
Ergebnisse,
doch tun es nicht hochmütig,
sie erzielen
Ergebnisse,
doch haben keine Wahl,
sie erzielen
Ergebnisse,
doch tun es nicht gewaltsam.
08-12 Hat
man die Dinge erledigt, habe es gute Anführer nicht nötig, anzugeben,
sie fühlen nicht irgendwelche eitlen Triumphgefühle, vielmehr Kummer und Sorgen
wie bei Bestattungsbräuchen (ch.
31).
Weise Herrscher erzielen Frieden und Ordnung, indem er
Waffen nur benutzt, wenn er aufgrund der Umstände keine Alternative hat: il
"ne combat que par necessité" (er
kämpft nur falls nötig) [Stan.
Julien, 1842!].
Gewaltlosigkeit ist die legitime Tochter des Nicht-Handelns 無為 wúazifismus und
(zögerliche) Selbstverteidigung sind
der letzte Schritt vor "Liebet
Eure Feinde" [Matthäus
5:44].
13-15:
Wesen überwachsen, dann altern sie,
nicht im Dŕo genannt:
nicht im Dŕo endet vorzeitig.
13-15 Jene
aber, welche dem Weg der zögerlichen Selbstverteidung
nicht folgen, die angreifen ohne necessité, die
den Sieg missbrauchen –
jene gewaltsamen Anführer werden vorübergehende Macht erlangen, jedoch werden
sie einem höheren Gesetz unterstellt sein:
Nicht Dŕo's Geist folgen, nicht "auf dem (rechten)
Weg" sein meint schnell beendet; wie "So
dauern weder Wirbelwinde den ganzen Morgen, noch Platzregen den ganzen Tag"
(ch. 23),
wird rasche militärische Macht nicht andauern.
Je schneller überwuchert und
vorzeitig verändert, umso weiter von Dŕo's Unwandelbarkeit und Beständigkeit
entfernt, desto baldiger werden vorzeitige Alterung und Vergreisung folgen und
enden in Dŕo-losem Sturz und Hinscheiden, Niedergang und Ableben.
[
31 - Siege für den Frieden
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
夫佳兵者不祥之器,物或惡之,故有道者不處。
fū jiā bīng zhě bú xiáng zhī qě ,wů huň č zhī ,gů yǒu dŕo zhě bú chů 。
君子居則貴左,用兵則貴右。
jūn zǐ jū zé guě zuǒ ,yňng bīng zé guě yňu 。
兵者不祥之器,非君子之器,
bīng zhě bú xiáng zhī qě ,fēi jūn zǐ zhī qě ,
不得已而用之,恬淡為上。
bú dé yǐ ér yňng zhī ,tián dŕn wéi shŕng 。
勝而不美,而美之者,是樂殺人。
shčng ér bú měi ,ér měi zhī zhě ,shě lč shā rén 。
夫樂殺人者,則不可得志於天下矣。
fū lč shā rén zhě ,zé bú kě dé zhě yú tiān xiŕ yǐ 。
吉事尚左,凶事尚右。
jí shě shŕng zuǒ ,xiōng shě shŕng yňu 。
偏將軍居左,上將軍居右。
piān jiāng jun1 jū zuǒ ,shŕng jiāng jun1 jū yňu 。
言以喪禮處之。殺人之眾,
yán yǐ sŕng lǐ chů zhī 。shā rén zhī zhňng ,
以悲哀泣之,戰勝以喪禮處之。
yǐ bēi āi qě zhī ,zhŕn shčng yǐ sŕng lǐ chů zhī 。
[ Als Fortsetzung von Kap. 30 [Zeilen 01-12], im ersten Pazifismus der Geschichte des Menschen! (mit Selbstverteidigung), werden nun Waffen als Werkzeuge der Kriegsführung detaillierter bewertet.
[ Die herkömmliche Bedeutung von links und rechts in der militärischen Rangordnung und bei zivilen Zeremonien werden hier von Lǎozĭ kritisch neu interpretiert, mit einem Fünkchen Humor(!), um den "Verlust in einem Gewinn" zu veranschaulichen sowie die angemessenere Reaktion des Kummers und Wehklagens statt eines Triumphgefühls nach einem Sieg.
[ Kap. 31 ist eines von zwei Kapiteln (plus Kap. 66), welche nicht von Wáng Bě 王弼 als frühestem Kommentator des Dŕodéjīng, kommentiert werden; laut früher Berichte betrachtete er es als nicht originell bzw. teils als Kommentar zu Kap. 30 [jedoch wird Kap. 31 in allen anderen Quellen wiedergegeben, s. unten].
[ Die Zeilen 04-07 & 17-18 werden von verschiedenen Autoren als später in den Text eingefügte Kommentare diskutiert.
[ Wáng Bě 王弼 erwähnte Kap. 31 nur in seinem Kommentar zu Kap. 30: "... (der Herrscher) eifert nicht dem Weg des Militärs nach, sondern [, wie Laozi 31 sagt,] 'macht [von den Kampftruppen] nur Gebrauch, weil er nicht umhin kann,' worüber ist da zu prahlen und prangen?" [Wagner p. 222].
01-03:
Selbst
prachtvollste Waffen
sind unglücksverheißende
Werkzeuge,
die Geschöpfe verabscheuen sie daher wohl –
weshalb Befolger des Dŕo sie nicht behalten.
01-03 Die
Verherrlichung glänzend gestalteter Waffen vieler Anführer kann nicht darüber
hinwegtäuschen, dass sie stets Unheil verkündende, unter schlechten Vorzeichen
stehende Mittel darstellen, hergestellt, um Mitmenschen zu verletzen und zu
töten.
Die Geschöpfe fürchten und hassen Waffen aller Art, da sie durch sie verletzt,
verwundet oder getötet werden.
Wer Dŕo folgt, zeigt hingegen unvoreingenommen Mitgefühl
und Liebe für alle Wesen, folglich lehnen sie es ab, Waffen zu besitzen oder
andere schädliche Werkzeuge zu benutzen.
04-11:
Zuhause schätzen Edelleute die Linke,
im Waffengebrauch schätzen sie die Rechte:
Waffen sind Unheil verheißende Werkzeuge,
nicht solche der Edelleute.
Hat man keine Wahl, und gebraucht sie,
bewirken Ruhe und Frieden noch das Beste.
Siege, doch nicht froh darüber;
Gefallen daran wäre aber
Freude am Töten von Menschen;
denn jene mit Freude am Töten können
dann wohl keine Erfüllung auf Erden finden.
04-05 Weil
die überwiegende Mehrheit der Leute Rechtshänder sind, werden Waffen allgemein
mit dem stärkeren und geschickteren rechten Arm geführt.
Zuhause hingegen benutzen vornehme Leute die linke Seite zu friedlichen,
glücklichen Gelegenheiten.
Milde und Nachgiebigkeit entsprechen dem Yin auf der linken, Strenge
und Unnachgiebigkeit dem Yang auf der rechten Seite.
06-08 Unheilvolle, unter
schlechten Vorzeichen stehende Mittel wie Waffen aller Art werden gewöhnlich
nicht von edlen, den Prinzipien des Dŕo folgenden Menschen benutzt.
Dieser allererste klare Pazifismus erlaubt,
als ultima
ratio im
Notfall ohne andere Wahl, Selbstverteidigung zu
praktizieren.
Selbst
dann noch wird
jemand, der sich im Geiste des Dŕo verteidigt, den geringstmöglichen Schaden
suchen, und einen Weg der Rückkehr zu Ruhe und Frieden.
Schwäche ist die wahre Stärke.
09-11 Sogar
ein auferlegter Sieg ist keineswegs erfreulich, da mittels Blutvergießen
erzielt.
Sich eines Kriegsgewinns zu erfreuen würde bedeuten, das
Töten von Menschen auszukosten – eine völlige Abkehr von der Verwirklichung des
Dŕo im Leben: von Dé, der Inneren Kraft.
Selbst kriminelle Übeltäter mittels Todesstrafe und Hinrichtung zu töten,
hieße, an die Stelle des Großen
Zimmermanns zu
treten. Tut man das Werk für jenen natürlichen Gevatter Tod, verletzt man sich
in der Tat seine Hände (Kap.
74).
Menschen, die das Töten von anderen Menschen genießen: sie
werden nicht ihren wahren Zweck und ihre Bestimmung auf Erden finden können.
12-16:
Bei glückverheißenden
Anlässen
bevorzugt man
die Linke,
bei unglücksverheißenden
bevorzugt mandie Rechte.
Der stellvertretende General beim Militär
steht zur Linken,
der befehlshabende General beim Militär
steht zur Rechten.
Das heißt: wie bei Trauerfeiern platziert sie!
12-13 Gibt
es Anlässe, glückliche Momente zu feiern, so sind nach Chinesischen Brauch jene
positiven Erfahrungen der linken Seite zugeschrieben; unglückliche, schmerzvolle
Ereignisse hingegen wie etwa Beerdigungen, derart negative Erfahrungen
entsprechen der rechten Seite.
Solcherlei zivile Bräuche, bei glücklichen wie unheilvollen Anlässen, 'laden'
zum Vergleich mit den militärischen ein ...
14-16 In
alten Chinesischen Bräuchen des Militärs gab es in der Tat eine ähnliche
Zweiteilung: Offiziere niederer Rangstufen standen auf der linken Seite,
höherrangige bis zum obersten General hinauf,
auf der rechten.
Je höher verantwortlich für das Töten der Leute in Militäraktionen, desto
entsprechender zu den zivilen Begräbnissen: dies symbolisiert das unheilvolle
Eingreifen in die spontane 自然 zě rán Selbst-Regulierung der
Natur und ... Gevatter Tod.
So weist Lǎozĭ darauf
hin, dass jene mit den meisten Tötungen auf der Seite für Begräbnisse platziert
werden ...
17-18:
Wurden zahlreiche
der Menschen getötet,
beweint sie mit Kummer und Sorge;
platziert selbst Sieger in Schlachten
wie bei Trauerfeiern!
17-18 Folglich
ist das Töten vieler Menschenwesen kein Anlass zu Siegesfeiern mit
Triumphgefühlen, sondern dazu, die Sieger auf der Begräbnisseite zu zu
platzieren zum angemessenen Beweinen der Opfer.
Diese Bewusstheit lässt adäquate Gefühle rechtzeitig wiedererlangen: "...
wenn Streitkräfte einander gegenüberstehen, werden jene mit mehr Mitleid
obsiegen" (ch.
69).
[
32 - Transzendenz
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
道常無名。
dŕo cháng wú míng 。
*樸雖小1天下莫能臣也。
*pǔ suī xiǎo 1tiān xiŕ mň néng chén yě 。
侯王若能守之,萬物將自賓。
hóu wáng ruň néng shǒu zhī ,wŕn wů jiāng zě bīn 。
天地相合以降甘露,民莫之令而自均。
tiān dě xiŕng hé yǐ jiŕng gān lů ,mín mň zhī lěng ér zě jūn 。
始制有名,名亦既有,
shǐ zhě yǒu míng ,míng yě jě yǒu ,
夫亦將知止,知止可以不殆。
fū yě jiāng zhī zhǐ ,zhī zhǐ kě yǐ bú dŕi 。
譬道之在天下,猶川谷之於江海。
pě dŕo zhī zŕi tiān xiŕ ,yóu chuān gǔ zhī yú jiāng hǎi 。
Nachdem er die Durchführbarkeit des Pazifismus in ch. 30 & 31 abhandelte, geht Lǎozĭ zurück zu den Wurzeln der ursprünglichen Einfachheit und der Transzendenz des Dŕo, als Entwicklungsgrundlage sozialer Organisation und Kommunikation.
01-02:
Dŕo: für immer unbegreiflich.
Ursprünglichkeit, obwohl klein, kann niemand
auf
der Welt sie auch dienlich machen.
01-02 Der
transzendentale Gesichtspunkt des
Dŕo, 'getarnt' in absolutem Nichts, "ohne Form und Anhaftung" (ch.
21), wird zeitlos unerfindlich sein
(ch. 01), während es
das winzigste und allerkleinste Etwas überhaupt vorbereitet ("Big"(!) Bang).
Intelligente,
Tapfere, Geschickte und Starke können
in den Dienst gestellt werden für Fähigkeiten, Kriege, Geschäfte, Belastungen
[nach Wáng
Bě 王弼].
Doch
die letztgültige Natürlichkeit des unbehauenen
Klotzes 樸 pǔ (ch.
15, 28, 32, 57), als
ursprüngliche Einfachheit ist durch seine Schmucklosigkeit gegen Gebrauch und
Missbrauch geschützt.
"Nichts zu viel" Μηδὲν
ἄγαν (mēdén
ágan) [Solon... s. * in ch.
33].
Bleibe beim Schmucklosen und erreiche den Weg!
03-06:
Könnten Fürst und König sich daran halten,
von selbst würden alle Wesen gleichsam Gäste.
Himmel und Erde sich miteinander
vereinen,
um süßen Tau hernieder zu senden.
Das Volk,
dem niemand anordnet,
wäre doch von selbst geordnet.
03-04 Wenn die königlichen Anführer doch nur "das Schmucklose umarmen" könnten (ch. 19), und ihr 'Geist nicht angekränkelt durch Begehrlichkeiten' wäre – alle Untertanen würden 'sich fügen aus freien Stücken, freigebig wie Gäste', und "von selbst zum Gleichgewicht finden." [Wilhelm].
05-06 "Sind Himmel und Erde in Harmonie werden sie süßen Tau hernieder fallen lassen"* – dies erinnert ein wenig an
„Es war, als hätt' der Himmel
die Erde still geküsst...“
"It
was as if the Sky
had silently kissed the Earth"
in: Eichendorff's „Mondnacht“
Diese Manna-artige
Belohnung käme "selbsttätig, ohne danach zu streben" [Wáng
Bě 王弼 / Wagner*] entsprechend
einer egalitär-demokratischen
Intention [Kalinke].
Durch den weisen Herrscher ohne
Eingreifen, folglich durch die ihre wahre Natur, wurden die Untertanen freiwillig
tugendhaft, "wohlgeregelt, ohne dass [besondere] Befehle erteilt waren" [*].
07-10:
Beginnt man Regelungen,
gibt es Bezeichnungen.
Sind wiederum Bezeichnungen erst einmal da,
dann wiederum sollte man aufzuhören wissen:
Verstehst du aufzuhören,
so kannst du ungefährdet bleiben.
07-10 Der
Beginn der Sprache als Kommunikation wird
nicht einem transzendenten Wesen oder einer Idee zugeschrieben, sondern der
praktischen sozialen Organisation der Menschen: "das Schmucklose wurde
aufgelöst" und der Weise zum Großen Regler ..., der Beamte und Älteste
einsetzt." (ch.
28). Dann
werden Benennungen
und Klassifizierungen 'die
Ehrenwerten und die Niederen' festlegen ... [Wáng
Bě 王弼].
Die Gefahren der Bezeichnung und Benennung zu meistern wie auch den Verlust
der ursprünglichen
Einfachheit 樸 pǔ,
nur das Verständnis, wie aufzuhören sei und gefahrvolle Entwicklungen zu
beenden seien, wird helfen, die sich daraus ergebenden sozialen Konflikte zu
handhaben.
11-12:
Symbol für Dŕos Dasein in der Welt:
wie das Fließen
aus Quellbächen
in Ströme und Meer …
11-12 Um
den Weg zu symbolisieren, der 'überall
unter dem Himmel' praktiziert wurde, wird wiederum die Nachgiebigkeit des
Wassers verwendet: "Die Bächer ... streben nicht danach, [in die] Flüsse und das
Meer [zu fließen]", und solch Fließen ist "nicht
verursacht dadurch,
dass Flüsse und Meer sie riefen" [Wáng
Bě 王弼 / Wagner],
sie fließen vielmehr aus eigenen Stücken!
Natürliche, spontane Selbstregulierung ohne Eingreifen veranschaulicht so den
geheimnisvollen Lauf des Wassers ebenso wie den mysteriösen
Weg des Dŕo.
_________________
* "Süßer Tau" [Chinesischer Mythos]: der Morgentau schmecke wie Honig, wenn das Reich in vollkommenen Frieden sei.
[
33 - Selbstlose Größe
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
知人者智,自知者明。
zhī rén zhě zhě ,zě zhī zhě míng 。
勝人者有力,自勝者強。
shčng rén zhě yǒu lě ,zě shčng zhě qiáng 。
知足者富。強行者有志。
zhī zú zhě fů 。qiáng háng zhě yǒu zhě 。
不失其所者久。
bú shī qí suǒ zhě jiǔ 。
死而不亡者,壽。
sǐ ér bú wáng zhě ,shňu 。
Ein Kapitel, welches ebenso berühmt ist für das chinesische "Gnothi seauton" zu Beginn wie auch die Zeile "Sterben, doch kein Untergang" am Ende – mit mehrfacher Interpretation.
01-04:
Andere erkennen – Klugheit,
sich selbst erkennen – Erleuchtung;
andere überwinden – Gewalt,
sich selbst überwinden – Stärke.
01-02 [Ein Herrscher, der]
[ andere kennt, versteht, durchschaut ... besitzt (lediglich) Intelligenz (Wissen über sie): doch dies "ist nichts im Vergleich mit sich selbst zu durchschauen". [Wáng Bě 王弼 / Wagner]*
[ sich selbst kennt, versteht, durchschaut ... besitzt Erleuchtung (Kenntnis von sich selbst): denn es "ist nichts im Vergleich damit, seine Intelligenz auf sich selbst anzuwenden (...) die anderen Wesen werden dann nicht weichen!" [*].
- Natürlich wurde diese Passage häufig verglichen mit "Gnothi
seauton":
Γνῶθι σ[ε]αυτόν, gnṓthi s[e]autón; Nosce
te ipsum, temet
nosce = „Erkenne
dich selbst!“)*
03-04 [Ein Herrscher, der]
[ andere überwältigt, besiegt, bezwingt ... besitzt (lediglich) Gewalt (Kontrolle über sie): doch dies "ist nichts im Vergleich damit, sich selbst zu bezwingen [da] kein anderes Wesen in der Lage ist, seine Stärke zu zermürben [*].
[ überwältigt, besiegt, bezwingt sich selbst ... besitzt Stärke ("praktiziert kraftvoll [den Weg]"): wenn "man seine Stärke auf sich selbst anwendet, werden die anderen Wesen ohne Gerissenheit sein." [*].
05-08:
Wissen, wann genug:
Reichtum,
kraftvoll voranschreiten: Willenskraft;
seinen Platz
nicht verlieren: Fortdauer,
sterben, doch kein Untergang: Langlebigkeit!
05-06 [Ein Herrscher, der]
[ "weiß, wie man genug besitzt, wird wohlhalbend sein, ... wird automatisch keinen Verlust haben" [*].
[ "kraftvoll [den Weg] praktiziert, wird sein Willen durchsetzen [*].
Vgl.. ap. 41: überragende Gelehrte hören vom Dŕo, bemühen sich und praktizieren es: "Praktiziert er [den Weg] im höchstmöglichen Maße, ... wird er zwangsläufig seinen Willen befriedigt haben" [*].
07-08 [Ein Herrscher, der]
[ "der sich nicht von seinem Standort abbringen lässt, wird lange [darauf] verweilen. Wenn mit "Erleuchtung sich selbst erforscht (...) und seine Stärke und seine Taten dementsprechend bemisst*, seinen Platz nicht verlässt, wird er fortdauern.
[ "so er [selbst] doch sterblich ist, nicht [davon ausgeht, dass der Weg] zugrunde geht wird ein langes Leben leben." Wenn das Dŕo des Lebens nicht verloren geht, nicht dem Untergang geweiht ist, nicht zugrunde geht, und man selbst folglich, obschon sterblich, nicht zugrunde geht, dann "wird man es fertigbringen, seine Jahre zu vollenden. Wenn der Leib stirbt, besteht der Weg noch fort; umso mehr endet der Weg nicht, während der Leib noch lebendig ist." [Wáng Bě 王弼 / Wagner].
Laozi erschaut
den Tod als Rückkehr,
zurück zu den Wurzeln des Seins,
wo das Dŕo zuhause ist.
Folglich
ist unsere Existenz wieder Teil des Lebens in Dŕo, wie zuvor, wenn ein Teil des
Lebens in Dŕo ins
Dasein getreten war, vermittelt von der Inneren Kraft des Dé.
Dŕo's Befähigung, die Einheit der Gegensätze aufzuzeigen, im Falle von Yin und Yang als Tod und Leben, vermag unser winziges Körnchen Zeit zu inspirieren zu jenem sehnsuchtsvollen Verlangen – wieder ein Teil des Fließens zu sein im Ozean der Zeitlosigkeit.
___________________
*Apollotempel von Delphi, Chilon von Sparta = einer der „Sieben Weisen“**. 1.Quelle: Heraklit: „Allen Menschen ist zuteil, sich selbst zu erkennen und verständig zu denken.“ (B116).
**„Sieben
Weisen“: Thales von
Milet, Pittakos von Mytilene, Bias von Priene, Solon von
Athen, Kleobulos von Lindos, Chilon von Sparta, Myson von
Chen[-ai]
{not Periander!}.
[
34 - Selbstlose Größe
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
大道氾兮,其可左右。
dŕ dŕo fán xī ,qí kě zuǒ yňu 。
萬物恃之以生而不辭,功成而不名有。
wŕn wů shě zhī yǐ shēng ér bú cí ,gōng chéng ér bú míng yǒu 。
衣養萬物而不為主,常無欲可名於小。
yī yǎng wŕn wů ér bú wéi zhǔ ,cháng wú yů kě míng yú xiǎo 。
萬物歸焉,而不為主,可名為大。
wŕn wů guī yān ,ér bú wéi zhǔ ,kě míng wéi dŕ 。
以其終不自為大,故能成其大。
yǐ qí zhōng bú zě wéi dŕ ,gů néng chéng qí dŕ 。
Indem er das Thema aus Kap. 32 wieder aufgreift, nähert sich Lǎozĭ der Allgegenwärtigkeit des Dŕo und seiner Größe im Kleinsein – als der Myriaden Wesen selbstlosen Mutter, die ihr Werk erfüllt und ihre Größe vollendet, ohne Ansprüche zu erheben und als Vorbild für die Weisen.
01-04:
Das große Dŕo, all-überströmend, oh,
befähigt ist es, überall zu sein.
Alle Geschöpfe stützen
sich auf es,
auch dafür,
zu leben, aber sie werden nie
abgewiesen.
Seine Leistungen werden vollendet,
nicht aber als Besitz bezeichnet.
01-02 Das
Dŕo ist groß, und es ist alles überströmend, schwebend und wogend, links und
rechts, vorn und hinten, oben und unten, allgegenwärtig in Raum und Zeit!
Seine dem Wasser gleiche Anpassungsfähigkeit steht ausnahmslos allen
Wesenheiten zur Seite: "Das
Nichts –
es kann in allen Dingen // das Lückenlose gar durchdringen!" (Kap.
43).
03-04 Die
zahllosen Geschöpfe sind abhängig von Dŕo, erstens insofern als ihre
ursprünglichen Bilder (Kap. 21)
in das Sein hineingeboren werden; zweitens werden sie innerhalb des Zeitraums
ihres Lebens bedingungslos von ihm erhalten und gepflegt: sie werden ernährt und
niemals zurückgewiesen, und das Dŕo gibt ihnen keinerlei Anordnungen.
Das Dŕo vollbringt sämtliche Werke und Verdienste und vollendet alle Taten und
Leistungen ohne jeglichen namentlichen
Besitzanspruch:
Des Himmels Honig, des Dŕos Tau (Kap.
32)
gibt es unentgeltlich.
05-06:
Es kleidet und nährt
alle Wesen,
es wird aber nicht ihr Herr und Gebieter;
beständig ohne
Begehren,
kann es klein genannt werden.
05-06 Das
Dŕo kleidet die zehntausend
Wesen ein,
es zieht sie auf und nährt sie, und doch macht es sich nie zu ihrem Herrn und
Gebieter,
es verfügt nicht über sie als Lehnsherr.
So es all dies bedürfnislos und selbstlos tätigt, ohne Anspruch und Begehren
entschwindet, mit bedingungsloser Liebe und Fürsorge: darum kann
es als klein bezeichnet
werden.
07-08:
Unzählige
Geschöpfe kehren
zurück zu ihm,
es wird
aber nicht ihr Herr und Gebieter:
es kann groß genannt werden.
07-08 Unzählige
Kreaturen kehren zu ihm zurück, ehren und wertschätzen das Dŕo 道 mit Dé 德 (Kap.
51), und
doch verfügt
es nicht über sie als Lehnsherr, macht
es sich nie zu ihrem Herrn und Gebieter.
"Aber
eine Macht ließ sie nicht wissen, worauf sie gründeten" [Wáng
Bě 王弼 / Wagner], darum kann
das Dŕo als groß bezeichnet
werden.
09-10:
Weil es
schließlich nicht
sich selbst als groß behandelt,
daher kann es seine Größe vollenden.
09-10 Metaphysische
Paradoxien sind lehrreiche Anwendungsbeispiele der Einheit
der Gegensätze.
Das Dŕo betrachtet sich nicht als groß,
es zeigt keine Absicht,
auf sich selbst bedacht zu sein, und so folgt auch der Weise dem Vorbild des
Dŕo.
Daher besitzen Dŕo und Weise gleichermaßen selbstlos das Vermögen, ihr Werk zu
erfüllen und ihre Größe zu
vollenden.
[
35 - Unbestechlichkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
執大象天下往。
zhí dŕ xiŕng tiān xiŕ wǎng 。
往而不害安平太。
wǎng ér bú hŕi ān píng tŕi 。
樂與餌,過客止。
lč yǔ ěr ,guň kč zhǐ 。
道之出口淡乎其無味。
dŕo zhī chū kǒu dŕn hū qí wú wči 。
視之不足見。
shě zhī bú zú jiŕn 。
聽之不足聞。
tīng zhī bú zú wén 。
用之不足既。
yňng zhī bú zú jě 。
Die ersten Zeilen nehmen die letzte in Kap. 34 über der Weisen (Herrscher) Weg wieder auf; der Mittelteil vergleicht Ablenkungen und Umwege mit dem Weg jenseits der Sinne (im letzten Abschnitt).
01-02:
Wahre das Große
Vorbild:
alle Welt wird zu dir kommen,
doch keinen
Schaden erleiden –
sicher und höchst friedlich!
01-02 Die
erste Zeile hier erklärt die letzte in ch.
34: der
Weise folgt Dŕo als Vorbild,
gleichermaßen selbstlos ihr Werk zu erfüllen und ihre Größe zu
vollenden.
Am Großen
Bild (des
bildlosen Dŕo) festzuhalten, dies ließe alle Wesen zu den Weisen (oder weisen
Herrschern) kommen, angezogen von der allumfassenden und durchdringenden
Inneren Kraft des Dé.
Kein Geschöpf würde Schaden, Schmerz oder Unheil erleiden, stattdessen
erfreuten sie sich äußerst friedvoller
Geborgenheit und
umarmten das Eine (vgl. Kap.
22: erleuchtet,
herausragend, verdienstvoll und überdauernd).
03-05:
Musik,
zusammen mit Leckereien ...
lassen vorbeiziehende
Wanderer verweilen;
doch Dŕos Worte scheinen
fade, ach, wie ohne Geschmack.
03-05 Aber
viele Ablenkungen gibt es für den Reisenden in uns allen! Musik,
zugleich mit verlockend duftenden Speisen und Leckereien wie süßen Reiskuchen
lassen den vorbeiziehenden Wanderer anhalten und weilen.
Doch
wenn das Dŕo spricht, klingen seine Worte schal und fade, lasch und
geschmacklos!
06-08:
Schau nach ihm – es scheint unsichtbar,
lausche nach ihm – es scheint unhörbar,
doch nutze es – es scheint unerschöpflich!
06-08 Nach
dem Dŕo zu schauen, das ist nicht genügend, es zu sehen, so scheint es
unsichtbar; nach ihm zu lauschen, das ist nicht genug, es zu hören: mittels Auge
und Ohr ist es nicht handhabbar für den Reisenden, der von Musik und Leckereien
angelockt wird und Salz und Würze vermisst ... [**v.
Strauß, 1870 p. 167].
Und
nun benutzt Lǎozĭ kunstvoll
die gleiche Satzstruktur, um die gegenteilige Bedeutung zu betonen, wenn es dazu
kommt, das Dŕo zu nutzen: dann ist nichts genügend, es zu erschöpfen!
Der Reisende könnte, alle Wesen können das Dŕo endlos anwenden: der Alte
Meister demonstrierte "den Gegensatz zwischen der Vergänglichkeit irdischer
sinnlicher Genüsse und der Unvergänglichkeit dessen, was Taň [sic!] gewährt" [**].
[
36 - Kraft der Paradoxie
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
將欲歙之,必固張之。
jiāng yů xī zhī ,bě gů zhāng zhī 。
將欲弱之,必固強之。
jiāng yů ruň zhī ,bě gů qiáng zhī 。
將欲廢之,必固興之。
jiāng yů fči zhī ,bě gů xěng zhī 。
將欲取之,必固與之。
jiāng yů qǔ zhī ,bě gů yǔ zhī 。
是謂微明。柔弱勝剛強。
shě wči wēi míng 。róu ruň shčng gāng qiáng 。
魚不可脫於淵,國之利器不可以示人。
yú bú kě tuō yú yuān ,guó zhī lě qě bú kě yǐ shě rén 。
[ Lǎozĭ bezieht
eindeutig Stellung, keine
Waffengewalt zu
benutzen (ch.
30, 31),
er erläutert die Durchführbarkeit des Pazifismus (ch.
32),
wie man sich
selbst überwindet und
Dauer und Langlebigkeit findet (ch.
33), Dŕo's
selbstloser Größe folgt (ch.
34) und
das friedvolle, unerschöpfliche Große
Bild bewahrt
(ch.
35) [cf. v.
Strauß' Überblick].
[ Nun
aber betont er die geheime Macht der paradoxen
Intervention und
wie Milde
und Sanftmut obsiegen,
ohne seine Überlegenheit zur
Schau zu stellen.
01-09:
Solltest du gerade
beabsichtigen,
etwas zusammenzuziehen,
musst du es sicher erst dehnen;
Solltest du gerade
beabsichtigen,
etwas schwächen,
musst du es sicher erst stärken;
Solltest du gerade
beabsichtigen,
etwas abschaffen,
musst du es sicher erst erblühen lassen;
Solltest du gerade
beabsichtigen,
etwas wegnehmen,
musst du es sicher erst hingeben:
Dies nennt man feinsinnige Einsicht.
01-08 Als eines der (Dŕoistischen) Prinzipien der Paradoxie, wird wieder Heraklits Enantiodromie – alles fließt, wandelt und verwandelt sich umkehrbar in sein Gegenteil (ch. 2) – in vier Variationen (!) benutzt, um ein verborgenes Naturgesetz zu veranschaulichen, hier sogar anwendbar wie eine "Krise als Chance" durch (die in der modernen Psychotherapie bekannte) Paradoxe Intervention [Kalinke].
[ Weise Menschen (und Herrscher) mit geduldigem Timing (beginnend mit 無為 wú wéi) erzielen gewiss wirksam und mühelos beste Ergebnisse.
[ Dieses
Prinzip wurde von Legalisten wie Hán Fēizǐ 韓非子 als Machiavellische Strategie missbraucht,
um Staaten zu erobern; aber natürlich sind "solche
selbstbedienenden Manipulationen nicht mit Daoistischem Zartgefühl
übereinstimmend" [Ames
& Hall].
[ Andererseits
können diese Empfehlungen angewandt werden, um "'die Gewaltsamen und Brutalen"
auszumerzen und "Umbrüche und Aufstände" zu beseitigen: durch Selbstzerstörung
statt körperlicher Bestrafung; doch ist weitergehende Expansion als genügend
ebenfalls gefährlich "wegen der wachsenden Feinseligkeit des Gewaltsamen" [*Wáng
Bě 王弼 / Wagner].
09 Dieses
Paradoxon und seine Anwendung zu kennen, bedeutet feinsinnige
Klarheit ("reconditum
clarere") [**v.
Strauß],
Einsicht in das verborgene Geheimnis dahinter, "wundervoll
minutiös und dunkel, und doch brilllant" [Chang], "Einsicht
in das Allerfeinste" (die Natur der Wesen) [*].
10-13:
Weiches und Schwaches überwinden
Hartes und Starkes.
Fische sollten nie der Tiefe entnommen,
des Staates scharfe Gerätschaften
entsprechend nie dem Volk gezeigt werden.
10 "Weiches überwindet Hartes, Schwaches besiegt Starkes" ist ein Inbegriff Daoistischer Philosophie geworden:
[ "Nichts ist weltweit weicher und schwächer als Wasser, und doch: im Angriff auf Festes und Starkes ist keines imstande, es zu übertreffen"; aber ...
[ "Weltweit ist niemand, der es nicht wüsste, doch niemand kann danach handeln" (ch. 78).
[ Warum ist das Nachgiebige dem Unnachgiebigen überlegen?! "Somit sind Starre und Stärke Gefährten des Todes, Weichheit und Schwäche Gefährten des Lebens" (ch. 76).
11-13 Ein
Fisch, aus dem tiefen Wasser heraußen, "wird notwendigerweise verloren sein", so
er sich nicht mehr in seinem natürlichen Element befindet; ähnlich,
falls der Herrscher seine zweckdienlichen
Instrumente ausstellt
(z.B. solche zur körperlichen Bestrafung), und mit Waffen und Gewalt droht, dies
"wird unausweichlich auch ein Fehlschlag sein" und "Gegenschläge
heraufbeschwören" [*]:
die Menschen werden sich auch nicht mehr in ihrem Element (der Nachgiebigkeit!)
wiederfinden.
[
37 - Sieg der Wunschlosigkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
道常無為,而無不為。
dŕo cháng wú wéi ,ér wú bú wéi 。
侯王若能守之,萬物將自化。
hóu wáng ruň néng shǒu zhī ,wŕn wů jiāng zě huŕ 。
化而欲作,吾將鎮之以無名之樸。
huŕ ér yů zuň ,wú jiāng zhčn zhī yǐ wú míng zhī pǔ 。
無名之樸,夫亦將無欲。
wú míng zhī pǔ ,fū yě jiāng wú yů 。
不欲以靜,天下將自定。
bú yů yǐ jěng ,tiān xiŕ jiāng zě děng 。
Am Ende des ersten Teils werden einige wahre Grundlagen des 道德經 Dŕodéjīng in gebündelter Form behandelt:
無為 wúwéi Nicht-Eingreifen
樸 pǔ Schlichtheit
無名 wú míng Namenlosigkeit
無欲 wú yů Wunschlosigkeit
自定 zě
děng Selbstregulierung
01-02:
Das Dŕo handelt stetig ohne einzugreifen,
und doch bleibt nichts ungetan.
01-02 無為 wúwéi und 自然 zě rán sind zwei Säulen der Dŕoistischen Philosophie.
[ Die erste bietet allen Systemen zu laufen an, ohne sie durch künstliches Eingreifen zu stören.
[ Die zweite sorgt für alle Wesen, frei und ungestört, spontan und natürlich zu laufen; folglich lässt es nichts ungetan.
[ Alle "... zehntausend Arten von Wesen" berufen sich darauf, durch das Dŕo "... begonnen und vervollkommnet zu sein" [*Wáng Bě 王弼 / Wagner].
[ Alle Herrschenden sollten "Dŕos Methoden beobachten" wie es mittels seiner Kraft als Unbewegter Beweger [Aristoteles] von allem "Nicht-Thun und Thun auf geheimnisvolle Weise vereinigt" [**v. Strauß, 1870 p. 172].
03-06:
Könnten Fürsten und Könige
sich daran halten,
entwickelten sich alle Wesen natürlich.
Sie entwickelten
sich,
und wüchsen doch
Begehrlichkeiten:
Ich würde sie
zur Ruhe kommen lassen
mit der natürlichen Schlichtheit
jenes Namenlosen.
03-04 Könnten nur die königlichen Herrscher "das Ungeschminkte umarmen" (Kap. 19) und ihren "Geist nicht durch Begehren verletzen" - würden sich alle Subjekte entwickeln und "sich von selbst fügen ...", und "für sich selbst ihre eigene Balance finden" [Selbstorganisation der Natur; ch. 32 / Wilhelm].
05-06 Falls, trotz dieser Entfaltung, Begehrlichkeiten sich bildeten und erschienen – Weise würden "sie mittels der Einfachheit des Namenlosen beruhigen" (aber ohne ihr Herr und Gebieter zu werden) [*].
07-09:
Denn das Ursprüngliche jenes
Namenlosen wird
sie auch
zur Wunschlosigkeit führen.
Frei von Begehren,
so in Ruhe und Frieden:
Alle Welt wird sich selbst regulieren.
07 Versenkung und innere Einkehr in
die Schlichtheit (des Unbehauenen
Klotzes) und
die Natürlichkeit des Unnennbaren werden auch
Bedürfnislosigkeit verleihen (bes.
jene nach Wettkampf):
"Nicht begehren ist befriedigt seyn" [sic!] [** p.
174].
08-09 Wunschlosigkeit
lässt die Leute ruhig werden: ist
alle Leidenschaft überwunden, tauchen Ruhe
und Frieden empor, in jedem Einzelnen sowie in Gemeinde und Reich.
Dieser
Zustand der Ruhe und Gelassenheit lässt "Alle unter dem Himmel", die ganze Welt
also sich selbst bestimmen, der Staat wird natürlicherweise reguliert, ohne
jeglichen Zwang, aus freien Stücken [**].
[
Teil 2: Dé 38–81
德 Inner Power
© Adrian Chan-Wyles, PhD, (ShiDaDao) 2014. http://icbi.weebly.com/etymology-of-the-ideogram-lsquodaorsquo.html
www.icbi.weebly.com/icbi-projects.html Qianfeng Daoism (UK) - Introduction Etymology of the Ideogram ‘Dao’
德 Etymologie = "Die Schritte eines vervollkommneten (vollendeten) Herzens/Geistes" [Nina Correa, p. 268].
Die Teile Dŕo und Dé sind in den Mǎwángduī-Texten insgesamt vertauscht: 1–37 folgen 38–81; außerdem erscheint Kap. 24 vor 22 und 23, Kap. 40 und 41 sind vertauscht und Kap. 80 und 81 nach 66 platziert.
38 - Kraft der Absichtslosigkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
上德不德是以有德。
shŕng dé bú dé shě yǐ yǒu dé 。
下德不失德是以無德。
xiŕ dé bú shī dé shě yǐ wú dé 。
上德無為而無以為。
shŕng dé wú wéi ér wú yǐ wéi 。
下德無為而有以為。
xiŕ dé wú wéi ér yǒu yǐ wéi 。
上仁為之而無以為。
shŕng rén wéi zhī ér wú yǐ wéi 。
上義為之而有以為。
shŕng yě wéi zhī ér yǒu yǐ wéi 。
上禮為之而莫之以應,則攘臂而扔之。
shŕng lǐ wéi zhī ér mň zhī yǐ yīng ,zé rǎng bě ér rēng zhī 。
故失道而後德。失德而後仁。
gů shī dŕo ér hňu dé 。shī dé ér hňu rén 。
失仁而後義。失義而後禮。
shī rén ér hňu yě 。shī yě ér hňu lǐ 。
夫禮者忠信之薄而亂之首。
fū lǐ zhě zhōng xěn zhī báo ér luŕn zhī shǒu 。
前識者,道之華而愚之始。
qián shí zhě ,dŕo zhī huá ér yú zhī shǐ 。
是以大丈夫,處其厚,不居其薄。
shě yǐ dŕ zhŕng fū ,chů qí hňu ,bú jū qí báo 。
處其實,不居其華。故去彼取此。
chů qí shí ,bú jū qí huá 。gů qů bǐ qǔ cǐ 。
[ Ein ausgeklügeltes Kapitel über die unausgeklügelte(!) Dŕoistische Ethik, über Dé 德, Innere Kraft, aus ethischer Sicht auch als "Tugend" (Kap. 2, 10, 34, 51), im Vergleich zu den Konfuzianischen Werten wie (abstufend) 仁 rén Menschlichkeit (Wohlwollen), welche ohne absichtliches Handeln agiert, aber eingreift, 義 yě Gerechtigkeit (eingreifend und absichtlich), und 禮 lǐ Moral (eingreifend und erzwingend).
[ Wir folgen hier vornehmlich v. Strauß' [1870 (!)] unübertroffenen Pionierleistung und Wáng Bě 王弼 in Wagner's genialem und kongenialem Werk. ["A Chinese Reading of the Daodejing", 2003].
01-10:
Höchste Innere Kraft
entbirgt nicht Innere
Kraft,
darum ist sie Innere Kraft;
geringere Innere Kraft
verbirgt nicht Innere
Kraft,
daher ist sie ohne Innere Kraft.
Höchste Innere Kraft
handelt
ohne Eingreifen
und zugleich ohne Absicht;
geringere Innere Kraft
handelt ohne Eingreifen,
doch zugleich mit
absichtlichem
Handeln.
Höchste Menschlichkeit
handelt eingreifend,
doch ohne absichtliches
Handeln.
Höchste Gerechtigkeit
handelt eingreifend
und zugleich mit
absichtlichem
Handeln.
Höchste Sittenstrenge
handelt eingreifend,
und wenn ihr doch keiner
folgt,
dann krempeln sie die Ärmel
auf
und erzwingen es gar.
01-04 Mit höchster Innerer Kraft braucht man sie nicht zu zeigen: "Jener mit höchster Fassungskraft "macht nichts daraus".
[ "Insofern er die Fassungskraft besitzt, lässt er sie darüber hinaus los; insofern er 'nichts aus der Fassungskraft macht', erlangt er sie darüber hinaus." [*Wáng Bě 王弼 / Wagner].
[ Mit geringerer Innerer Kraft wünscht man sie zur Schau zu stellen: "Jener mit der unterlegenen Fassungskraft lässt nicht [von ihr] los" ... "darum ist er ohne [sie]." [*].
[ "Niedere Tugend" beansprucht, als moralische Gesetz "unfehlbar" zu sein, somit ist sie nicht Tugend in einem höheren "unschuldigen" Sinn [**v. Strauß, 1870 p. 176-177].
05-06 Dementsprechend
greift ein hohes Dé "nicht
ein und doch bleibt nichts ungetan", niederes Dé "greift
in sie [die anderen Wesen] ein, besitzt aber keinen verborgenen Beweggrund" [*].
Höhere
Tugend ist "ohne Tun", jemand
mit hoher Tugend "tut nicht als täte er, und tut, als täte er nicht", und dies unbeabsichtigt.
Niedere Tugend, hingegen, legt Wert auf absichtliches Tun: "sie will das
Bewusstsein guter Werke haben und will anerkannt seyn [sic!]" [**].
07-08 Hier beginnt der Vergleich mit den konfuzianischen Werten: nur Innere Kraft wurde betrachtet und verglichen in sich selbst: zwischen hoher und niederer Form, jedoch erwog 老子 Lǎozĭ diese Unterscheidung als unnötig, nachdem die Innere Kraft bereits verloren war.
[ 仁 rén Menschlichkeit (Wohlwollen): "... die höchste Freundlichkeit greift (handelnd) ein" ... "hat aber keine Hintergedanken"; [*].
[ "Hohe Menschenliebe verdient diesen Namen nur dadurch, dass sie zur That [sic!] wird, dass sie 'thut'. ... "Hohe Menschenliebe" ... "wäre wertlos, wenn sie nur Gefühl und Wort bliebe" [*].
[ 義 yě Gerechtigkeit: "... die höchste Rechtschaffenheit greift ein" ... "hat aber Hintergedanken" [**]. – Gerechtigkeit als einziges Prinzip ist definiert als absichtlich und eingreifend; sie ist in Menschlichkeit enthalten, doch Freundlichkeit ist nicht in Rechtschaffenheit enthalten [*].
09-10 Der
dritte Konfuzianische
Wert,
禮 lǐ Moral, (oder Ritual),
ist für Lǎozĭ's Geschmack
so weit von Dé entfernt, dass er ihn in die Nähe von Gewalt rückt(!): 禮 lǐ's
Verfall von einem (ursprünglich)
spirituellen Opfergefäß zu einem säkularen Ritual, verändert mehr oder weniger
zu Höflichkeit und Rücksicht, bedeutet einen routinierten Verhaltens-Code. Dies
ist nicht nur eingreifend und absichtsvoll, sondern muss auch in allen Fällen
von Widersprüchlichkeit oder Einwand erzwungen werden [*].
Entsprechend
gibt Lǎozĭ ein
vernichtendes Urteil ab, in 王弼 Wáng
Bě's Worten:
Wer das höchste Ritual besitzt, beeinträchtigt andere Wesen, doch "... wenn
niemand [seine Anordnungen] beachtet, wird er [die Ärmel] hochkrempeln und
Gewalt anwenden [um seinen Willen zu erzwingen].
11-18:
Daher: verliere
Dŕo,
und ihm folgt
Innere Kraft;
verliere Innere
Kraft,
und ihr folgt
Menschlichkeit;
verliere
Menschlichkeit,
und ihr folgt
Gerechtigkeit,
verliere
Gerechtigkeit,
und ihr folgt
Moral.
Wahrlich: diese
Moral ist
der Treue und Aufrichtigkeit Ausdünnen,
und zugleich der Verwirrung Beginn.
Propheten sind des Dŕos Zierde,
doch auch der Torheit Beginn!
11-14 Die Stufenleiter von Dŕo und Dé (Innere Kraft) via Menschlichkeit und Gerechtigkeit zur Moral ... (oder in 王弼 Wáng Bě's / Wagner's Sprachgebrauch: Weg, Kapazität, Freundlichkeit, Rechtschaffenheit, Ritual) ist eine kurze Zusammenfassung der zehn Zeilen zuvor: eine spirituelle Kaskade, mit dem "Fließen der Ethik" [Konfuzianismus] von sublimer Transzendenz zu hohlem Ritual.
15-16 Moral / Ritual als
unterste Stufe im Fließen des sozialen Lebens: 老子 Lǎozĭ betont
noch einmal deren negative Konsequenzen.
Bedeutung
und Schutz durch das Ritual wird ausdünnen 'wie
Waldbelaubung', sich zu einer zierenden Form
entwickeln ohne Inhalt, enden in Heuchelei und Anarchie, in Chaos und Konfusion.
17-18 Perioden
mit heuchlerischer Ausschmückung und erzwungenen Ritualen lassen Herrscher und
Untertanen sich auf "Dŕos Blüten" verlassen: oberflächliche
Ausschmückung, getrennt von den Wurzeln des Dŕo, äußerliche Kenntnis statt
innerer Weisheit.
"Vorauswissen ist
[das Resultat], wenn der Weg zum
[äußerlichen] Ornament wird, und [folglich] zum Beginn der Dummheit [Gewalt und
kontraproduktive Herrschaft]" [*].
Falls ein Herrscher "seine Intelligenz dafür aufbraucht, um Vorauswissen zu
kreieren", dann scheinen Geheiminformationen und heimlichtuerische Gerissenheit
zunächst das Renommee des Herrschers zu bereichern, doch "Echtheit und
Ehrlichkeit werden umso mehr geschädigt" [* p.
246].
19-24:
Darum weilen große, geachtete Meister
in Daós
Tiefgründigkeit,
nicht an seiner Oberfläche.
Sie wohnen in seiner Wesenhaftigkeit,
verbleiben nicht in seinen Blüten.
So lehnen das eine ab und wählen
das andere.
19-24 "Darum"... zieht 老子 Lǎozĭ letztendlich eine Schlussfolgerung: aus allen oben erwähnten negativen Aspekten und Gefahren, hin zu positiven Wegen, (das Dŕo in Dé) zu leben, wie große, höchst respektierte Meister – ebenso empfohlen für die Herrscher.
[ Der Große Mensch, der Wahre Weise, der Herrscher im Geiste des Dŕo: "... weilt in ihrer Fülle [der Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit] und lässt sich nicht nieder, wo er überstrapaziert wurde" [*].
[ Er "weilt in seiner [des Weges] Substanz, und lässt sich nicht nieder, wo er zur Zierde ward" [*].
[ Weise Menschen und weise Herrscher nehmen die Frucht, nicht die Blüte, sie bevorzugen den Inhalt, nicht die äußere Hülle: folglich weisen sie letzteres zurück und nehmen das vorige" [*].
[
39 - Einklang durch Einfachheit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
昔之得一者。天得一以清。
xī zhī dé yī zhě 。tiān dé yī yǐ qīng 。
地得一以寧。神得一以靈。
dě dé yī yǐ níng 。shén dé yī yǐ líng 。
谷得一以盈。萬物得一以生。
gǔ dé yī yǐ yíng 。wŕn wů dé yī yǐ shēng 。
侯王得一以為天下貞。其致之。
hóu wáng dé yī yǐ wéi tiān xiŕ zhēn 。qí zhě zhī 。
天無以清將恐裂。地無以寧將恐廢。
tiān wú yǐ qīng jiāng kǒng lič 。dě wú yǐ níng jiāng kǒng fči 。
神無以靈將恐歇。谷無以盈將恐竭。
shén wú yǐ líng jiāng kǒng xiē 。gǔ wú yǐ yíng jiāng kǒng jié 。
萬物無以生將恐滅。侯王無以貞將恐蹶。
wŕn wů wú yǐ shēng jiāng kǒng mič 。hóu wáng wú yǐ zhēn jiāng kǒng juě 。
故貴以賤為本,高以下為基。
gů guě yǐ jiŕn wéi běn ,gāo yǐ xiŕ wéi jī 。
是以侯王自稱孤、寡、不穀。
shě yǐ hóu wáng zě chēng gū 、guǎ 、bú yů 。
此非以賤為本邪﹖非乎。
cǐ fēi yǐ jiŕn wéi běn xié ﹖fēi hū 。
至譽無譽。不欲琭琭如玉珞珞如石。
zhě yů wú yů 。bú yů lů lů rú yů luň luň rú shí 。
Kap. 38 zeigt den möglichen Verfall auf von Dŕo und Dé via die Konfuzianischen Werte 仁 rén Menschlichkeit und 義 yě Gerechtigkeit hinab zu eingreifender und erzwingender 禮 lǐ Moral und blutleerem Ritual, bei schrittweisem Verlust von Dŕos Einheit und Einssein.
In Kap. 39, mit starken Bezügen zu den entwicklungsmäßigen Aspekten in Kap. 42, wird die grundlegende Bedeutsamkeit des Einsseins (Kap. 22) für einige Große Wesenheiten bis hinaus zu kosmischen Dimensionen veranschaulicht:
[ die stabilisierende Harmonie zwischen dem Einen und dem Vielen,
[ die Wechselbeziehung zwischen Allem,
[ die Folgerungen für Demut und Schlichtheit des Herrschers.
01-08:
Einstmals erlangten Einheit:
der Himmel
erlangte Einheit,
somit Klarheit,
die Erde
erlangte Einheit,
somit Frieden,
die Geister
erlangten Einheit,
somit Wirkkräfte,
die Flusstäler
erlangten Einheit,
somit Fülle.
Abertausend
Geschöpfe erlangten Einheit,
somit Lebendigkeit;
Fürsten und Könige
gewannen Einheit,
somit wirkten sie weltweit als Richtmaß.
All dies bewirkte sie!
01-08 昔之得一者: "Dasjenige [Wesen], welches zum (aller-)ältesten gereicht, ist das [große] Eine. [王弼 Wáng Bě / Wagner 2003, p. 253.].
一yī Einssein, Einheit des Einen mit sich selbst, ist der altehrwürdige Anfang von Sein und Wesen. ("All-Einheit durch Allein-heit", Möller).
Die Großen Wesenheiten –
Himmel und Erde, Geister und Täler, Myriaden und König –
erzielten Einssein zu ihrer Vervollständigung (Klarheit,
Frieden, Wirkung, Fülle, Lebendigkeit, Richtmaß). All dies ist entfaltet und
offenbart!
Daher,
sofern sie das Einssein erreichen, sind die positiven
Konsequenzen sind:
[ Der Himmel wird klar sein (durch Einssein!),
[ Die Erde wird ruhig,
[ die Geister werden wirksam sein,
[ die Täler werden voll sein,
[ Fürst
und König werden durch das Einssein überal unter dem Himmel das Richtmaß sein
[nach 王弼 Wáng
Bě's /
Wagner *].
09-14:
Der Himmel ohne solche Klarheit
wird fürchten zu bersten,
die Erde ohne solche Friedlichkeit
wird fürchten zu beben.
Geister ohne solche Wirkkräfte
werden fürchten sich zu erschöpfen,
Flusstäler ohne solche Fülle
werden fürchten zu versiegen.
Alle Geschöpfe ohne solche Lebendigkeit
werden fürchten auszusterben.
Fürst & König ohne
solche Wertschätzung
werden fürchten, gestürzt zu werden.
09-14 Nach den positiven Konsequenzen, stellt Lǎozĭ systematisch die negativen Konsequenzen, 'das Einssein nicht erreicht zu haben', daneben – sie fürchten, sind in Gefahr zu ...:
[ Himmel – auseinander
gerissen zu werden,
[ Erde –
gespalten zu sein,
[ Geister –
in Unruhe zu geraten,
[ Täler –
trockengelegt zu sein,
[ Prinz
und König –
gestürzt zu sein [*].
Im chinesischen Original haben die Ausdrücke für positive und negative Konsequenzen ein "miteinander verzahntes Reimmuster"! [Wagner 2003 p. 466-467], s. die 拼音 Pīnyīn-Spalte mit gelben Hervorhebungen.
15-22:
Daher nutzen die Edlen Gewöhnliche
als Fundament,
die Hohen nutzen die Niedrigen,
als Grundlage zu dienen.
Darum nennen Fürst und König sich
einsam,
verwaist, und wertlos.
Ist das
nicht, damit wohl Gewöhnliche
als Grundlage dienen?
Nicht wahr?
Daher: vielerlei Ruhm zu erreichen
ist gleichsam ohne
Ruhm.
Begehre nicht zu glitzern und gleißen
wie Edelsteine,
sei rau und fest
wie ein Gedenkstein.
15-16 Der
Edle /
Hohe (Prinz
und König) verwenden die Gewöhnlichen / Niederen (Leute, Untertanen), als Wurzel /
Basis zu dienen.
Derart erkennen die Herrscher, eine Einheit mit allen Untertanen zu bilden, und
eigentlich einer der Geringsten zu sein [als symbolisch in alten Ritualen für
Prinzen und König erwähnt, im Buch
der Urkunden 書經
shūjīng [*].
17-19 Vgl. Kap. 42.08.!
[ Sie
nennen sich selbst einsam verwaist (verwitwet), und wertlos (bedürftig): geachteten zu
sein wirkt "als ob als Wurzel verachtet", und erhöht zu sein "als
ob bescheiden an der Basis": als Grundlage für die Gewöhnlichen zu dienen.
[ Erinnernd
an den König als "der erste Diener seines Staates" [Friedrich
der Große];
[ "Denn
wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der
wird erhöht" [Matthäus
23:12; Lukas 14:11, 18:14].
20 Wir folgen hier nicht 譽 = WAGEN:
[ "Daher
betrachten sie die große Anzahl von Wagen wie keine Wagen zu besitzen." [Henricks,
1989, p.100].
[ "Alle
Teile eines Wagens sind noch lange kein Wagen" [Wing-tsit
Chan; v. Strauß et. al.].
sondern (folgen) 譽 = RUHM: z.B.
[ ""Höchster
Ruhm ist ohne Ruhm sein" 莊子 Zhuāng zǐ (369-286
BC) oder: [yinde
46/18//11] = "Höchster
Ruhm bedarf nicht des Ruhms" [~Wáng
Bě 王弼 by P. J. Lin, E. Schwarz, H.
Knospe & O. Brändli].
[ "Höchster
Ruhm gilt dem Ruhmlosen" [Ch'u
Ta Kao et. al.];
[ "Vermehren
des Ruhms führt zur Ruhmlo-sigkeit" [~Gia
English; ~E. Rousselle; ~G. Debon; ~J. Ulenbrook].
21-22 In polierter Jade und geschliffenem Stein ist in ihrer Form die Substanz völlig verwirklicht" [*].
琭琭 lů lů ist auch lautmalerisch für klingelnde Jadesteine am Gürtel vornehmer Leute (Klangsteine hatten ebenso als Musik-instrumente Verwendung gefunden). [nach Schwarz].
[
40 - Rückkehr zum Nicht-Sein
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
反者道之動。
fǎn zhě dŕo zhī dňng 。
弱者道之用。
ruň zhě dŕo zhī yňng 。
天下萬物生於有,有生於無。
tiān xiŕ wŕn wů shēng yú yǒu ,yǒu shēng yú wú 。
Eines der kürzesten (& Kap. 18) und tiefsten Kapitel des 道德經 Dŕodéjīng, über:
[ Der Weg des WEGES
[ Der Weg des SEINS
01-02:
Rückkehr: Dŕos Bewegung,
Nachgiebigkeit: Dŕos Anwendung.
[ Der Weg des WEGES
01 反 fǎn: Rückkehr (Heimkunft) und/oder
ins Gegenteil umschlagen:
出生入死 Hinausgehen ins
Leben und hineingehen in den Tod (Kap.
50).
[ Dŕos Bewegung meint Rückkehr von Anfang an: Dŕo bewegt sich hin (erschafft, nährt) und her (entfaltet, vollendet).
[ Vergehen beginnt mit der Ankunft, ankommen endet mit dem Vergehen; Herkunft und Hingang von Sternen, Wesen, Staaten sind Yang und Yin des Einsseins.
[ Zeitlichkeit und Zeitlosigkeit sind gegenseitig ihre je eigene Lösung.
02 弱之勝強 Das Schwache besiegt das Starke:
das
Weiche überwindet das Harte (Kap.
78): Nachgiebigkeit
bezwingt Starrheit.
"Das
Nichts durchdringt
gar das Lückenlose" (Kap.
43): der
Weg der Schwäche und Sanftheit, Geschmeidigkeit und Nachgiebigkeit sind Dŕo's
Gebrauch und Gepflogenheit, Methode und Meisterung.
03-04:
Alle Wesen gingen aus dem Sein hervor,
das Sein aber trat aus dem Nichts empor.
[ Der Weg des SEINS:
03 德 Dé: Potentialität
wird Wesen:
Nachdem
das transzendente
Dŕo durch die Pforte
des Nichts kam (ch. 01, 06, 10),
nun als Mutter von
Allem, Seiendheit an sich war unterscheidbar von Nicht-Seiendheit, daher
vermochten die Myriaden von Wesen ins Dasein zu
treten.
04 道 Dŕo: Nichtsein wird Sein:
Die Mutter aller Fragen, erstmals klar, dann ähnlich wohlformuliert und untersucht von drei Philosophen aus dem »Land der Dichter und Denker«:
Leibniz: »Warum gibt es etwas und nicht vielmehr nichts?«. – Manch frühere Denker hatten gefragt, warum unser Universum ist wie es ist, aber er überlegte und grübelte, warum es überhaupt ein Universum gab, über
Schelling »Warum ist überhaupt etwas, warum ist nicht nichts?« zu
Heidegger »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?« als die Seinsfrage (Sein als Seiendes im allgemeinen).
Zwei Jahrtausende früher, versenkte sich Lǎozĭ in diese Frage bereits philosophisch, nicht mehr bloß mythisch-mystisch: der 'Alte Meister' optierte nicht für ein Steady-State-Modell, wie Physiker bis Einstein/Hubble, sondern für ein Big-Bang-Modell ["Pforte"], und – vielleicht als Erster überhaupt – einen ehrlichen Agnostischen Zugang zu einer "unbenennbaren" und unbegreiflichen Transzendentalen Identtät, bloß bezeichnet als Dŕo, vor und jenseits unseres raumzeitlichen Universums, einfühlbar angedeutet in der Poesie zwischen den Zeilen.
Dŕo schuf Gott-ähnlich,
doch unparteiisch und unpersönlich: Spiel, Regeln und Spieler, auf
allen Ebenen, von "Quantum-Monaden" bis Leben, Bewusstsein und
Gewissenhaftigkeit, Erleuchtung und Liebe.
Sie alle kommen zeitweise in Seiendheit / Existenz und zurück zur
Nicht-Seiendheit, zu ihren Wurzeln, voller Sehnsucht heim in ein vertrautes,
erlösendes Nichts.
[
41 - Unscheinbares Dŕo
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
上士聞道勤而行之。
shŕng shě wén dŕo qín ér háng zhī 。
中士聞道若存若亡。
zhōng shě wén dŕo ruň cún ruň wáng 。
下士聞道大笑之。
xiŕ shě wén dŕo dŕ xiŕo zhī 。
不笑不足以為道。
bú xiŕo bú zú yǐ wéi dŕo 。
故建言有之。明道若昧。
gů jiŕn yán yǒu zhī 。míng dŕo ruň mči 。
進道若退。夷道若纇。
jěn dŕo ruň tuě 。yí dŕo ruň lči 。
上德若谷。大白若辱。
shŕng dé ruň gǔ 。dŕ bái ruň rǔ 。
廣德若不足。建德若偷。
guǎng dé ruň bú zú 。jiŕn dé ruň tōu 。
質真若渝。大方無隅。
zhě zhēn ruň yú 。dŕ fāng wú yú 。
大器晚成。大音希聲。
dŕ qě wǎn chéng 。dŕ yīn xī shēng 。
大象無形。道隱無名。
dŕ xiŕng wú xíng 。dŕo yǐn wú míng 。
夫唯道善貸且成。
fū wéi dŕo shŕn dŕi qiě chéng 。
[ Unterschiedliche Stufen, Dŕo zu verstehen, zeigen umso mehr seine Erhabenheit.
[ In zwölf altbewährten Sprüchen, meist noch immer gereimt, schenkt uns Lǎozĭ poetisch einen Blick hinter die Kulissen der Oberflächlichkeit (Kap. 01):
[ die Paradoxien des Dŕo handelt er dabei ab (Zeilen 06-08), des Dé und dessen Reinheit und Wahrheit (09-13), und solche der größten Formen und Gaben (14-17).
[ Nichts versorgt und vollendet wie das Dŕo (18-19).
01-04:
Höher
Gebildete hören vom Dŕo,
bemühen sich und praktizieren es.
Mittelmäßig
Gebildete hören vom Dŕo:
unsicher, ob es existiert, ob nicht?
Wenig
Gebildete hören vom Dŕo:
groß verlachen sie es.
Nicht derart verlacht,
wäre es nicht genug, es als Dŕo zu erachten!
01-04 士 shě: 一 Eines,
ausgesprochen wie zehn; ein (ehrenwerter) Herr, (im Altertum): ein Gelehrter.
Kommen überragende, mittlere,
und nachrangige Gelehrte mit
dem Dŕo in Berührung, in alten Zeiten meist hörend (!), reagieren sie
unterschiedlich, abhängig
von deren Fassungsvermögen, ihrer Aufgeschlossenheit und ihrem geistigen
Ver-ständnis:
[ überragende bemühen sich und sind tief bewegt, sie wandeln auf dem Weg und verfügen über Willen und innere Stärke, ihn kraftvoll zu praktizieren (Kap. 33);
[ mittlere begegnen dem Dŕo halbherzig: unsicher, ob es existiert oder nicht, scheinen sie berührt, doch nicht von ihm durchdrungen.
[ nachrangige,
offen für sinnliche, aber nicht für spirituelle Erfahrungen, lachen darüber, da
sie die Idee von etwas Unsichtbarem und Übersinnlichem (im
Sinne Kants) lächerlich
finden und darüber lachen –
aber genau das ist der Beweis für die Transzendenz des Dŕo: "würden sie sich nicht darüber
lustig machen, es
hätte keine Berechtigung, für den Weg gehalten zu werden" [王弼 Wáng
Bě's / Wagner].
05-08:
Darum gibt es die bewährte Redewendung:
'Erleuchtetes Dŕo – wie dunkel,
voranschreitendes Dŕo – wie zurückweichend,
glättendes Dŕo – wie holprig.'
05-08 Die
nächsten drei Zeilen sind klar als althergebrachte Redensart vermerkt, reimende
Paradoxien [außer 退 nun tuě], wie
es auch die nächsten fünf Zeilen tun.
Dŕo, das erleuchtend,
fortschreitend, glättend ist, scheint,
für den Unerfahrenen, der nur der äußeren Erscheinung folgt, dunkel, sich
zurückziehend, holprig:
[ erleuchtend: Das Dŕo des Weisen "erleuchtet, doch forscht es nicht nach (Kap. 58) [dunklen und verborgenen Handlungen der Bevölkerung]" [*].
[ fortschreitend: Das Dŕo des Weisen "stellt seine eigene Person in den Hintergrund (Kap. 07) und [erreicht auf diesem Wege] dass seine eigene Person nach vorn gelangt; missachtet seine eigene Person und [erreicht auf diesem Wege] dass seine eigene Person fortdauern wird" [*].
[ glättend: Das Dŕo des Weisen "... bewerkstelligt, dass die Große Ebenheit nach der Natur der Wesen (Kap. 27) erfolgen solle und nicht an Angleichung festhält mittels 'Abschneiden von den Wesen' [*]. – „Großes Schnitzwerk entsteht ohne Späne" (Kap. 28): "der Große Regulierer ... reguliert ohne Abschneiden" (Unterdrückung) [*].
09-13:
Höchste Innere Kraft scheint gewöhnlich,
größte Reinheit wie befleckt;
umfassende Innere Kraft unzureichend,
standhafte Innere Kraft scheint wie trügerisch,
reine Wahrheit wankelmütig.
09-13 Fünf
weitere Paradoxien,
Nr. 4 - 8 (von 12): eine der Dŕoistischen Techniken, das Unaussprechliche zu
sagen.
Höchstes,
umfassenstes, und unerschütterlichstes Dé 德,
als Dŕo in des (wirklichen) Lebens Innere
Kraft,
scheint gewöhnlich, ungenügend und entschwindend, trügerisch-ausweichend.
大白 Große Reinheit (Integrität) und 質真 reine
(wirkliche) Wahrheit (Authentizität) scheinen wie
befleckt, und
wandelbar (beschmutzt).
14-17:
Das größte Viereck scheint ohne Ecken,
größtes Talent reift noch spät,
größte Musik liegt in leisestem Klang,
größte Form scheint ohne Umriss.
14-17 Die
letzten vier Paradoxien erweitern
die Vielfalt durch zwei 'geometrische' (Quadrat, Form im allgemeinen), welche
zwei 'kulturelle' umrahmen (Musik,
Befähigung im allgmeinen):
Etüden des Alten Meisters zur Bewusstseinserweiterung, den Geist zu öffnen für
das Unbegrenzte, der poetische Griff nach dem Bildnis der Transzendenz:
[ größte Quadrate benötigen keine Ecken oder Umrisse; der Weise "begleicht, doch beschneidet nicht" (Kap. 58) [*].
[ größte Gaben (Instrumente, Geräte) reifen spät, oftmals noch zuallerletzt [*],
[ größte Klänge sind unhörbar (Kap. 14), aber spirituell,
[ größte Form (Gestalt) benötigt keinen Umriss, wenn sich schließlich alles innerhalb, nichts mehr außerhalb befindet.
18-19:
Nur das Dŕo, so namenlos verborgen,
wird uns wahrhaft vollenden und umsorgen.
18-19 Alles in allem, möchten jene aus alter Zeit gebräuchlichen Reimsprüche zwischen den Zeilen besagen: das verborgene und namenlose Dŕo allein vermag jedwedes Geschöpf gut zu versorgen, mehr noch: zu vollenden.
[
42 - Gewaltlose Evolution
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
道生一。一生二。二生三。三生萬物。
dŕo shēng yī 。yī shēng čr 。čr shēng sān 。sān shēng wŕn wů 。
萬物負陰而抱陽,沖氣以為和。
wŕn wů fů yīn ér bŕo yáng ,chňng qě yǐ wéi hé 。
人之所惡,唯孤、
rén zhī suǒ č ,wéi gū 、
寡不穀,而王公以為稱,
guǎ bú yů ,ér wáng gōng yǐ wéi chēng ,
故物或損之而益,或益之而損。
gů wů huň sǔn zhī ér yě ,huň yě zhī ér sǔn 。
人之所教,我亦教之,
rén zhī suǒ jiāo ,wǒ yě jiāo zhī ,
強梁者,不得其死。
qiáng liáng zhě ,bú dé qí sǐ 。
吾將以為教父。
wú jiāng yǐ wéi jiāo fů 。
[ Es existiert eine lange Tradition, dieses Kapitel als zusammengesetzt zu erörtern aus (zwei oder) drei unabhängigen Teilstücken, eine Theorie, der wir hier nicht folgen.
[ Eine tiefgründigere Analyse der drei Inhalte enthüllt sehr wohl ein kunstvolles Triptychon der Evolution in Lǎozĭ's Gedankenführung:
[ eine Kosmogonie hin zur Harmonie in der physikalischen Welt (Zeilen 01-06)
[ führt zu einer psychologischen Umdeutung und philosophischen Neuinterpretation von Werten in der individuellen Existenz der Entitäten (07-11), und daher, zu
[ einem klaren Bekenntnis zu Politik und Lehre der Gewaltlosigkeit (12-15).
01-04:
Das Dŕo schuf Einheit,
Einheit schuf Zweiheit,
Zweiheit schuf Dreiheit;
Dreiheit schuf abertausend Dinge.
01-04 Das laut dem Dŕodéjīng Wesentliche jedweder Kosmogonie in aller Kürze, quasi auf moderne Weise symbolisiert durch Zahlen (!):
0 - 1 - 2 - 3 - ∞
0 - 1: Dŕo schuf Einheit / Einshaftigkeit:
Erster Schritt und innerer Kern der Schöpfung (Erschaffung), entsprechend der Leibniz-Frage (in Kap. 40) vom (absoluten) Nichts zur Seiendheit (durch die 'Pforte aller Geheimnisse', ch. 01),
1 - 2: Oneness schuf Zweiheit / Zweihaftigkeit:
Normalerweise
gedeutet als Spannung zwischen Yin und Yang (als
zwei "Seiten einer Medaille", positive und negative Energie / Ladung von 'Allen
Dingen'), neben anderen Interpretationen.
*王弼 Wáng
Bě nennt
Einheit und "Einheit" (als das Wort für Einheit) nach dem Beginn des Benennens
schon als Zweiheit; dementsprechend Zhuāngzi 莊子 (5,2).
2 - 3: Twoness schuf Dreiheit / Dreihaftigkeit:
Traditionsgemäß interpretiert als 陰 yīn, 陽 yáng, und 氣 qě als deren natürlich Spannung / Energie (von physikalisch bis spirituell); wiederum vereinfacht als "Zweiheit plus Einheit = Dreiheit" in Wáng Bě & Zhuāngzi.
3 - ∞: Dreiheit schuf Vielheit / Mannigfaltigkeit
(Myriaden Dinge, "10,000"; vgl. Einheit & Vielheit in Plato's Theaetetus).
Hier betonen
beide Philosophen, dass nach der Dreiheit das Reich des Dŕo als solches
verlassen ist, argumentierend, dass "bis zur Nummer drei keine eigentliche
Entität involviert ist, und nur von da an das Reich der zehntausend Wesen
beginnt, während bis zur Drei es ein 'Reich des Weges' [Dŕo] ist" [*].
[Zhuāngzi,
übers. von Graham, p. 56]. Wáng
Bě hatte in seiner riesigen Bibliothek Zugang zu (der wahrscheinlich einzigen
Kopie zu dieser Zeit) des Zhuāngzi [Wagner,
2003 p. 470].
Z.B. versucht von Strauß ("Monas,
Dyas, Trias"), mithilfe der Kap.
01, 06, 21 + 25, diese Trinität aus
Einheit, Zweiheit und Dreiheit "innerhalb des Reiches des Dŕo" mit der
christlichen Trinität zu analogisieren,
mit der Selbstentfaltung des Dŕo bis zum "Geist des Tales" in Kap.
06 [1870
p. 198-201].
Trotz
der 10,000 Formen der Wesen kann man ihren "Meister" kennen, da diese Trinität
der ersten drei aus einem "Äther der Leere" herausgekommen war [*].
Daher bedeutet der Weg zurück zu den 'Wurzeln': Multiplizität/Pluralität – Unterschied – Fortbestand – Dŕo
[n.
Ames & Hall].
05-06:
Alle Wesen
tragen Yin
und umarmen Yang,
Die strömende
Lebenskraft
bewirkt dabei ihre Harmonie.
05-06 Tragen (oder sich abwenden vom)
陰 yīn (der
'schattigen Seite des Hügels'), und Umfangen (oder sich zuwenden zum)
陽 yáng (der
'sonnigen Seite des Hügels') lassen
氣 qě 'Atem,
Hauch', 'Luft', Lebensenergie harmonisch fließen – auf der individuellen,
sozialen und universellen Ebene.
07-11:
Menschen verabscheuen es grundsätzlich,
bloß einsam, verwaist, und wertlos zu sein;
doch Könige und Herzöge
machten daraus Ehrennamen!
Somit verlieren die Wesen manchmal etwas
und gewinnen noch,
manchmal gewinnen sie
und verlieren doch.
07-09 Im
Gegensatz zu gewöhnlichen Leuten erkennen
(weise) Herrscher, sich in einer Einheit mit allen Untertanen zu befinden und
eigentlich einer der Geringsten zu sein, als in alten Ritualen symbolisch für
Prinzen und Könige, erwähnt im Buch der Dokumente 書經 shū
jīng [s. Kap.
39.15-16].
Sie
nannten sich selbst einsam, verwaist (verwitwet) und wertlos (bedürftig): "Daher
betrachtet geschätzt zu
werden [handeln
als ob] verachtet zu werden als seine Grundlage ['Wurzel'], und erhöht zu
sein betrachtet [handeln
als ob] niedrig
zu sein als [seine] Grundlage" [*]:
dienen als Fundament des Gewöhnlichen ... [s. Kap.
39.17-19.].
'Allein-heit' der
Herrscher dienst ihnen als "Anspruch de Herrschaft in der 'All-Einheit'
" [Möller].
10-11 Dieses
'verlieren-gewinnen- und gewinnen-verlieren'-Paradoxon (vgl. Kap. 29.07-10.)
ist offensichtlich eine alte Redensart, von Lǎozĭ zitiert,
sie wurde natürlich häufig mit biblischen Zeilen wie in unserem Kap.
39.17-19.
"Denn
wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der
wird erhöht." [Matthäus 23:12;
s. Lukas 14:11, 18:14]. Oder Lukas
17:33 "Wer
suchet seine Seele zu erhalten, wird sie verlieren, und wer sie verlieren wird,
wird sie lebendig machen".
Mehr in Lǎozĭ's
Diktion: [v.
Strauß, 1870 p. 201]: "Wer
sich seines Selbst entäußerst, wird es gewinnen, wer sein Selbst voranstellt,
wird es verlieren."
12-15:
Was andere lehren,
lehre auch ich:
'Brutale Gewaltmenschen
finden nicht ihren natürlichen Tod'.
Ich
will dies als
Ausgangspunkt
meiner Lehre verwenden.
12 Manchmal verwiesen auf den Satz zuvor, meistens aber zum folgenden!
13-14 梁 liáng gewaltsam, lit./etym.:
"(Brücken-) Balken" (fest, starr): eine
von Lǎozĭ's
unzweifelhaften Aussagen zur Gewaltlosigkeit (Kap.
30, 31, 36).
Wiederum
das 'Gewinnen-Verlieren' Paradoxon, hier: kein "natürlicher Tod" (bereits Stan.
Julien, 1842, Le
Livre de la Voie et de la Vertu. Par le Philosophe Lao-Tseu [=
Das Buch vom Weg und der Tugend]: "mort
naturelle" als Konsequenz für den Aggressor:
"... wer das Schwert nimmt, der soll durch das
Schwert umkommen." [Matthäus
26, 52].
15 Lǎozĭ benutzt seine "Gewaltlosigkeit" sogar als "Ausgangspunkt seiner Lehre!": im nächsten Kapitel und allgemein durch das 道德經 Dŕodéjīng hindurch!
[
43 - Sieg der Sanftheit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
天下之至柔,馳騁天下之至堅。
tiān xiŕ zhī zhě róu ,chí chěng tiān xiŕ zhī zhě jiān 。
無有入無間,吾是以知無為之有益。
wú yǒu rů wú jiān ,wú shě yǐ zhī wú wéi zhī yǒu yě 。
不言之教,無為之益天下希及之。
bú yán zhī jiāo ,wú wéi zhī yě tiān xiŕ xī jí zhī 。
[ Wie Weichheit und Schwäche durch Härte und Stärke gelangt, und wie Nachgiebigkeit und Gewaltlosigkeit alle Starre und Gewalt durchdringt, umso mehr vermag.
[ Dŕos Aspekt des transzendenten Nichts das Lückenlose zu 'durchtunneln', folglich ist es das Vorbild für die Unwiderstehlichkeit des Handelns ohne zu handeln 無為 und Lehrens ohne zu lehren 不言.
01-02:
Der Welt Weichstes
durchdringt geschwind der Welt Härtestes.
01-02 Als Inbegriff der dŕoistischen Philosophie, wird die Macht in Weichheit und Schwäche hauptsächlich viermal im 道 德 經 Dŕodéjīng veranschaulicht, mit meist identischer Bedeutung bei teils unterschiedlichen Schriftzeichen:
in ch.
36:
柔 róu weich + 弱 ruň schwach
勝 shčng überwindet
剛 gāng hart + 強 qiáng stark,
hier in ch.
43:
柔 róu weich
馳騁 chī-chěng (rasch) gelangt
durch
堅 jiān hart,
in ch.
76:
柔 róu weich + 弱 ruň schwach
// (+ mehr über altern/sterben),
堅 jiān hart + 強 qiáng stark (starr)
und
in ch.
78:
弱 ruň schwach
勝 shčng überwindet
強 qiáng stark,
... mit zwei Bedeutungsebenen: physikalisch (Wasser
/ Stein) und spirituell (Nachgiebigkeit
/ Gewalt)!
Hier bereitet Lǎozĭ den
tiefstmöglichen Vergleich vor –
mit der "Weichheit" des Nichts!
03:
Das Nichts durchdringt gar das Lückenlose.
03 "Ohne
sein" (das, was nichts
hat), Nichts als
Dŕos transzendenter kreativer Aspekt und seine Phase der Potenzialität [doch
noch nicht als 'seiend' wie Entitäten], ist sogar weicher als Wasser, weicher
als Weichheit, da "für Wasser gibt es nichts, durch das es nicht hindurch
gelangt, für den 'Äther'
[des Nichts] gibt es nichts, das es nicht durchdringt" [* 王弼 Wáng
Bě's / Wagner].
Während
Wasser jede Lücke (Öffnung, Zwischenraum) durchdringt,
kann das Nichts jede Wand 'durchtunneln' [Quantum]: das
Nichts vermag sogar das Lückenlose, Ungeteilte, Kontinuierliche,
selbst die Geister und alles Beseelte zu durchdringen [Héshŕng
Gōng 河上公].
04-07:
Darin erkenne
ich den Vorteil
des Handelns
ohne einzugreifen:
Das Lehren ohne Worte,
der Vorteil des Handelns ohne einzugreifen –
nur Wenige auf Erden können sie erreichen!
04-07 Von diesen beiden Phänomenen der Durchdringungsqualität des Wassers und des Nichts 'mutmaßt' Lǎozĭ die Vorzüge des Nicht-Handelns und des Nicht-Lehrens:
[ alle Starrheit und Gewalt könnte niemals der durchdringenden Kraft des Dŕo in seinem "Gewand des Nichts" widerstehen, und daher
[ ist 無為 wú wéi so unwiderstehlich in seiner langfristigen Macht: nur 有為 yǒu wéi trifft (andauernd) auf Widerstand, Nicht-Handeln gewinnt schließlich wegen seiner letztmöglichen Weichheit und seiner gewaltfreien Durchdringungskraft.
[ 不言 bů
yán die Lehre
ohne Worte,
als Vorbild durch die natürliche Autorität der Reinheit, besitzt die gleichen
unwiderstehlichen Vorzüge, eines Menschen Persönlichkeit mittels
Nichteingreifens zu entfalten und vollenden zu vermögen.
Aber, ach, nur wenige erreichen das in dieser Welt nur wenige unter dem Himmel
sind fähig, es zu verstehen, gemahnend
an "Viele
sind berufen, aber wenige sind auserwählt." [Matthäus
22:14].
[
44 - Wahre Werte
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
名與身孰親。
míng yǔ shēn shú qīn 。
身與貨孰多。
shēn yǔ huň shú duō 。
得與亡孰病。
dé yǔ wáng shú běng 。
是故甚愛必大費。
shě gů shčn ŕi bě dŕ fči 。
多藏必厚亡。
duō cáng bě hňu wáng 。
知足不辱。
zhī zú bú rǔ 。
知止不殆。
zhī zhǐ bú dŕi 。
可以長久。
kě yǐ zhǎng jiǔ 。
[ Ein "philosophisch-ausgeklügelter dyadischer Fragebogen" über bevorzugte Werte fragt nach den Kosten von Ruhm und Wohlstand.
[ Verstehen zu genügen und rechtzeitig anzuhalten wird weder Schande noch Bedrohung sein und erlauben, lange zu dauern.
01-03:
Ruhm oder Person, was ist näher?
Person oder Besitz, was ist mehr?
Gewinn oder Verlust – was ist schlimmer?
01-03 Den Leser bezüglich seiner entscheidenden Werte bewusst zu machen, bevorzugt Lǎozĭ zu fragen (wie Sokrates), in Entweder-oder-'Hamlet'-Manier [Kalinke], und mittels einer modernen psychologischen Menge dreier dyadischer Einzelfragen (für vergleichendes Datenniveau)!
孰 shú wird durchweg im Dŕodéjīng als rhetorische Frage für augenscheinliche Antworten benutzt, 身 shēn (auch 'Selbst') meint hier zumeist Person (oder Leib). [Wagner p. 471-472].
[ 孰 Person "oder" 名 Ruhm / Name / Reputation (welches ist näher oder lieber?) ... (unglücklicherweise) oftmals der Ruhm;
[ 孰 Person "oder" Güter / Wohlstand (welches ist gestiegen?) ... (unglücklicherweise) häufig die Güter;
[ 得 Zugewinn (von Ruhm oder Gütern!) oder 亡 Verlust (von Person / Persönlichkeit oder Körper ... "Wohlstand oder Gesundheit"?!) – "Was ist es, das [schließlich] Bedrängnis verschafft [angetan seiner Person? Die anderen in ihrem Neid natürlich" [* 王弼 Wáng Bě's / Wagner]. Und der Verlust ist ein doppelter: der Person ('Seele') sowie seiner selbst am Ende seines Lebens [v. Strauß].
Dŕoistische Schlichtheit kann einen ausgeklügelten Anklang besitzen ...
04-08:
Wahrlich,
daher: zu
sehr lieben
kostet gewiss einen hohen
Preis,
zu sehr horten sicher schwere Verluste.
Wissen zu genügen ist keine Schande,
wissen aufzuhören keine Bedrohnis;
so kann man lange fortbestehen.
04-05 Die Sieben Weisen im Alten Griechenland: "Der Mittelweg ist der beste" [Cleobulos of Lindus]. "Nichts zu viel" [Solon of Athens].
Der Alte Weise im antiken China: zu viel ...
[ "lieben" (Leidenschaft, Begehren) / horten von
[ Ruhm / Gütern führt unvermeidlich zu großen
[ "Ausgaben / Verlusten", wegen weniger
[ Interaktion mit / Zerstreuen unter den Wesen, im
[ Trachten nach (Ruhm) / attackiert (für Güter) ...
06-07 Wissen, verstehen zu...
[ stoppen (halten) // genügen (befriedigt zu sein; Kap. 07, 46)
[ zu gieren (nach noch mehr Ruhm) // mit Gütern (bereits), so
[ ohne
Gefahr // kein Verlust!
08 [Auf
diese Weise] ist es möglich [exzellent zu sein] und lange
zu dauern [~*].
"Weiß
der Mensch stillzustehn und sich zu genügen, so hat er Glück und
Gut in sich selbst.
Sich selbst beherrschend, beschwert er seinen Geist nicht; ein Land
beherrschend, drückt er das Volk nicht; darum kann er lange dauern". [Héshŕng
Gōng 河上公,
zit. von V. v. Strauß].
[
45 - Paradoxie der Wahrheit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
大成若缺,其用不弊。
dŕ chéng ruň quē ,qí yňng bú bě 。
大盈若沖,其用不窮。
dŕ yíng ruň chňng ,qí yňng bú qióng 。
大直若屈。
dŕ zhí ruň qū 。
大巧若拙。
dŕ qiǎo ruň zhuō 。
大辯若訥。
dŕ biŕn ruň nč 。
靜勝躁,寒勝熱。
jěng shčng zŕo ,hán shčng rč 。
清靜為天下正。
qīng jěng wéi tiān xiŕ zhčng 。
Innerhalb der letzten Kapitel benutzt das Dŕodéjīng einige Arten von Paradoxien:
[ Wesen können gewinnen und doch verlieren, verlieren und doch gewinnen (Kap. 42),
[ das Weichste gelangt durch das Härteste, das Nichts sogar durch das Lückenlose (Kap. 43),
[ zu
viel 'lieben' bedeutet hohe Kosten, zu viel horten bedeutet einen großen Verlust
(Kap.
44),
– und hier folgen einige mehr über die Wahrheit hinter
dem ersten Anschein:
das Substantielle
scheint substanzlos [Cheng].
01-04:
Hohe Vollendung scheint unzulänglich,
doch ungemindert ihr Nutzen.
Große Fülle scheint wie leer,
unerschöpflich aber ihr Gebrauch.
01-04 Weil Dŕo in
Anpassung an die Entitäten vervollständigt [* 王弼 Wáng
Bě's / Wagner], schaut
große Vollendung wie verstreut aus und
gesprungen wie eine zerbrochene Tonware – doch
die Tatsache, dass ihr Gebrauch überhaupt nicht abgenutzt ist, enthüllt die
Wahrheit, Dŕo, die Basis von 'allen Dingen': sie ist niemals minderwertig.
Dŕo
"gibt in
Anpassung an die Entitäten"
[*], doch
unparteiisch ohne Günstlinge (Kap. 79),
niemanden im Besonderen liebend und respektierend, daher scheint große Fülle wie
leer, doch die Tatsache, dass kein Gebrauch sie
zu erschöpfen vermag, enthüllt die Wahrheit: Dŕo ist zeitlos unerschöpflich.
05-07:
Große Geradlinigkeit scheint gekrümmt,
große Geschicklichkeit unbeholfen,
große Beredsamkeit wie stammelnd.
05-07 Dieses poetische Dreiergruppe folgt der gleichen Logik der Anpassungen des Dŕo hinter den Kulissen: große ...
[ Begradigung / Fertigkeit / Redegewandtheit genießen Dŕos Adaptation an die Wesenheiten, gehen nicht 'nach einem einzigen Richtmaß', 'erfinden nicht besondere Eigenschaften' [*], als seien sie
[ gesprungen / unbeholfen / stotternd, doch die Tatsache, dass sie in ihrem Gebrauch nie beschränkt wurden (entsprechend der beiden Paradoxien zuvor), genau dies enthüllt die Wahrheit.
[ Die Paradoxie der Wahrheit beweist auch die Wahrheit hinter den Paradoxien.
08-10:
Bewegung besiegt Kälte,
Ruhe besiegt Hitze.
Reinheit und Ruhe gelten
als universelles Richtmaß.
08-10 Die
wohlbekannten physikalischen Effekte, dass Kälte durch Bewegung überwunden wird
und Hitze durch Ruhe, dient Lǎozĭ als
Ausgangspunkt zu einer ethischen und politischen Überlegung.
Die Hitze aus Begierde und Leidenschaft der Leute
ebenso wie die politischen Heißsporne, rufen nach einem "korrekten Regulierer
für alle unter dem Himmel".
Wiederum wird Hitze durch Ruhe überwunden: Gelassenheit 靜,
gepaart mit Reinheit 清, wird
die Hitze erfolgreich bekämpfen, da "umtriebige Aktivitäten gegen die Natur der
Wesen verstoßen", ist man jedoch "gelassen, hält man die wahre Essenz der Wesen
intakt" [*],
folglich wird 清靜 reine
Seelenruhe [auch in Wáng
Běs Kommentar
zu Kap.
72.01.] zum angemessenen Regulierer des
Staates werden, wohlgeführt
durch sein Vorbild: jener 'Große Regler' alles Seienden.
Wagner verweist
auch auf Kap.
60:
der weise Herrscher behandelt den Staat wie das Braten kleiner Fische ...:
"übereifriges Gebahren [wie den Fisch zu rühren] wird manchen Schaden
anrichten", doch mit Gelassenheit lassen Koch wie Staatsmann die wahre Essenz
intakt [p.
472].
[
46 - Friedliche Genügsamkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
天下有道,卻走馬以糞。
tiān xiŕ yǒu dŕo ,quč zǒu mǎ yǐ fčn 。
天下無道,戎馬生於郊。
tiān xiŕ wú dŕo ,róng mǎ shēng yú jiāo 。
[罪莫大於可欲] 禍莫大於不知足。
[zuě mň dŕ yú kě yů ] huň mň dŕ yú bú zhī zú 。
咎莫大於欲得。
jiů mň dŕ yú yů dé 。
故知足之足常足矣。
gů zhī zú zhī zú cháng zú yǐ 。
[ Die 'Welt' meint im Alten China zumeist ... das Reich der Mitte!
[ Wenn 'Alles unter dem Himmel', die Welt, das Reich den Weg hat (oder nicht), was bedeutet das?
[ Wenn der Staat von einem weisen König im Geist des Dŕo regiert wird (oder nicht) – was werden die Konsequenzen sein?
01-02:
Eine Welt mit
Dŕo nimmt Rennpferde
zurück zum Düngen,
eine Welt
ohne Dŕo züchtet Streitrosse
vor der Stadt.
01-02 Eine
Welt mit Dŕo, aufgrund
eines weisen Herrschers, der "weiß, wie man zufrieden ist" und
"wie man aufhört" (*
Wáng Bě, Kap.
44),
bringt die Reitpferde (Kriegsrösser) zurück zu Äckern und Feldern, um den Dung
als Düngemittel zu bewirtschaften und zu transportieren:
nutzbringende, ernährende Arbeit in Friedenszeiten.
Eine
Welt ohne Dŕo,
"gibt es Gelüste und Begierden ohne Beschränkung" [*],
denn Herrscher und Untertanen streben
nach äußeren Dingen,
nicht nach inneren Angelegenheiten.
Daher wachsen Kriegspferde für die Truppen in den Vorstädten auf, um Krieger
und Kriegswagen zu bedienen und zu transportieren:
nutzlose, zerstörende Arbeit in Kriegszeiten.
Vom dŕoistischen Standpunkt aus führt, nicht zu verstehen, wie man zufrieden ist und wie man aufhört, zu doppeltem Schaden, zu größerem Verhängnis:
[ erstens zur Erschöpfung der individuellen Lebenskraft 氣 qě,
[ zweitens zu Entzweiung [Hegel] und Gespaltenheit des Volkes, und somit zu Streitereien, Kämpfen und Kriegen.
03-07:
Kein
Verbrechen ist größer
als Begehrlichkeit zu kennen,
kein Unheil ist größer
als Zufriedenheit nicht zu kennen,
kein Fehler ist größer
als Gier nach Gewinn.
Darum: weiß man genug um Genügsamkeit,
hat man wohl beständig genug!
03-05 Kein Verbrechen, Übel, Fehler, Verhängnis, keine Schuld, Sünde, Katastrophe ... ist großer als
[ zu kennen und leben den Weg der Begehrlichkeiten, Gelüste, Begierden;
[ nicht zu kennen das Dŕo der Genugheit (Genügsamkeit), Zufriedenheit, Zulänglichkeit (Kap. 33);
[ streben nach Profit, nach Gewinn (Kap. 42), materiellem Reichtum, und sozialem Ansehen – persönlich und zwischenstaatlich (zwischen Nationen: Eroberungskriege).
Begehrlichkeit verhindert Zufriedenheit und steigert Unzufriedenheit; Unbehagen und innere Unruhe machen es zu einem süchtigen Spiel nach mehr Besitztümern (einem Verlust im Tod, einer Zeitverschwendung im Leben) und dem Fluch der Nicht-Genugheit (Nicht-Genügsamkeit).
Gegenstrategien liegen sowohl in der persönlichen Regeneration des 氣 qě, als auch in von der Regierung ausgehender Kontrolle von Begehrlichkeiten.
06-07 Der
Segen der Genugheit (Genügsamkeit)
ist das innere Gleichgewicht von beidem: Grundbedürfnissen und Erfüllung,
Selbstverwirklichung und Kreativität: jenem
Inbegriff innewohnender Würdigkeit und Würde.
Genug zu kennen an Genugheit (Genügsamkeit) ist
unentwegt genug:
"... die Zufriedenstellung [durch einen Herrscher], der weiß, wie zu
befriedigen, [verschafft] zeitlose Befriedigung" [*].
[
47 - Erkenntnis und Einsicht
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
不出戶知天下。
bú chū hů zhī tiān xiŕ 。
不闚牖見天道。
bú kuī yǒu jiŕn tiān dŕo 。
其出彌遠,其知彌少。
qí chū mí yuǎn ,qí zhī mí shǎo 。
是以聖人不行而知。
shě yǐ shčng rén bú háng ér zhī 。
不見而明。
bú jiŕn ér míng 。
不為而成。
bú wéi ér chéng 。
[ Dŕoistische Erkenntnistheorie: Empirische oder intuitive Erkenntnis?
[ Von mystischer Erfahrung als "Religiösem Empirismus" [Ellen Chen] zu empirischem Wissen und meditativer Versenkung und Introspektion: als eine philosophische Methode, Klarheit und Erleuchtung zu erlangen.
[ Introspektion greift nicht physikalisch in die Objekte des Wissens ein: sozusagen die 無為 wú wéi Methode unter den Erkenntniswegen.
01-04:
Ohne aus der Tür zu schreiten,
erkenne alle Welt;
ohne aus dem Fenster zu blicken,
erschaue das himmlische Dŕo.
Die in weite Fernen ziehen,
sie durchschauen weit weniger!
01-02 Schauen wir zunächst, was Wáng Bě 'selbst' hierzu kommentiert [*Wagner p. 277 (+473!)], (s. Kap. 49) [*]:
[ 'Nicht aus der Tür gehen' und dabei alle Welt verstehen ... da Vorgänge einem Prinzip unterliegen*,
[ 'nicht aus dem Fenster spähen' und dabei den Weg des Himmels verstehen ... da Dinge einen Meister(-plan) haben **.
Er beginnt damit, Konfuzius zu zitieren [der 繫辭傳Xici zhuan Kommentar zum 易经 Yijing]: "Worüber denkt und sinnt jedermann in der Welt nach?! In der ganzen Welt ..:
[ obschon die 'Bahnen (zu denken)' 'mannigfaltig' sind, 'wohin sie führen' ist das gleiche [(am) Ende];
[ obwohl die 'Gedanken' 'hundertfach' sind, 'wohin sie gerichtet sind' ist 'Eines'".
** Prinzip 宗 und Meister(-plan) 主 zhǔ sind im Kommentar zu Kap. 49 vertauscht.
Somit schlussfolgert Wáng Bě [*]:
[ "Die Wege folgen einem Großen Immerwährenden.
[ Die ordnenden Prinzipien besitzen einen großen Sinn."
Und
überdies bezieht er sich auf den weisen Herrscher in Kap.
14, 18-21: "Hält man sich an den Weg des
Altertums, ist es möglich, Geschehnisse der Gegenwart zu regulieren", ..."man
besitzt etwas, womit man den allerersten Anfang verstehen kann."
Dŕoistisches Denken ist nicht auf Dinge
oder Ereignisse im Reich des Seienden hin ausgerichtet, sondern
auf Regeln
und Gesetzmäßigkeiten hinter
den Dingen und Ereignissen in jener transzendenten Sphäre des Nichtseienden.
03-04 "Während
man sich umso ferner nach außen wagt, desto weniger versteht man"
[*].
Prinzipien und Meister(-pläne) (Kap.
47 + 49)
hinter allen Wesen werden "gezeugt" im Nichts und "geboren" im Einssein, suchen
aber und sorgen für die Vielfalt, unsichtbar,
unhörbar, ungreifbar (Kap.
14), daher
kein Grund, Türen und Fenster zu gebrauchen im "Haus des Seins" [die
Sprache, Heidegger]:
es weiter zu verlassen versucht, mehr Details zu klären, aber verwirrt die
Klarheit und Erleuchtung über das Ganze.
05-07:
Darum reisen Weise nicht und wissen doch;
sie besichtigen, doch beschreiben nicht;
sie handeln nicht und vollenden doch.
05-07 Daher wird der nach innen schauende Weise:
[ keine empririschen Studien der Objekte benötigen, um die Bedürfnisse der Subjekte zu verstehen;
[ die Prinzipien der Wesen verstehen [*], daher werden sie deren Bedürfnisse ohne Erkundung der äußeren Strukturen mit den richtigen Namen belegen;
[ "über die Natur der Wesen im klaren" sein [*], somit lediglich auf die Natur der Wesen und des Seienden ausgerichtet sein, jedes Eingreifen vermeiden, nichtsdestotrotz die Klarheit vollenden.***.
Ohne zu handeln, erreicht der nach innen schauende Weise das Beste; demgemäß wird hohe Innere Kraft "nicht eingreifen und doch bleibt nichts ungetan." (Kap. 38.05.).
___________________
*** 韓非子 Hán Fēizǐ benutzt "Er besitzt Klarheit [明 míng] ohne zu sehen" – statt (das rechte) Benennen [名 míng].
[
48 - Weniger ist mehr!
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
為學日益。
wéi xué rě yě 。
為道日損。
wéi dŕo rě sǔn 。
損之又損,以至於無為。
sǔn zhī yňu sǔn ,yǐ zhě yú wú wéi 。
無為而不為。
wú wéi ér bú wéi 。
取天下常以無事,及其有事,不足以取天下。
qǔ tiān xiŕ cháng yǐ wú shě ,jí qí yǒu shě ,bú zú yǐ qǔ tiān xiŕ 。
[ Die Paradoxie von Gewinn und Verlust kennt viele Verzweigungen.
[ 老子 Lǎozĭ zeigt auf, wie man 無為 wú wéi erhält oder nicht erhält und, wie man als Herrscher das Reich gewinnt oder nicht gewinnt.
[ Im Vergleich zum konfuzianischen Weg des extensiven Lernens, Wissen zu gewinnen mittels Eingreifens, intendiert der dŕoistische Weg des intensiven Lernens, Wissen zu verlieren mittels Nicht-Eingreifens, hierdurch mehr vom Klang der Natur zu 'hören', sich anzuschmiegen an den Fluss der unberührten Realität.
01-05:
Lernen praktizieren: täglich anhäufen,
Dŕo praktizieren: täglich loslassen.
Es loslassen und wieder loslassen:
so gelange zum nicht-eingreifenden Handeln;
handeln ohne
einzugreifen:
doch nichts bleibt unerledigt.
01-02 Ein
Herrscher, der täglich übt zu lernen, "Bemühungen und Begehrlichkeiten" einsetzt,
"seine Fähigkeiten zu erweitern und sein Lernen zu steigern" //
oder: ein Herrscher, der das Dŕo praktiziert, „heimzukehren
zur Leere" und
zum Nichts [nach *
Wáng Bě / Wagner].
[ Der Verlust: des 'Weltlichen und Unechten, Eigenen und Selbstischen' [nach v. Strauß] ...
[ der Gewinn: an Entlastung, Erleichterung durch Befreiung, das Nicht-Tun praktizieren 無為 wú wéi, das wahre Sein erreichen – im Dŕo.
03-04 "Solange
das Eingreifen da ist, wird es einiges geben, das vermisst wird" [*].
Wiederholtes
Loslassen führt zu 無為 wú wéi als
Nicht-Eingreifen.
05 Wenn
und nur wenn Nicht-Eingreifen erreicht ist, "dann wird es in der Tat 'nichts'
geben, das 'ungetan' ist" [*],
folglich klar unterscheidbar von einem buddhistischen 'Quietismus'.
"Keineswegs ist dieses Nichttun das Nichtstun, keineswegs Passivität,
Stumpfheit der Seele, Lahmheit der Antriebe. Es ist das eigentliche Tun des
Menschen. Das von ihm so getan wird, als täte er nicht. Es ist ein Wirken, ohne
das Gewicht in die Werke zu legen." [Jaspers,
Laotse, 1957 p. 299].
06-08:
Stets bar aller Geschäftigkeit gewinne die Welt.
Sie bloß mit Geschäftigkeit zu erwerben,
genügt nicht, sie zu gewinnen.
06 Ein Herrscher bekommt einen Staat nur dadurch in den Griff, dass er sich immerfort nicht einbringt und einmischt mit Regierungsaktionen: "in seinen Handlungen lässt er sich immerzu [von der Natur der Wesen] leiten" [*].
Vgl. Kap. 49.01.-02. Weise Menschen sind ohne feststehende Herzenswünsche, daher machen sie anderer Leute Herzensangelegenheiten zu ihrem Herzenswunsch." (n. Wáng Bě).
07-08 Wenn der Herrscher versucht, die Kontrolle dadurch zu erlangen, dass er obrigkeitliche Vorgänge erschafft und sich in sie einbringt, wird er scheitern: er "würde sich auch nicht dafür qualifizieren, das ganze Reich in den Griff zu kriegen" [*], weil er dabei die Wurzeln von allem verloren hätte: 道 Dŕo.
Das 道德經 Dŕodéjīng wird
diesen Gedankengang wieder
in Kap.
57.11.-13. veranschaulichen:
"Ich handle, ohne einzugreifen, und doch wird das Volk sich ganz von selbst
wandeln; ich ziehe die Stille vor, und das Volk wird von selbst rechtschaffen;
ich bin ohne Geschäftigkeit, und das Volk wird von selbst reich."
[
49 - Güte und Treue als Vorbild
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
聖人無常心。
shčng rén wú cháng xīn 。
以百姓心為心。
yǐ bǎi xěng xīn wéi xīn 。
善者吾善之。
shŕn zhě wú shŕn zhī 。
不善者吾亦善之德善。
bú shŕn zhě wú yě shŕn zhī dé shŕn 。
信者吾信之。
xěn zhě wú xěn zhī 。
不信者吾亦信之、德信。
bú xěn zhě wú yě xěn zhī 、dé xěn 。
聖人在天下歙歙焉,為天下渾其心。
shčng rén zŕi tiān xiŕ xī xī yān ,wéi tiān xiŕ hún qí xīn 。
百姓皆注其耳目,聖人皆孩之。
bǎi xěng jiē zhů qí ěr mů ,shčng rén jiē hái zhī 。
Ein 'gigantisches' Kapitel über:
[ Des weisen Herrschers 'Herzenswunsch',
[ den ersten ethischen Anspruch der Geschichte mit Ähnlichkeiten zur Bergpredigt,
[ des Weisen Wirken hin zur Harmonie für alle ... als seine Kinder.
Anmerkung: *Wáng Běs Gebrauch der Introspektion ist hier ähnlich wie in Kap. 47 [*Wagner p. 473].
01-02:
Weise
Menschen sind
ohne feststehende Herzenswünsche.
Daher machen sie
der anderen Leute Bestrebungen
zum eigenen Herzenswunsch.
01-02 Ein
Weiser lebt ohne ständige und festgelegte Ambition, seine Herzensangelegenheiten
sind nicht seine eigenen Ziele.
Er
betrachtet jene der 'Hundert Familien' (oder Clans), letztlich aller Leute
(Herzens-)wünsche als
seine eigenen, weil er in seinen Aktivitäten immerdar gemäß der Natur (aller)
Wesen handelt [~ *].
Die
Ambitionen weiser Menschen, so sie nicht starr, sondern nachgiebig wie
das Wasser sind, dem Dŕo gleich, sind weltoffen und edelmütig: Bedarf
und Bedürfnis der Untertanen sind des Weisen Vision.
03-08:
Zu Guten bin ich gut,
zu Nicht-Guten bin ich ebenso gut!
Innere Kraft ist gütig ...
Zu Treuen bin ich treu,
zu Untreuen bin ich auch treu!
Innere Kraft ist getreu ...
03-05 Für
diese ... vorchristlich höchst ethischen Zeilen, wechselt 老子 Lǎozĭ
in den "Ich"-Modus 吾 wú anstelle
des üblichen "Weise Menschen / der Weise".
Kein Zitat aus alter Zeit, keine Schnörkel der Epigonen: hier fasziniert der
Alte Meister selbst die Jahrtausende: "gegenüber
den Schlechten bin ich ebenfalls gut":
[ Confucius spiegelte noch die alttestamentarisch-jüdische Vergeltungsebene "Auge für Auge ..." wider [zurückgehend bis auf Hammurabi Ex. Law #196: "Wenn jemand einem anderen das Auge aussticht, so soll man ihm das Auge ausstechen".
[ Lǎozĭ nimmt die zukünftige neutestamentarisch-christliche ethische Ebene des Vergebens vorweg: "... dann halte ihm auch die andere (Wange) hin!" [Matthäus 5:39] –
[ als Vorspiel zur Bergpredikt: nicht aus Mitleid, sondern der Transzendenz folgend im Geiste des Dŕo und Dé's Innerer Kraft, die als solche gütig ist:
[ "... sind Weise stets gute Behüter der Menschen, dabei ohne Menschen je aufzugeben, stets auch gute Hüter der Geschöpfe, dabei ohne Geschöpfe je aufzugeben." (ch. 27, 08-12).
[ 老子 Lǎozĭ (und 400 Jahre später, 耶穌 Yē sū, sogar noch ultimativer "Liebet Eure Feinde!") öffneten nicht weniger als die zweite ethische Phase der Menschheit, von Rache und Vergeltung zu Vergebung und Nächstenliebe (ch. 67), noch immer in nur einem Teil der Erde anerkannt und umgesetzt!
06-08 Nach der Güte ist Vertrauen das zweite bedingungslose Geschenke an alle Wesen:
[ Vertrauen erleichtert Güte, Güte erleichtert Vertrauen.
[ Vertrauen in die nicht Vertrauenswürdigen lässt die höchstmögliche Vertrauenswürdigkeit erlangen.
[ "Kann man Vertrauen nicht entfalten, // wird man Vertrauen nicht erhalten!" (Kap. 17.05 & 23.18).
09-13:
Weise Menschen: inmitten der Welt,
still und bescheiden wirkend in der Welt,
nicht festgelegt in Herzensangelegenheiten.
Alle Menschen richten Aug' und Ohr auf sie:
den Weisen sind sie alle wie Kinder …
09-11 "Was des Weisen Präsenz in der Welt angeht" ... er ist eins mit ihr. [Henricks, 2000 p. 120],
[ er wirkt "ruhig und bescheiden", "auf diesem wie jenem Weg" 歙歙 [augmentative Verdoppelung], er handelt diskret und verschwiegen, "ergeben anreichernd" [Shen, Shan-zeng, 2004, p. 211],
[ 'schwebend' in seinen Zielen und Bestrebungen, seinen Herzensangelegenheiten: im Bewusstsein "dass die Bewertung des Volkes verpflichtend ist" [Shen Shanzeng, 2004 p. 211].
12-13 Sie richten ihr Ohr und Auge auf den Weisen, folglich 'Verstand, Scharfsinn, Gespür und Intellekt', denn "jeder macht Gebrauch von seiner Geisteskraft" [* Wáng Bě / Wagner].
[ Für
Weise sind sie alle wie Kinder.
[derweil ich, der] Weise, alle von ihnen zu
Kindern mache. [Das soll sagen, dass ich] sie alle dazu bekomme, in Harmonie und
ohne Bedürfnisse zu sein wie Kinder 孩 hái."
[*p.
283].
Vgl. Kind in:
[ ch.
10.04. 嬰兒 yīng
ér:
Die Übersetzung "[... ein Herrscher] ... vermöge wie ein Baby zu sein - ah!"
wird kommentiert (von *Wáng
Bě) "wie
ohne Begehren zu sein".
[ ch. 55.02.: 赤子 chě
zǐ:
Die
Übersetzung "[... ein
Herrscher,] der das volle
Fassungsvermögen in sich selbst besitzt, ist wie ein Kind" wird
kommentiert (*) "Ein
Kind ist ohne Begierden und Begehren [~ 'Gelüste und Wünsche'], und verletzt
[folglich] nicht die Mehrzahl der [anderen]." –
Mit dem Gipfelpunkt an [Lebenskraft und] Harmonie (Kap.
55.07.
+ 55.09). [*
p. 474!].
[
50 - Tod und Leben
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
出生入死。
chū shēng rů sǐ 。
生之徒,十有三。
shēng zhī tú ,shí yǒu sān 。
死之徒,十有三。
sǐ zhī tú ,shí yǒu sān 。
人之生,動之於死地,亦十有三。
rén zhī shēng ,dňng zhī yú sǐ dě ,yě shí yǒu sān 。
夫何故﹖以其生生之厚。
fū hé gů ﹖yǐ qí shēng shēng zhī hňu 。
蓋聞善攝生者,陸行不遇兇虎,入軍不被甲兵。
gŕi wén shŕn shč shēng zhě ,lů háng bú yů xiōng hǔ ,rů jun1 bú bči jiǎ bīng 。
兇無所投其角。
xiōng wú suǒ tóu qí jiǎo 。
虎無所用其爪。
hǔ wú suǒ yňng qí zhǎo 。
兵無所容其刃。
bīng wú suǒ róng qí rčn 。
夫何故﹖以其無死地。
fū hé gů ﹖yǐ qí wú sǐ dě 。
Dieses Kapitel ist den Einstellungen der Leute zu Leben und Tod und deren Behandlung gewidmet.
[ Leben und Tod sind zwei Seiten einer Medaille: Leben ist andauerndes Sterben, zurück zu den Wurzeln des Einsseins.
[ Es gibt drei Typen von Menschen, was ihr Befolgen von Leben und Tod betrifft: übersteigertes Verhaftetsein am Leben, es achtlos wegwerfen und auf verkrampfte Art zu leben, führen die Menschen in einen bedeutungslosen Tod und lassen sie das Wesentliche des Lebens verpassen. [n. Braunsperger].
[ Von wahren Hütern des Lebens sagt man, dass sie keine sterblichen Stellen besäßen.
01-07:
Hinausgehen ins
Leben und
hineingehen in den Tod:
Drei von zehn sind Anhänger des Lebens,
drei von zehn sind Anhänger des Todes.
Menschen
des Lebens,
die in tödliche Stellen driften ...
sind auch drei von zehn!
Aus welchen Grund?
Weil sie des Lebens Überfülle leben.
01 "...
heraustreten in das Reich des Lebens, [jedoch] eintreten in das Reich des
Todes." [* Wáng
Bě /
Wagner].
Das Leben beginnen bedeutet, bereits begonnen zu haben zu sterben, das Leben
selbst ist sterben, eine andauernde Bewegung zum Tode hin [nach v.
Strauß,
mit einigen spirituellen Spekulationen, auch unter Bezug auf Héshŕng
Gōng 河上公].
02 "Jene,
die den Weg des Lebendigseins nehmen, [d.h.] das Äußerste an Leben gänzlich
vollenden möchten, dies sind drei von zehn;" [*].
Manchmal
wird 十有三 inkorrekterweise als 十三 gegeben
und interpretiert als "5 Sinne + 8 [Körper-] Öffnungen", oder "4 Gliedmaßen + 9
Öffnungen" [Hán Fēizǐ 韓非子],
oder "7 Gefühlszustände and 6 Bedürfnisse" oder 13 "Begleiter von Leben bzw.
Tod", doch schon Wáng
Bě erklärt: "...
als ob [der Text] sagte: 'es gibt [davon] drei [An-] Teile aus zehn
Teilen'."
03 "Jene, die den Weg des Todes nehmen, [d.h.] das Äußerste an Tod gänzlich vollenden möchten, dies sind auch drei von zehn;" [*]. Nicht etwa nur aufgrund von Krankheiten, Unfällen und Katastrophen [Simon], sondern auch "den Weg des Todes aktiv zu nehmen".
04-05 "Doch das 'sich zu viel aus dem Leben machen' der Leute bringt sie stattdessen dazu, zum Reich des Todes zu gehen, wo es kein Leben gibt." [*].
06-07 "Aber warum {ist
es so, dass die Menschen, die zu viel Leben betreiben, aber nichtsdestotrotz in
all ihren Handlungen zum Reich des Todes gehen, auch drei aus zehn sind}? –
Weil sie zu viel Leben betreiben!" [*].
Unnatürliche "Exzesse,
Übertreibungen, und Extreme" (Kap.
29, 12-13), welche
von Weisen vermieden werden, werden die Lebensenergie 氣 qě vermindern.
08-13:
Denn man hört: Gute Bewahrer des Lebens
durchreisen das Land,
ohne Büffel und Tiger zu treffen.
Sie durchqueren Schlachtfelder,
ohne Rüstung und Schwert zu tragen.
Büffel finden keine Stelle,
ihr Horn hineinzubohren,
Tiger finden keine
Stelle,
ihre Klauen einzuschlagen.
Schwerter finden keine
Stelle,
ihre Klinge einzuführen.
08-10 Lǎozĭ benutzt vorsichtigerweise "... man hört" für diese offensichtlich unverletzlichen "guten Hüter des Lebens", welche durch das Land reisen und Schlachtfelder durchqueren, mit fantastischen Leistungen ... zu trotzen den:
[ Büffeln,
[ Tigern,
[ Schwertern.
11-13 Sie alle, wie berichtet!, sind nicht fähig, dem Weisen zu schaden, mit ihren
[ Hörnern,
[ Klauen,
[ Klingen,
derweil:
[ "sie nicht durch Gelüste von ihren Wurzeln getrennt sind,
[ "sie ihre wahre Essenz nicht durch Begehrlichkeiten verunreinigen,
[ "sie in keinerlei Missgeschick hineinlaufen, selbst wenn sie 'über das Land reisen'." [*].
"Selbst Leben und Tod vermögen ihn [den vergeistigten Menschen] nicht zu verwandeln." [Zhuāng zǐ 莊子 2,11 / Wohlfahrt, 2003 p. 42, 57].
14-15:
Aus welchen Grund?
Weil sie keine sterblichen Stellen besitzen!
14-15 "Denn
so jemand ist [in] einem Reich ohne Tod." [*].
Dieser eine ist Nr. 10
von 10.
Dann
das Kind mit seinem vollen
Fassungsvermögen zu
imitieren (Dé, Kap.
55),
bedeutet Wespen und Vipern, wilden Tieren und Raubvögeln zu widerstehen,
da sie frei sind von Gelüsten und Begehrlichkeiten.
"Das Leben ist der Gefährte des Todes; der Tod
ist der Anfang des Lebens. Wer versteht ihr Wirken? Das Leben des Menschen ist
das Zusammentreffen des Atems. Wenn es zusammenkommt, gibt es Leben; wenn es
sich zerstreut, gibt es Tod.
Und wenn Leben und Tod einander Gefährten sind, was gibt es dann für uns,
darüber besorgt zu sein?" [Zhuāng
zǐ 莊子 /
Graham 1986 p. 235].
[
51 - Der Weg und seine Kraft
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
道生之,德畜之,
dŕo shēng zhī ,dé chů zhī ,
wů xíng zhī ,shě chéng zhī 。
物形之,勢成之。
是以萬物莫不尊道,而貴德。
shě yǐ wŕn wů mň bú zūn dŕo ,ér guě dé 。
道之尊,德之貴,夫莫之命而常自然。
dŕo zhī zūn ,dé zhī guě ,fū mň zhī měng ér cháng zě rán 。
故道生之,德畜之。
gů dŕo shēng zhī ,dé chů zhī 。
長之育之。亭之毒之。養之覆之。
zhǎng zhī yů zhī 。tíng zhī dú zhī 。yǎng zhī fů zhī 。
生而不有,為而不恃,長而不宰。
shēng ér bú yǒu ,wéi ér bú shě ,zhǎng ér bú zǎi 。
是謂玄德。
shě wči xuán dé 。
[ Dŕo und Dé erschaffen und hegen die Wesen, darum werden sie dauerhaft und natürlicherweise von ihnen verehrt und geschätzt.
[ Nachdem Dŕo Myriaden erschaffen hat,
'dé-legiert'(!) es
einige mütterliche Pflichten ...
Dé,
die Verdinglichung Dŕo als Innere Kraft, oder "subjektive Objektifizierung"(!),
beinhaltet:
schaffende und fürsorgliche Dŕo-Aspekte der Natur, der Erde und
des Menschen.
In der westlichen (Aristotelischen) Terminologie ist Dŕo:
[ causa sui (Ursache seiner selbst),
[ movens immotus (Unbewegter Beweger),
[ causa essendi (eigentliche Basis und Urgrund allen Seins):
Dŕos Potenzialität wird
zur Aktualität durch Dé,
Dé wandelt
die causa formalis um zur causa materialis (mittels der Sinne
wahrnehmbar) [Schwarz,
Ernst 1970 ff.].
01-06:
Dŕo erzeugt sie,
Inner Kraft nährt sie;
Wesenheiten gestalten sie,
Umstände vollenden sie.
Daher: unter Abertausenden von Geschöpfen
ist keines, das nicht Dŕo
verehrt und
auch
die Innere Kraft wertschätzt.
01-04 Dŕo und Dé:
Dŕo erzeugt 'alle-Dinge', dann auch alle Wesen; Dé vermitttelt unter Hilfe seiner Inneren Kraft zwischen diesem transzendenten (unparteiischen und unpersönlichen) 'Schöpfer' und den immanenten (subjektiven und persönlichen) 'Geschöpfen' – sie dabei hegend, formend, vollendend:
[ "Tau bringt hervor und Virtue nährt; alles nimmt Form an, und die Kräfte bringen es zur Vollendung." [Chalmers];
"Das Tao bringt die Wesen hervor, die Tugend ernährt sie. Sie geben ihnen einen Körper und vervollkommnen sie durch einen geheimen Impuls." [Julien].
[ "Sind die Wesen einmal erschaffen, werden sie genährt ... Sind sie einmal genährt, nehmen sie Gestalt an. Haben sie einmal Gestalt angenommen, sind sie voll entfaltet." [* Wáng Bě / Wagner]:
[ Erschaffen von Dŕo, genährt von Dé; wegen Dŕo nimmt kein Wesen nicht Gestalt an, entfaltet sich kein Wesen nicht. Allgemein gesprochen ...:
[ "... das, wodurch Wesen hervorgebracht werden, das, wodurch Errungenschaften erreicht werden, sie haben etwas, das die Grundlage [für sie] ist." [*].
[ Je nachdem, wofür Dŕo als Grundlage gesehen wird, existieren unterschiedlichen Bezeichnungen. [*].
05-06 Warum
verehren alle Wesen Dŕo
und wertschätzen Dé?
"Der WEG ist es, der die Grundlage für die [zehntausend Arten von] Wesen ist.
Aufnahme- und Fassungsvermögen sind, was die [zehntausend
Arten von] Wesen empfangen [vom WEG].
Es ist auf dieser Basis des [Ersteren, dass sie] in der Tat [Letzteres]
empfangen ... [Ihr Aufnahme-
und Fassungsvermögen]
zu verlieren, wird sie schmerzen; darum können sie nicht umhin, [Aufnahme-
und Fassungsvermögen, die
sie empfangen] 'wertzu-schätzen'." [*].
07-09:
Des Dŕos Verehrung und
der Inneren Kraft Wertschätzung:
Zwar niemandes
Befehl,
und doch beständig von selbst.
07-09 Niemand,
sogar Dŕo
selbst nicht, befiehlt den Wesen, es zu verehren und sein kraftvolles Nähren zu
schätzen, doch es geschieht andauernd durch 自然 zě
rán: “von
selbst so”, natürlicherweise, spontan.
Die zehntausend Arten von Wesen verehren und wertschätzen Dŕo and Dé
unwissentlich und unbewusst; verbunden mit Bewusstsein, geschieht es auf
menschenwürdige Art –
mit einer Einladung, Dŕo in gewissem Sinne 'näher
zu kommen'! [nach v.
Strauß, 1870 p. 221-222].
10-14:
Daher: Dŕo erzeugt,
Innere Kraft hegt sie:
Lässt sie wachsen und zieht sie groß,
beschützt und vollendet sie,
pflegt und bedeckt sie.
10-14 Nachdem 道 Dŕo die
Myriaden erschaffen hatte, 'Dé-legierte'
(!) es offensichtlich einige
mütterliche Pflichten ...
[德 ist ausgelassen
in Wagner,
M, m, B,
aber in W,
H, F!
s. unten in den Rohtexten!];
德 Dé,
durch seine Merkmale (innerhalb lebender Systeme!) der Inneren Kraft, spiegelt
das Leben von Geburt bis Tod [Shen
Shanzeng 2004 p. 243]:
畜 xů hegt (zieht auf, nährt),
長 zhǎng lässt wachsen (entwickelt),
育 yů zieht groß (~ auf),
亭 tíng beschützt (spezifiziert),
毒 dú vollendet (reift, heilt [modern: vergiftet; alternative Form von 督 dū: leitet, regiert]).
養 yǎng pflegt (beschützt),
覆 fů bedeckt (= bestattet!; beschirmt).
[ "erhält, zieht gross, bildet aus, vollendet, reifet, verpflegt, beschirmet." [von Strauß];
[ "hegt (nährt), lässt wachsen, nährt (= fördert), spezifiziert (= 'gruppiert ihre Formen'), vollendet (= 'vervollkommnet ihre Substanz'), beschützt (= pflegt), bedeckt (= beerdigt)" [* Wáng Bě / Wagner].
15-18:
Erschaffen, doch nicht besitzen;
bewirken, doch nicht darauf bauen;
anführen, doch nicht anordnen –
dies heißt tiefe Innere Kraft.
15-17 Dé, Vergegenständlichung des Dŕo als Innere Kraft, oder "subjektive Verobjektivierung" (!), umschließt erzeugen und pflegen von Aspekten des Dŕos:
[ der Natur (erschaffen, nicht besitzen),
[ der Erde (anführen, nicht anordnen),
[ des Menschen (bewirken, nicht darauf bauen).
18 "Tiefe Innere Kraft" wiederum, nach identischen Zeilen wie in Kap. 10. 13-16 (17)!
[
52 - Sinn und Sinnlichkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
天下有始,以為天下母。
tiān xiŕ yǒu shǐ ,yǐ wéi tiān xiŕ mǔ 。
既得其母,以知其子。
jě dé qí mǔ ,yǐ zhī qí zǐ 。
既知其子,復守其母,沒身不殆。
jě zhī qí zǐ ,fů shǒu qí mǔ ,méi shēn bú dŕi 。
塞其兌,閉其門,終身不勤。
sāi qí duě ,bě qí mén ,zhōng shēn bú qín 。
開其兌,濟其事,終身不救。
kāi qí duě ,jě qí shě ,zhōng shēn bú jiů 。
見其小曰明,守柔曰強。
jiŕn qí xiǎo yuē míng ,shǒu róu yuē qiáng 。
用其光,復歸其明,無遺身殃。
yňng qí guāng ,fů guī qí míng ,wú yí shēn yāng 。
是為習常。
shě wéi xí cháng 。
[ Das offenbarte Dŕo als 'ursprüngliche Mutter' lässt alle Wesen ihre Kindschaft verstehen, folglich sich geborgen fühlen.
[ Sensorische 'Öffnungen' und spirituelle 'Pforten' zur Welt da draußen bestimmen das Lebensende als mühselig oder erlöst.
[ Kleinheit und Nachgiebigkeit helfen, zur Erleuchtung zurückzukehren, Dŕo unentwegt zu praktizieren, wird Schicksalsschläge vermeiden und dich als Person beschützen!
01-04:
Die Welt hat einen Urbeginn,
entsprechend gilt er als
aller Welt Urmutter.
Einmal die Mutter gefunden,
ist darüber deine Kindschaft zu begreifen;
einmal deine Kindschaft verstanden,
halte dich an deine Urmutter:
lebenslang ungefährdet.
01-02 "Was gut ist zu Beginn [überall auf der Welt], wird infolgedessen [auch] gut darin sein, es zu erhalten und hegen. Darum [besagt der Text] "Da alles in der Welt einen Anfang hat, mag dieser [Anfang]," demzufolge "[auch] als Mutter von allem unter dem Himmel angenommen werden." [*Wáng Bě / Wagner]: nach ch. 1 & 52, bringt Dŕo alle Wesen hervor und versorgt sie, während Dč lediglich zum Ausdruck bringt, was die Wesen erlangen (erhalten) auf der Grundlage "des Weges"! [nach Wagner 2003 p. 480].
Als noch transzendentes Nichts verwandelt Dŕo zuerst die
('väterliche') Potenzialität durch die mysteriöse ('Big Bang-artige') Pforte
hindurch in die Aktualität der Seiendheit als solche.
Nachdem es dann, als ('mütterlicher')
Beginn von 'allen Dingen', die Myriaden erzeugt hat, 'Dé-legiert'(!)
es einige mütterliche Pflichten ... (ch.
52): Dé unterhält
mittels seiner Inneren Kraft alle Entitäten
und alle Subjektivität.
03-04 'Mutter' als [das gleiche wie] 'Wurzel':
[ "Der 'Nach-Wuchs' sind der Stamm und die Zweige. Man wird der Wurzel habhaft, so man Stamm und Zweige versteht [die von ihm sprießen], und sondert [dann] wirklich nicht die Wurzel aus, um es auf Stamm und Zweige abgesehen zu haben." [*].
[ Hat man seine letztmögliche Mutter von 'allen Dingen' gefunden (das offenbarte Dŕo – auf dieser Seite der 'Pforte') bedeutet, seine Kindschaft verstanden zu haben. Seine Kindschaft bis zur Wurzel hinunter zu begreifen, heißt sich an seinem natürlichen Ende nach der Wurzel zurück zu sehnen:
[ nicht
in Gefahr zu
sein sein ganzes Leben lang, geborgen
und gerettet, weil Dé (s. ch.
51!):
- "erhält,
zieht gross, bildet aus, vollendet, reifet, verpflegt, beschirmet." [** von
Strauß],
- "hegt
(nährt), lässt wachsen, nährt (fördert), spezifiziert (= 'gruppiert
ihre Formen'),
vollendet (=
'vervollkommnet ihre Substanz'), beschützt (= pflegt),
bedeckt (= beerdigt)" [* Wáng
Bě].
05-10:
Verstopfe deine Öffnungen,
verriegele deine Türen:
Zum Ende des Lebens keinerlei Mühe.
Öffne deine Ausgänge,
fördere deine Geschäfte:
bis zum Ende des Lebens unerlöst.
05-07 'Öffnungen' und 'Pforten' ... verschlossen:
[ "'Öffnungen sind die Basis, von der aus Handlungsbegehren verfolgt werden." (Zitiert wiederum in 王弼's Kommentaren in ch. 56 & 65): des Volkes Pforten!
[ Mund, Augen, Ohren: die Sinne sind 'vermittelnde Organe' von der subjektiven Welt zu der äußeren hin (ch. 06, 10, 50).
[ "Es wird keine Handlungen [der Fürsorge,] geben und man [kann] immerdar zurückgezogen sein. Darum [besagt der Text,] 'man wird sich zum Ende seines Lebens hin nicht abmühen [müssen]'!" [*].
[ Sind jene sensorischen Öffnungen (und jene spirituellen Pforten) mehr und mehr verschlossen, sind Sinnenfreude und Sinnlichkeit aufgegeben, dann ist ihre Achtsamkeit nicht auf ihren Körper und ihre Begehrlichkeiten und auf ihren Verlust im Tod fokussiert: die Sorgen um den Tod werden ebenfalls verschwinden! [nach ** v. Strauß, 1870 p. 233].
08-10 'Öffnungen' und 'Pforten' ... geöffnet:
[ "Wenn jemand die [weltlichen] Quellen [seiner Handlungswünsche] nicht blockiert, sondern seine Aktionen [überall] betreibt, so [, besagt der Text] darum sogar 'niemals wird jener am Ende seines Lebens gerettet werden'!" [*].
[ Sind jene sensorischen Öffnungen (und spirituellen Pforten) mehr und mehr aufgetan, die äußere Welt und die 'weltlichen Angelegenheiten' hineinzulassen, dann ist ihre Achtsamkeit auf ihren Körper und ihre Begehrlichkeiten und deren Verlust im Tod fokussiert:
Da das, was sie verlieren können, ein zu großer Teil ihrer Persönlichkeit, ihres Selbst ist, werden die Todessorgen niemals verschwinden! [nach **; s. ~Platon / Phaidon 66a]:
"...noch einen anderen Sinn bei seinen Überlegungen (μετὰ τοῦ λογισμοῦ) heranzieht, sondern sich des Denkens (τῇ διανοίᾳ) in seiner reinen Form bedient und so versucht, den einzelnen existierenden Dingen in ihrer reinen Form auf die Spur zu kommen, indem er sich so weit wie möglich von seinen Augen und Ohren, und kurz gesagt, von seinem ganzen Körper freimacht, weil er überzeugt ist, dass dieser als Weggefährte die Seele stört und verhindert, dass sie Wahrheit und Einsicht (φρόνησιν) gewinnt?"
11-15:
Kleines
wahrnehmen
zeugt von Erleuchtung,
Nachgiebigkeit bewahren
zeugt von Stärke.
Nutze diese Einsicht, kehre zurück
heim zur Erleuchtung,
ohne dein Selbst im Unheil zu verlieren:
dies wird bewirkt durch stetes Üben.
11-15 Erleuchtete
Herrscher verwenden das Kleine, starke Führer nutzen Schwäche, prahlen nicht mit
ihrer Größe, sondern nutzen diese Klarheit (das
Licht der Erkenntnis), heimzukehren zu den (Wurzeln der) Erleuchtung [... doch
benutzen ihre Intelligenz nicht dazu, anderen Wesen auszuspionieren [*].
Stetig den Weg des Dŕo zu praktizieren schützt Euch sogar in einer Katastrophe
davor, Eure Persönlichkeit zu verlieren ['in Übereinstimmung mit dem Ewigen'
des Weges (ch.
32) *].
[
53 - Wege und Abwege
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
使我介然有知,
shǐ wǒ jič rán yǒu zhī ,
行於大道,唯施是畏。
háng yú dŕ dŕo ,wéi shī shě wči 。
大道甚夷,而民好徑。
dŕ dŕo shčn yí ,ér mín hǎo jīng 。
朝甚除,田甚蕪,倉甚虛。
cháo shčn chú ,tián shčn wú ,cāng shčn xū 。
服文綵,帶利劍,
fú wén cǎi ,dŕi lě jiŕn ,
厭飲食,財貨有餘。
yŕn yǐn shí ,cái huň yǒu yú 。
是謂盜夸。非道也哉。
shě wči dŕo kuā 。fēi dŕo yě zāi 。
[ 'Zivilisation in ausgeklügelter Weise überzogen: Das Paradies verloren ...' [Vgl. Braunsperger p. 166], Ausbeutung von Mensch und Umwelt ...
[ "Es gibt jene 'Räuber' (dŕo 盜) die einen üppigen Lebensstil leben auf dem Rücken der gewöhnlichen Leute. Sie sollten nicht verwechselt werden mit anständigen Herrschern, welche die Führung als 'Wegbereiter' übernehmen (dŕo 道) ..." [Ames & Hall p. 160].
[ Der Statt soll dem Leben und seinen Zwecken dienen, nicht es kontrollieren! [nach ** v. Strauß, 1870 p, 237].
[ Der ideale Herrscher folgt den Prinzipien des Weisen, der Dŕo folgt: 老子 Lǎozĭ's Politik basiert immer auf einem letztlich ethischen Grund.
01-03:
Wenn ich nur
noch
ein klein wenig an 'Wissen' besäße,
wandelte ich im großen Dŕo,
nur meine Abkehr davon
wäre noch zu fürchten.
01-03 "Angenommen, es wäre mir möglich, [aller Welt] Wissen zu reduzieren, und lasse [es] auf dem Großen Weg marschieren, [die] einzige [Sache] wäre es [dann], über die ich besorgt wäre, dass [ich] [noch] [in es] eingreifen möchte." [* Wáng Bě / Wagner].
04-08:
Dies große Dŕo ist völlig geradlinig,
doch die Leute bevorzugen Abwege:
die Höfe überaus prachtvoll,
doch Felder voller Unkraut,
die Vorratskammern völlig leer.
04-05 "Der
Große Weg ist unermesslich in seiner Richtigkeit und Glätte, aber
nichtsdestotrotz verschmähen die Leute ihn und verweilen nicht bei ihm. Sie
folgen eher den heterodoxen Umwegen, und um wie viel mehr [täten sie das], würde
[ich] von meiner Seite aus [in sie] eingreifen und auf [sie] einwirken, dabei
inmitten des Großen Weges blockieren!" [*].
Der Weg des Dŕo ist geradlinig, eine Abkürzung gegenüber allen Umwegen; eben
und glatt, daher reibungslos; flach,
nicht holprig; friedlich anstatt mühsam wie die Schleifen der Umwege.
06-08 Ein alter Reimspruch?! ("Ist der Palast voll Prunk gebaut, // Sind die Felder voll von Kraut.") [Debon p. 129 / h.a.].
[ "Infolge der großen Aufgeräumtheit am Hofe, wird das Feld voller Unkraut sein, und die Kornkammern werden äußerst leer sein.
[ [Ich] achte auf eine [Sache, nämlich meinen Hof recht aufgeräumt zu haben], und die Vielzahl an schädlichen Auswirkungen zu verfolgen." [*].
[ Simon [p. 162] assoziiert "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" als Parole der Französischen Revolution, doch geschrieben bereits von Georg Büchner [The Hessian Courier, 1834].
09-14:
Die Kleider bunt bestickt,
umgürten sie sich scharfe Schwerter;
Speis und Trank zum Überdruss,
Geld und Gut gibt es im Überfluss:
All dies nennt man Räuber-Prahlerei:
Wahrlich überhaupt nicht Dŕo!
09-12 Luxus der Wenigen bedeutet Armut der Vielen:
[ Sind Kleider nicht bloß schlicht und schön (ch. 80.13.), ist aber ihre kostbare Bestickung allzu [somit mehr als hinreichend] farbenfroh, sie könnten die Augen und das 'Innere Auge' erblinden lassen ... (ch. 12.01.).
[ "Im Geiste des Dŕo, benutzt ein Anführer des Volkes keine Waffen." (ch. 30.01.).
Scharfe Schwerter zuhause sind reine Statussymbole, geschmückt zum Angeben, könnten sie den Inneren Frieden betäuben.
[ (Ch. 80.12.): "Schmackhaft seien ihre Speisen ..." sind sie sättigend, aber nicht übersättigend, verhindert dies den menschlichen Geschmackssinn zu abzustumpfen (ch. 12.03.).
[ Ein Überfluss an weltlichen Gütern bedeutete eine unharmonische und friedlose Gesellschaft.
13-14 "Wenn
die Dinge nicht mittels des Weges [von den Leuten] erhalten werden, [haben] sie
alle [durch]
heterodoxe [Mittel] [bekommen].
(...) dann ist das Räuberei.
Wenn [Leute] in einer ehrenvollen [Position] [sind], aber haben es nicht
mittels des Weges erhalten, haben [sie] sich der Position bemächtigt. (...) [ihr
in ihm sein] ist [leere] Angeberei.
(...) alles, was mit dem Weg im Widerspruch steht, ist [bloße] Räuberei und
[leeres] Prahlen." [*].
Wiederum ein Wortspiel des Alten Meisters mit zwei Bedeutungen von dŕo (hier mit unterschiedlichen Schriftzeichen und gleicher Tonhöhe): 盜 dŕo (= Räuber, Einbrecher)!
[
54 - Soziale Reifung
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
善建者不拔。
shŕn jiŕn zhě bú bá 。
善抱者不脫。
shŕn bŕo zhě bú tuō 。
子孫以祭祀不輟。
zǐ sūn yǐ jě sě bú chuň 。
修之於身其德乃真。
xiū zhī yú shēn qí dé nǎi zhēn 。
修之於家其德乃餘。
xiū zhī yú jiā qí dé nǎi yú 。
修之於鄉其德乃長。
xiū zhī yú xiāng qí dé nǎi zhǎng 。
修之於邦其德乃豐。
xiū zhī yú bāng qí dé nǎi fēng 。
修之於天下其德乃普。
xiū zhī yú tiān xiŕ qí dé nǎi pǔ 。
故以身觀身,以家觀家,
gů yǐ shēn guān shēn ,yǐ jiā guān jiā ,
以鄉觀鄉,以邦觀邦,以天下觀天下。
yǐ xiāng guān xiāng ,yǐ bāng guān bāng ,yǐ tiān xiŕ guān tiān xiŕ 。
吾何以知天下然哉﹖以此。
wú hé yǐ zhī tiān xiŕ rán zāi ﹖yǐ cǐ 。
Einiger konfuzianischer Einfluss, besonders mit Konfuzius' "Aufzeichnungen
der Riten"
[s.u.*] wírd
diskutiert [Simon,
Jacobs, Schwarz, Ames & Hall,
et.al.]:
für die Elemente der
Selbstveredelung, doch 'auf andere Weise'...
atmet der Aspekt der Verwaltung von unten (nicht nur durch den Staat), den Geist
des Dŕo.
01-03:
Gut Verwurzelte werden nicht entwurzelt,
die gut die Einheit bewahren,
nicht in die Irre gehen.
Dabei werden Kinder und Kindeskinder,
die ihre Ahnen mit Opfergaben verehren,
nicht
unterbrochen.
01-02 Die
gut Verwurzelten und gut
Bewahrenden sind geschützt:
"Er festigt seine Wurzel, und dann gibt er Acht auf seinen Stamm und seine
Zweige...". [vgl. "物有本末 "Dinge
haben ihre Wurzel und ihre Zweige".
Er hat keine Gelüste, mehr zu haben, und erledigt, wozu er fähig ist.. [* Wáng Bě / Wagner].
03 "Wenn Söhne und Enkel diesen Weg mittels Selbstüberprüfung weiterreichen [d.h. 'Verwurzelung', Festigung der Wurzel und 'am Einen festhalten'], dann wird dieser Weg 'nicht unterbrochen werden'."
Anmerkung: 老子 Lǎozĭ selbst
sagt:
"Die Söhne und Enkel bringen Opfer dar ohne Unterbrechung."
[s. Analyse: Wagner
2003 p. 480-481].
Wiederum ein Konfuzianisches Element, vielleicht ins 道德經 Dŕodéjīng hineingemischt,
von jemandem zu einem frühen Zeitpunkt in einem Versuch, Dŕoistische und Konfuzianische Gedanken
miteinander zu versöhnen.
老子 Lǎozĭ hatte
bereits diesen Geist des Rituals überwunden.
04-08:
Pflege sie an
dir selbst,
dann wird deine
Innere Kraft echt;
pflege sie in
der Familie,
dann wird deine Innere
Kraft reichlich;
pflege sie in
der Gemeinde,
dann wird deine Innere
Kraft dauerhaft;
pflege sie im
Land,
dann wird deine Innere
Kraft überfließend;
pflege sie in
aller Welt,
dann wird deine
Innere Kraft allumgreifend.
04-08 "[Der
Text] schreitet fort von seiner eigenen Person zu den anderen. Als Konsequenz
davon, dass man sie [diese
Innere Kraft] im Hinblick auf seine eigene Person kultiviert,
wird sie [die Person] [ihre] wahre [Natur] ermessen.
Als
Konsequenz davon, dass man sie [diese Innere Kraft] im Hinblick auf seine eigene
Familie kultiviert, wird sie [die
Familie] Fülle besitzen. So lange man sie kultiviert, verkommt sie nicht, was
man bewirkt [durch die Kultivierung dieser Inneren Kraft] wird immer weiter und
größer." [*].
**vgl. teilweise parallel
Konfuzius' 大學 dŕ xué.
09-13:
Darum: betrachte dich selbst
gemäß deinem Selbst,
betrachte die Familie
gemäß der Familie,
betrachte die Gemeinde
gemäß der Gemeinde,
betrachte das Land
gemäß dem Land,
betrachte alle
Welt
gemäß aller Welt.
09-13 "Die anderen [Personen, Familien, Bezirke, Staaten] sind alle in gleicher Weise [als sie selbst] da" [*].
"Daodejing wie Daxue proben die konzentrischen und sich gegenseitig beinhaltenden Kreise, durch die sich die wellenförmige Wirkung der kosmischen Kultivierung vollzieht, beginnend hier mit dem eigenen persönlichen Charakter und sich durch die vertrauten sozialen und politischen Institutionen bis in die entferntesten Bereiche des Kosmos ausdehnend. Die überlappende und synergetische Kultivierung eines kosmischen Ethos schafft einen Prüfstein - einen Qualitätsstandard, auf den man sich bei der Fortführung und Aufrechterhaltung des Prozesses berufen kann." [Ames & Hall].
*** vgl.
Konfuzius' 大學 dŕ xué.
14-15:
Wodurch erkenne ich
alle Welt als solche wohl?
Intuitiv!
14 "Basierend auf den Absichten aller (Familien) auf der Welt versteht man den Weg der ganzen Welt." (...) [*]
Anmerkung: Nur das Element 'die ganze Welt' hat kein
Gegenstück,
darum fügt Wáng
Bě die
folgenden zwei Eigenschaften hinzu [s. Wagner
p. 368+482],
bezogen auf ch.
73.07-08.:
"Der Weg der ganzen Welt sind, bezüglich Abweichung und Übereinstimmung, gute
Aussichten oder unheilvolle Vorbedeutungen insgesamt wie der Weg des
Menschen." [*].
15 (zu Lǎozĭ): "Durch dies"
[das Obige = über das Verstehen: von den Personen über Familien und Bezirke zum
Staat (h.a.)]. –
Hier bezieht sich Wáng
Bě auf ch.
47.01., zu
erklären seine
...
Methode der Introspektion:
"Dies bedeutet: Wodurch vermag ich alles in der
Welt zu erkennen? Ich
überprüfe mich selbst darüber, sie [die ganze Welt] zu erkennen, und ich strebe
dabei [für dieses Erkennen] nicht
zur äußeren Seite.
Dies
wird [in Laozi
47.1.]
genannt: '[Nur
wenn] man nicht
durch die Pforten hinausgeht [in
aller Welt hat man etwas], um hierdurch alle Welt zu erkennen'." [*]
[
55 - Kraft der Tugend
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
含德之厚比於赤子。
hán dé zhī hňu bǐ yú chě zǐ 。
毒蟲虺蛇不螫,猛獸不據,攫鳥不摶。
dú chóng huī shé bú shě ,měng shňu bú jů ,jué niǎo bú tuán 。
骨弱筋柔而握固。
gǔ ruň jīn róu ér wň gů 。
未知牝牡之合而全作,精之至也。
wči zhī pěn mǔ zhī hé ér quán zuň ,jīng zhī zhě yě 。
終日號而不嗄,和之至也。
zhōng rě hŕo ér bú á ,hé zhī zhě yě 。
知和曰常。知常曰明。
zhī hé yuē cháng 。zhī cháng yuē míng 。
益生曰祥。心使氣曰強。
yě shēng yuē xiáng 。xīn shǐ qě yuē qiáng 。
物壯則老。
wů zhuŕng zé lǎo 。
謂之不道,不道早已。
wči zhī bú dŕo ,bú dŕo zǎo yǐ 。
[ Dč, durch seine innere Macht, macht das neugeborene Kind gegen wilde Tiere unantastbar und lässt den weisen Herrscher seine ethische Unversehrtheit bewahren.
[ Das neugeborene Kind ist durch seine Schwäche und Weichheit, ohne Bewusstsein und ohne Begierden, der Höhepunkt der wahren Essenz und der inneren Harmonie.
[ Das Leben im Übermaß zu haben, anstatt am Ewigen teilzuhaben, und das Leben zu übersteigern, wird das Unglück einladen: Nicht in Dŕo zu sein, kann vorzeitig und unnatürlich enden.
01-04:
Bewahren Innerer Kraft Fülle
vergleichbar dem neugeborenen Kind:
Hornissen, Skorpione, Vipern und Schlangen
verletzen es nicht,
wilde Tiere packen es nicht,
Raubvögel schlagen es nicht.
01-02 "Ein Säugling ist ohne Verlangen und ohne Begierden, und folglich beleidigt es nicht die Vielzahl der Wesen." [* Wáng Bě / Wagner]. – Das Gegenteil ist der gewalttätige Herrscher ... (ch. 30) [p. 482].
03-04 Der
[weise] Herrscher mit vollem Dč /
Innerer Macht wird nicht alle Arten von Wesen beleidigen, und sie werden "seiner
Intaktheit nicht abträglich sein". [*].
Vgl. ch.
50.08.-13. ('Büffel,
Tiger, Schwerter ...), und allgemeiner ch. 10, 20,
48, 76).
05-09:
Die Knochen zart, die Sehnen weich,
und doch ist sein Griff fest.
Es weiß noch nichts von der Vereinigung
von männlich und weiblich,
doch seine Zeugungskraft regt sich schon:
ein Höhepunkt an Lebensenergie!
Es mag den ganzen Tag schreien
und wird doch nicht heiser:
ein Gipfel an Einklang auch.
"Das neugeborene Kind ist ein Bild der Fülle der Potenz (...), geschmeidig und doch fest, flexibel und doch stark. Das Baby, unbewusst und ohne Motivation, ist die Verkörperung von Harmonie und Gleichgewicht." [Ames & Hall p. 163].
05 Der
Griff kann nur wegen der Schwäche und Weichheit so festhalten ...
Diese 'Schwäche [in den Sehnen] und Weichheit [in den Knochen]' lassen ein
Neugeborenes "nicht mit [anderen Wesenheiten] kämpfen, aber [noch] nichts
gebrochen zu haben, ist ihm ganz ähnlich." [*].
"Das Zugreifen mit der Hand, bei aller Zartheit und Schwäche, dürfte das
Gleichnis des Mannes von völliger Tugend sein, der ungeachtet seiner Sanftmut
und seines weichen Gemüts seinen Vorsätzen beharrlich treu bleibt." [** v.
Strauß, 1870 p. 246].
06-07 Die Kulmination der wahren Essenz:
[ 精 jīng "... ist verknüpft bei Wáng Bě mit dem wahren Kern der Wesen, welcher verknüpft ist mit dem Weg; vgl. Wáng Bě über Lǎozĭ 21.5, wo der Ausdruck jīng 精 erklärt wird als zhen jing 真 精, 'wahre Essenz'." [* p. 482].
[ In den Hauptquellen (s. unten):
WHF, GMmB = 全峻脧, 然朘朘狻 !
[ "Das Kind, der Weise und das Wasser (als Symbol des Dau) besitzen gemeinsam das Attribut der scheinbaren Schwäche, die in Wirklichkeit die Potenzialität großer Kraftwirkungen in sich birgt." [Schwarz p. 186].
08-09 Ein
Baby hat "... keinen Sinn für Kampf und Verlangen; darum wird es, obwohl es den
ganzen Tag lang Töne ausstrahlt, nicht heiser ... das ist der Höhepunkt der
Harmonie." [*].
"So
sind auch alle Äußerungen des Menschen von vollendeter Tugend fortwährend
freundlich und gleichmäßig sanft, weil er [wie voll hervorbringender Kraft, so
auch] voll innerer Übereinstimmung, voll Harmonie ist." [**].
10-13:
Wissen um Einklang
bedeutet, am Ewigen teilhaben.
Am Ewigen teilhaben
bedeutet Erleuchtetheit.
Leben übersteigern
bedeutet Unheil.
Aus Ehrgeiz Lebenskraft aufbrauchen
bedeutet Gewalt.
10-11 Das Ewige haben:
[ "Die Wesen nehmen Harmonie als das Ewige. Deshalb erreicht man als Konsequenz dessen, dass man die Harmonie kennt, das Ewige."
[ "Was weder leuchtend noch darstellend ist, weder Wärmung noch Kühlung, das ist das Ewige. Es ist formlos und es ist unmöglich, es zu sehen. Deswegen sagt [der Text]:" Wissen von [diesem] Ewigen bedeutet erleuchtet sein!'" [*].
12-13 Das Leben im Übermaß haben:
[ "[Aber für einen Herrscher] bedeutet ein Leben im Übermaß zu haben, Bedrängnis;
[ Man sollte das Leben nicht übermäßig werden lassen. Wenn man in Exzesse geht, wird man jung sterben.
[ Das Herz mit dem vitalen Atem in Berührung zu bringen, bedeutet, gewalttätig zu werden. Das Herz sollte ohne [besondere Ambitionen] sein. [*]; "Wáng Bě verbindet diesen Kommentar mit Lǎozĭ 42.3: "Diejenigen, die gewalttätig und brutal sind, werden ihren [natürlichen] Tod nicht erfüllen." [Wagner p. 483]; s. 55.16. unten!
[ "Gemeint ist also die Hingebung des Herzens an die sinnliche Lebenskraft, seine Knechtschaft unter diese." [** v. Strauß].
14-16:
Überstarke Geschöpfe altern dann;
ich nenne es nicht im Dŕo.
Nicht im Dŕo heißt: vorzeitig enden!
14-15 "Wenn eine Entität mächtig wird, wird sie [rasch] altern. Das nenne ich 'nicht auf dem [entsprechend dem] Weg'".
16 (von 55.12.-13.): "Wáng Bě verknüpft diesen Kommentar mit Lǎozĭ 42.3.:
[ "Jene, die gewalttätig und brutal sind, werden nicht ihrem [natürlichen] Tod begegnen." [Wagner p. 483].
[ "Was
nicht auf dem Weg ist, ist schnell erledigt." [*].
- Vgl. ch.
30 ("'Mächtig
wachsen' bedeutet einen schnellen Anstieg militärischer Macht."
- Und ch.
23 "'A
Wirbelsturm überdauert
nicht einen Morgen, und ein Wolkenbruch überdauert nicht einen Tag."
[ Darum [besagt der Text, dass solch ein] rapider Anstieg [in militärischer Macht] notwendigerweise 'nicht auf dem Weg' und 'vorzeitig beendet ist'." [Wagner p. 483].
[
56 - Stille Erleuchtung
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
知者不言。
zhī zhě bú yán 。
言者不知。
yán zhě bú zhī 。
塞其兑,閉其門,
sāi qí duě ,bě qí mén ,
挫其銳,解其紛,
cuň qí ruě ,jiě qí fēn ,
和其光,同其塵,是謂玄同。
hé qí guāng ,tóng qí chén ,shě wči xuán tóng 。
故不可得而親。
gů bú kě dé ér qīn 。
不可得而疏。不可得而利。
bú kě dé ér shū 。bú kě dé ér lě 。
不可得而害。不可得而貴。
bú kě dé ér hŕi 。bú kě dé ér guě 。
不可得而賤。故為天下貴。
bú kě dé ér jiŕn 。gů wéi tiān xiŕ guě 。
Eines von 39 Kapitel in einem 'interlocked parallel style' [*Wagner n. G. Schlegel, s. 2000 p. 95; 2003 p. 309-310; Simon p. 174]: Zeilen 2-7 'vervollständigt' durch 9-14; 1 durch 15.
Die Zeilen 01-08, über einen idealen Meister des Dč, mit vollendeter Innerer Kraft, könnten auch bereits auf den 'Weisen Herrscher' bezogen werden.
01:
Wissende reden
nicht,
Redende wissen nicht.
01 Wissen ist nicht Weisheit:
Neben 老子 Lǎozĭ propagierte auch der
geniale Satiriker **莊子 Zhuāngzǐ (369-286
BC) das 'wortlose Lehren' 不言之教 (Kap.
2.10., 43.05.) des
Weisen durch sein Vorbild, nicht aber Macht durch Worte und Räuberei mittels
Herrschaftswissen:
"Gibt es unter den Leuten, welche die vulgäre Welt als "Wissende" bezeichnet,
solche, die nicht den großen Räubern helfen, Schätze anzuhäufen!"
(莊子 Kap.
10). Pseudo-Weise helfen vielmehr den Feudalherren,
"deren räuberischen Handlungen zu unterstützen". [Schwarz
p. 189].
"Denn
alle Gegenstände des Erkennens sind unendlich, endlich aber ist immer das
Erkennen. Weil es aber auch dies weiss, findet es sich nie reif genug, um redend
seinem Gegenstande genugzuthun. Ja man kann sagen, das Beste, was der ächte
[sic] Wahrheitforscher erkannt hat, ist nicht mitteilbar, ist unaussprechlich.
Wer viel redet von dem, was er erkannt habe, beweist dadurch, dass seine
geistige Thätigkeit noch an seinem Gegenstande umherfährt, noch nicht in ihm
selbst aufgeht, dass er die Grösse und Tiefe desselben noch nicht kennt und das,
was eigentlich gewusst seyn will, nicht weiss." [** Victor
v. Strauß, 1870 p. 250].
Sprechen und Erkennen, Sprache und Erkenntnis (Aspekte in Kap. 01, 05, 14, 21, 48, 53, 71): Der wahrhaft Weise, weiß, dass er nichts weiß (Kap. 71.01; ~ Sokrates, der folgert: "... ἔοικα γοῦν τούτου γε σμικρῷ τινι αὐτῷ τούτῳ σοφώτερος εἶναι, ὅτι ἃ μὴ οἶδα οὐδὲ οἴομαι εἰδέναι." / "... "Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er, daß ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen." [Platon, Apologie 21d–22a].
Das Verborgene 玄 xuán, über das der wahre Weise nichts sagen kann, darüber muss er schweigen [~ Wittgenstein, Tractatus, letzter Satz].
02-08:
Verschließe deine Ausgänge,
verriegele deine Pforten.
Glätte deine Schärfe,
löse deine Verwicklungen,
mildere deinen Glanz,
werde eins mit deinem Staub des Irdischen:
Dies heißt Mystisches Eins-Sein!
02-03 "[So
dass sie] in
sich selbst [sie] haben und [die / ihre] schmucklose [wahre Natur] bewahren".[*Wáng
Bě /
Wagner].
Vgl. Kap.
52.03.,
wo sich 其 auf
'in aller Welt' bezieht, hier auf 物,
wie in Wáng
Běs
Kommentar erwähnt.
04-07 "[das ist]:
[ "... beseitigt die Quellen für den Kampf." [*].
[ "Wenn er nichts hat, was [er] als besonders glorreich [ansieht], dann hat keine der Entitäten irgendetwas, wofür sie kämpften." [*].
[ "Wenn er nichts hat, was [er] als besonders demütig [ansieht], dann hat keines der Wesen etwas, wofür es sich besonders schämen würde." [*].
[ ~ Kap. 04.05.-08.: "... diese Sätze werden vom Weg selbst als ein Modell für die Großen Entitäten einschließlich des Weisen Herrschers genannt." [Wagner, 2003 p. 484].
Somit wird hier:
[ der ausgleichende und erlösende Wesenszug des Dŕo – nun in seinem immanenten Anteil – in vier Veranschaulichungen erläutert.
[ Schärfe, Verwicklung, Glanz und Nicht-Einssein werden mittels der Sanftheit des Dŕo erleichtert: peu ŕ peu zur ursprünglich ungebrochenen Symmetrie hin.
[ Am
Ende des Tages aller Tage werden alle Geschöpfe befreit in das Einssein mit
ihrem irdischen Staub, alle Dinge mit ihrem Sternenstaub.
Diese
Identifikation des Dŕo sogar mit dem Staub der Geschöpfe wurde als ähnlich
vermerkt mit der christlichen Idee einer Synthese von Schöpfer und Geschöpf. [** v.
Strauß 1870 p. 25].
08 玄同 xuán tóng ~ Mystisches Eins-Sein:
[ "unio mystica": Mystische Vereinigung.
[ "Identisch sein mit 'Dem-was-Dunkel-ist'." [*].
[ "Primordiale Nichtzweiheit" [Luhman, 1989 p. 48; vgl. Simon p. 174].
"Geheimnisvolle Gleichheit ist wie das tiefe Ozeanwasser,
mit den unsteten Wellen einzelner Existenzen, ebbend und flutend an der
Oberfläche.
Tiefes Wasser und Oberfläche sind das Gleiche (Wasser) und erscheinen
dennoch anders. Was ist die Realität dieses scheinbaren Unterschieds?
Flüchtigkeit.
Gleichheit beinhaltet die tiefere Realität, obwohl es sich nicht so
anfühlt, wenn man auf der Oberfläche herumhüpft. Kein Wunder, dass es sich mysteriös anfühlt."
[Abbot, 56 Komm.].
09-15:
Daher: unerreichbar durch Annäherung,
auch durch Entfremdung;
unerreichbar durch Vorteil,
auch durch Nachteil;
unerreichbar durch Würdigung,
auch durch Entwürdigung.
Daher gilt es aller Welt als Höchstes.
09-14 "Deshalb [die anderen Entitäten] ...
[ Wenn sie in der Lage wären, [ihm] nahezukommen, könnten sie sich von ihm entfernen.
[ Wenn sie in der Lage wären, [ihm] zu helfen, könnten sie ihm weh tun.
[ Wenn sie in der Lage wären, ihn zu ehren, könnten sie ihn niederwerfen." [*].
15 "Es gibt keine Entität, die ihm etwas hinzufügen könnte." [*].
[
57 - Stille Einfalt, edle Größe!
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
以正治國,以奇用兵,以無事取天下。
yǐ zhčng zhě guó ,yǐ qí yňng bīng ,yǐ wú shě qǔ tiān xiŕ 。
吾何以知其然哉﹖以此。
wú hé yǐ zhī qí rán zāi ﹖yǐ cǐ 。
天下多忌諱而民彌貧。
tiān xiŕ duō jě huě ér mín mí pín 。
民多利器國家滋昏。
mín duō lě qě guó jiā zī hūn 。
人多伎巧奇物泫起。
rén duō jě qiǎo qí wů xuŕn qǐ 。
法令滋彰盜賊多有。
fǎ lěng zī zhāng dŕo zéi duō yǒu 。
故聖人云我無為而民自化。
gů shčng rén yún wǒ wú wéi ér mín zě huŕ 。
我好靜而民自正。
wǒ hǎo jěng ér mín zě zhčng 。
我無事而民自富。
wǒ wú shě ér mín zě fů 。
我無欲而民自樸。
wǒ wú yů ér mín zě pǔ 。
Traditionell-Konfuzianischem und militaristischem Regierungsstil wird der dŕoistische Weg des 'Regierens ohne Regieren' gegenübergestellt und in vierfacher Argumentation erläutert.
Im Geiste des Dŕo werden dem 'weisen Herrscher' Vorbildfunktion bei Nichteinmischung, nachdrücklich ans Herz gelegt: von selbst wird das Volk dann verwandelt – integer, bereichert, schlicht.
01-05:
Mit Rechtschaffenheit lenken das Land
lässt mit Arglist Waffen gebrauchen;
durch Nicht-Geschäftigkeit gewinne alle Welt.
Woher wohl weiß ich das so?
Aus diesen Gründen:
01-03 Die Zeilen 1, 2 und 3 vergleichen drei Arten des Regierens:
Konfuzianismus (traditionell, rechtschaffen (über-)
regulierend) = als grundlegende Bestätigung,
Militarismus (gerissene Verwendung von Truppen) zur Durchsetzung von
Recht und Ordnung = als Negation,
Dŕoism (nicht geschäftig, nicht störend, führend durch das Vorbild), die
ganze Welt zu gewinnen, die Herzen zu erobern = als Schlussfolgerung – und 老子's
Ratschlag. [n. Henricks,
2000 p. 69].
"'Wenn ein Staat regiert wird
[ durch Normen, 'wird der gerissene Einsatz des Militärs aufkommen' ...
[ 'durch nicht-geschäftiges Handeln' [im Regieren] wird [der Herrscher] in der Lage sein, 'alle Welt zu erreichen' ...
[ mittels des Weges wird der Staat in Frieden sein. [*Wáng Bě / Wagner].
[ Vgl. Kap.
48.06.-08.:
"Sein Zugriff auf alle Welt ist darauf zurückzuführen, dass er sich [ewig] nicht
auf [Regierungs-]Aktivitäten einlässt", die durch den Weg regieren "wird der
Wurzel nachstreben als Mittel, Stamm
und Äste zur
Ruhe bringen [welche daraus erwachsen]",
aber der Herrscher wird durch Normen (Prinzipien der 'Rechtschaffenheit')
herrschen und "Bestrafungen als Mittel, sich Stamm und Zweige anzueignen"
etablieren, ist daher die Wurzel nicht gut begründet, und sind Stamm und Zweige
flach, "werden die
Menschen nichts haben, was sie sich selbst zuschreiben können." [*s. 312-313].
04-05 'Ich weiß, dass dies ... so ist ... aus dem Folgenden ... Es ist eine Tatsache, dass'
06-09:
Je mehr Tabus zu vermeiden auf
der Welt,
umso ärmer aber sind die Leute;
je mehr 'scharfes' Gerät,
desto verwirrter aber Land und Leute;
je ausgekochtere Fertigkeiten der Menschen,
umso mehr befremdliche Dinge kommen auf;
Gesetz und Ordnung zunehmend kundgetan,
desto mehr Räuber und Diebe gibt es doch!
06 Wenn
Verbote und Taboos durch die Regierung die Freiheit der Untergebenen
einschränken, wird erfahrungsgemäß die natürliche Selbstentfaltung gehemmt, so
dass nicht mehr Ordnung, sondern mehr Verarmung resultiert. [vgl. **
v. Strauß].
"Die
Zunahme der Tabus hat den Zweck, die Armut zu stoppen, aber [endet damit], dass
die Leute noch ärmer sind." [*].
07 Der
Begriff "scharfe Gegenstände" wird oft für Waffen verwendet (Kap. 80); je mehr
Waffen für die Menschen existieren, desto mehr werden Unruhen und Aufstände das
Land "verdunkeln". [**].
"Profitable Instrumente" sind in der Regel
Instrumente, um sich selbst zu profilieren. Wenn das Volk stark wird, wird der
Staat geschwächt... Dass er "die nützlichen Instrumente vermehrt" hat also den
Zweck, den Staat zu stärken, endet aber mit einem "verblassenden" Staat." [*p.
313-314].
08 Entwickeln
die Leute zu viele 'Kunstfertigkeiten' und die Herrscher künstliche
'Geschäftsideen', entstehen törichte Luxusgegenstände und Abhängigkeiten:
"Zunehmendes
"Wissen", "Schlauheit und Betrug entstehen", "verdorbene Aktivitäten" werden
aufkommen." [*].
09 Je
mehr Gesetz und Ordnung verkündet wird, und je mehr attraktive Gegenstände
ausgestellt werden, desto mehr Räuber und Diebe kommen auf:
Weil
alle diese Maßnahmen des Herrschers "... die Wurzel verwerfen, indem sie den
Stamm und die Zweige regulieren ... kommt es zu alledem [Aufstieg des
Bösen, Zunahme schöner Objekte, Vermehrung von Räubern und Einsatz des Militärs
gegen sie]." [*].
10-14:
Darum raten weise Menschen:
Ich handle
ohne einzugreifen,
und doch wird das Volk
von selbst verwandelt;
ich ziehe die Stille vor,
und doch wird das Volk
von selbst integer;
ich bin ohne Geschäftigkeit,
und doch wird das Volk
von selbst bereichert;
ich bleibe frei von Begehren,
und doch wird das Volk
von selbst schlicht.
10 Daher die Worte des Weisen:
11-14 "Ich [als ein Herrscher würde] ... und die Leute würden von alleine:
[ sich nicht einmischen, ... sich [zum Besseren] verwandeln;
[ Stille nachahmen ... sich selbst berichtigen;
[ nicht an [Regierungs-] Aktivitäten teilnehmen ... wohlhabend werden;
[ [Kurz gesagt,] begehren, kein Verlangen zu haben ... schlicht zu werden. "
[ "Was
der Herrscher wünscht, wird schnell vom Volk [seinen
eigenen Ambitionen] verfolgt werden
...
Diese vier [Anweisungen] sind [Spezifikationen der allgemeinen
Strategie], um der Wurzel nachzustreben, als Mittel, Stamm und Zweige zur Ruhe
zu bringen." [*].
Nicht-Eingreifen und Vorbildfunktion statt die
Kriminalität nur anheizende Strafgesetzgebung,
durch Ruhe und Gelassenheit des weisen Herrschers zur Redlichkeit und
Friedensliebe des Volkes,
Verzicht auf geschäftiges Agieren und hektische Reglementierung erlaubt
wirtschaftlich zufriedenes Auskommen aus eigener Kraft,
Vermeiden gekünstelter Fertigkeiten und sinnlosem Luxus lassen das Glück
ursprünglicher Schlichtheit und Natürlichkeit (Kap.
80) zu!
Sogar Konfuzius hatte,
bei aller Regelungsliebe, schon die Vorzüge des Nicht-Eingreifens als Vermeidung
von Zwang erschaut, wenn er einen idealen Weisen als König erwähnte (Analekten,
15.5):
"Der Meister sprach: 'Wenn von jemandem gesagt werden kann, dass er die
richtige Ordnung erwirkte, während er gewaltfrei verblieb, dann war es
sicherlich der weise König Shun. Was hat er getan? Er nahm einfach einen
Hauch von Ehrerbietung an und blickte nach Süden.'
[
58 - Sanfter Führungsstil
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
其政悶悶,其民淳淳。
qí zhčng mčn mčn ,qí mín chún chún 。
其政察察,其民缺缺。
qí zhčng chá chá ,qí mín quē quē 。
禍尚福之所倚。
huň shŕng fú zhī suǒ yǐ 。
福尚禍之所伏。
fú shŕng huň zhī suǒ fú 。
孰知其極,其無正。
shú zhī qí jí ,qí wú zhčng 。
正復為奇,善復為妖。
zhčng fů wéi qí ,shŕn fů wéi yāo 。
人之迷其日固久。
rén zhī mí qí rě gů jiǔ 。
是以聖人方而不割。
shě yǐ shčng rén fāng ér bú gē 。
廉而不劌。直而不肆。光而不燿。
lián ér bú guě 。zhí ér bú sě 。guāng ér bú shuň 。
[ "Erzwingen von Ordnung erzeugt Unordnung." [Ames & Hall p. 168]. Weise Herrscher folgen dem Prinzip des 無為 wú wéi: zurückhaltend und unaufdringlich, niemals kontrollierend oder gar ausspionierend.
[ Die menschliche Existenz kann nicht versichert werden: zwischen Glück und Unglück befindet sich nur eine dünne Membran.
[ Das höchste Prinzip ist kein Prinzip: nicht erstickt durch Normen und Vorgaben, durch Gesetze und Strafen, werden sich Gesellschaften schlicht und selbst-motiviert entfalten.
[ Zum Ausklang des Kapitels charakterisiert der Alte Meister den weisen Herrscher prägnant in poetischen Zeilen.
01-04:
Wessen
Regieren
zurückhaltend und unaufdringlich ist,
dessen Volk ist ursprünglich.
Wessen
Regieren
kontrollierend und bespitzelnd ist,
dessen Volk ist verschlagen und gespalten.
01-02 "[Ein Herrscher], der das Regieren
gut regelt, wird weder Form noch Namen haben, weder [Regierungs-] Aktivität noch
Normen, auf die hingewiesen werden könnte. [Seine Regierung] ist 'versteckt [aus
der Sicht]' [aber] wird schließlich die Große Ordnung herbeiführen.
Sein Volk wird um nichts ringen oder im Wettstreit stehen müssen, umfangreich
und eindrucksvoll [sind sie in ihrer] Großzügigkeit ... ". [* Wáng
Bě / Wagner].
03-04 Wer als Herrscher kontrolliert und
bespitzelt, "... legt Bestrafungen und Namen [entsprechend den sozialen Rängen]
fest und veröffentlicht Belohnungen und Bestrafungen, um die Gerissenen und
Betrügenden unter Kontrolle zu bringen.
Verschiedenen
Kategorien [von Menschen] werden zugewiesen und aufgespalten, „... damit die
Leute mit Kampf und Wettstreit befasst seien." [*].
05-06:
Mag Unglück
Glück schon untermauern,
mag, ach, im Glück schon Unglück
lauern …
05-06 Unglück, auf dem doch alles Glück '(be-)ruht' oder Glück, unter dem bereits das Unglück 'lauert' [Wilhelm] ('kauert', darunter liegt, sich verbirgt) ...
Wáng
Bě vergleicht durch dieses
Zweizeiler-Juwel die beiden oben genannten Herrschaftsstile und schließt daraus
auf den besseren in den nachfolgenden Zeilen ...
"Des Unglücks Zweck ist, die sittlichen Kräfte des Menschen, die dessen Glück
begründen, zu wecken und zu stählen ... Wer sein Unglück weise benützt, wird
dadurch sein Glück gründen." [**
v. Strauß].
07-12:
Wer das Höchste versteht,
ist ohne starre Prinzipien!
Prinzipien,
sich verkehrend,
werden befremdlich,
Gutes, sich
verkehrend,
wird zu Bösem.
Der Menschen Verblendung
dauert gewiss lange schon an ...
07-08 ...
Kaum jemand habe verstanden, dass der verborgene Stil (mit Umsicht hinter den
Kulissen) – durch
größeren Wandel zum Besseren hin – somit
der Inbegriff der guten Herrschaft sein:
Das Höchste in Sachen regieren muss ohne starre Prinzipien im Geiste der
Nicht-Einmischung ein Regieren
ohne Regieren ermöglichen!
09-10 "[Ein Herrscher], der den Staat mittels Normen regiert, wird seinerseits mit List vom Militär Gebrauch machen." ... wie schon in Kap. 57.01.-02. ausgeführt!
Daher:
[ Normen, selbst falls ursprünglich mit guten Absichten, aber "im Prinzip", weil stark und starr statt schwach und nachgiebig, neigen dazu, pervertiert und "seltsam" zu werden.
[ Güte, ohne die Innere Kraft von Dč, aber eingesetzt, um die Untertanen zu kontrollieren, neigt auch dazu, irregeführt und 'seltsam' zu werden:
[ Wenn ein Herrscher "... das Gute etabliert, um die zehntausend Arten von Entitäten zu harmonisieren, dann wird er die Bedrängnis des Bösen erfahren." [妖, *].
Lasst uns hier ein wenig tiefer schürfen:
"Der Begriff yāo 妖 erscheint nur einmal in Wáng B
ě's Laozi-Kommentar. Wáng Bě's Standardausdruck für "übel" ist xié 邪. In seinem Kommentar zum Zhuoyi, S. 16.a3, spricht Wáng Bě vom yaoxie zhi dŕo 妖邪之道, dem "Weg des Übels [Bösen]". Daher habe ich diese Bedeutung im gegenwärtigen Kontext übernommen. [Wagner, 2003 p. 485].
11-12 Die
Täuschung der Menschen dauerte so lange wegen des lang andauernden Verlustes des
Weges selbst:
"[Auf
der anderen Seite ist es wahr, dass] die Täuschung der Menschen schon lange da
sind.
Das
bedeutet:
Die Verblendung der Menschen und [ihr] Verlust des Weges haben definitiv schon
lange Zeit angedauert. Es wird nicht [einfach] zu händeln sein, Entscheidungen
zu treffen [mittels] dafür
verantwortlicher
Gütenormen." [* Wáng
Bě / Wagner p.
319].
Lasst uns hier noch einmal ein wenig tiefer graben:
Diese
Passage wurde von verschiedenen Autoren als korrupt diskutiert:
S. Wagner in
seinen Translations
Notes [Wagner,
2003 p. 485]:
"Hattori Nankaku, Hatano Taró, und Lou Yulie, sie alle nehmen an, dass [dieser] sein Kommentarabschnitt korrupt ist. Der Gedanke, der in meiner Übersetzung, wie oben erwähnt, zum Ausdruck kommt, erscheint nirgendwo sonst in Wang Bi's überlebendem Werk, er passt jedoch zu Wáng Bě's Gedanken". Ich habe daher davon Gebrauch gemacht, vgl. mein [Buch] Language, Ontology, and Political Philosophy, p. 153."
13-17:
Deshalb sind weise Menschen:
scharf, doch nicht schneidend;
spitzfindig, doch nicht stechend;
zielend, doch nicht zügellos;
brilliant, doch nicht blendend.
13-17 Möge der poetische Glanz dieser Strophe durch Stabreim untermalt werden. [h.a.].
"Darum der Weise ..."
[ 方而不割 begleicht, aber beschneidet nicht,
[ 廉而不劌 bereinigt, doch beeinträchtigt nicht,
[ 直而不肆 strafft, doch schikaniert nicht,
[ 光而不燿 erleuchtet, doch ermittelt nicht.
"Er...:
[ "führt die anderen Entitäten und lässt sie ihr Böses beseitigen, aber er beschneidet sie nicht",
[ "macht die Leute rein und lässt sie ihre Verschmutzung [ihrer wahren Natur] beseitigen, aber verletzt und verwundet sie nicht",
[ "führt die anderen Entitäten und lässt sie ihre Verdorbenheiten beseitigen, aber schockt und unterdrückt sie nicht",
[ "klärt auf, was sie [die Leute] verblendet hat, aber gibt nicht mittels seiner Erleuchtung Aufschluss über sie, um ihre [der Leute] geheimen Verstecke herauszufinden." (Kap. 41.06.) [*].
Dem "Heiligen Menschen" [** v. Strauß 1870 p. 261-262] soll, als Vorbild, gefolgt werden:
gerecht, nicht verletzend
,
maßvoll, nicht beleidigend,
ehrlich, nicht willkürlich,
leuchtend, nicht blendend.
___________________
** Wagner: "Language, Ontology, and Political Philosophy in China", 2002, 261 pp.
[
59 - Mäßigung
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
治人事天莫若嗇。
zhě rén shě tiān mň ruň sč 。
夫唯嗇是謂早服。
fū wéi sč shě wči zǎo fú 。
早服謂之重積德。
zǎo fú wči zhī zhňng jī dé 。
重積德則無不克。
zhňng jī dé zé wú bú kč 。
無不克則莫知其極。
wú bú kč zé mň zhī qí jí 。
莫知其極可以有國。
mň zhī qí jí kě yǐ yǒu guó 。
有國之母可以長久。
yǒu guó zhī mǔ kě yǐ zhǎng jiǔ 。
是謂深根固柢,長生久視之道。
shě wči shēn gēn gů dǐ ,zhǎng shēng jiǔ shě zhī dŕo 。
[ In den Zeilen 1-4 & 5-7 verwendet 老子 Lǎozĭ einmal mehr die 'Domino-Technik': eine Kette von Assoziationen als logisches Design, mit suggestiver Wirkung durch Plausibilität (Kalinke vgl. Kap. 16).
[ Dem Geiste des Dŕo entspricht nur der matriarchale Staat, der nach mütterlichen Prinzipien geleitet wird (Zeile 7), entsprechend der 'Nährenden Mutter' (Kap. 20) als jenes 'Geheimnisvoll Weibliche' (Kap. 06), das Immanente Dŕo diesseits der 'Pforte', das alle Entitäten tief zu verwurzeln und fest zu begründen vermag.
[ Kap. 59 führt von der "Selbstkultivierung und dem Hegen der eigenen Lebenskraft" zu einer zweiten, politischen Ebene: "... eine Vision für die menschliche Gemeinschaft zu schaffen und diese Vision zu verwirklichen." [Ames & Hall p. 170].
01-04:
Leite
Menschen, diene dem Himmel:
nichts kommt der Mäßigung gleich:
denn nur
Mäßigung bedeutet
rechtzeitige Vorsorge.
Rechtzeitige
Vorsorge bedeutet
'Reichliche Ansammlung Innerer Kraft';
reichliche
Ansammlung Innerer Kraft:
dann gilt::
'Nichts ist nicht zu bewältigen'.
01 嗇 sč [wortgetreu = geizig, knauserig] bedeutet hier eine vorausschauende und umsichtige Sparsamkeit, vgl. 'Genügsamkeit' in Kap. 67 als eine der Drei Schätze:
[ "Wenn man Menschen regiert und dem Himmel dient, ist nichts mit Sparsamkeit vergleichbar." [**v. Strauß].
[ "Im Regieren und im Dienst am Himmel ist nichts mit Sparsamkeit zu vergleichen." [Man-jan Cheng / Gibbs].
[ Nichts
geht über "reduktiv" [bearbeiten], bezogen auf die Landwirtschaft (die
Vielfalt der Pflanzen auf einem Feld auf nur eine Pflanze zu reduzieren): die 'Hundert
Familien' durch Vereinfachung beruhigen ...
"...
Wang las 嗇 in
der Bedeutung von "sparsam" oder "reduktive," und gründete seinen Kommentar auf
dem Standardgebrauch von 嗇 als ... "ernten",
"einbringen" oder "Sparsamkeit", welches frühe Kommentatoren als abgeleitet
ansahen von der Bedeutung von 嗇. und kombiniert glücklicherweise
[Ames & Hall p. 170]
die beiden Bedeutungen des Erntens und Sparens! [nach * Wáng
Bě /
Wagner p. 321 + 485!].
02 服 fú, gedeutet als 'Vorsorge' oder als 'Rückkehr':
[ Nur das Sparen, das heißt rechtzeitig vorsorgen: der Sparsame sorgt beizeiten für die Bedürfnisse der Zukunft." [**].
[ "Es ist eine Tatsache, dass [ein Herrscher] sie [die Hundert Familien] nur durch reduktiv sein bald zurück haben wird. - [D.h.], zurück zum Ewigen." [*].
03 'Beizeiten für die Bedürfnisse sorgen' meint nicht bloß für sich, den Herrscher, sondern für alle Bedürftigen:
[ Dé ist nicht bloß subjektive 'Tugend', sondern auch Innere Kraft, alle anderen zu helfen. [n. **1870 p. 264].
[ "Nur wenn er sich darauf konzentriert, den Empfang / die Kapazität zu akkumulieren, ohne eine 'auflebende Anzugskraft' zu wünschen, wird er schließlich in der Lage sein, [die Hundert Familien] früh zu ihrem Ewigen zurückkehren zu lassen" [*].
04 Nach
seiner Betonung, nur Dč anzuhäufen, "wird es Nichts geben, was er nicht unter
Kontrolle bringt." [*].
Die ausgedehnteste Macht einmal derart erlangt, wird nichts unmöglich oder
unüberwindlich jenem Herrscher, der "... durch rechte und reichliche Wolthaten
[sic!] die Herzen der Unterthanen in Dankbarkeit, Liebe und Vertrauen gewonnen." [hatte **].
05-07:
Nichts ist nicht zu
bewältigen, dann gilt:
'Niemand weiß um seine Grenzen';
weiß niemand um seine Grenzen,
kann man so das Land leiten.
Leite ein Land
nach mütterlichen Prinzipien:
zeitlos kann es dadurch
fortbestehen.
05 Sobald
einmal alles unter Kontrolle ist, "... wird es niemanden [unter den Hundert
Familien] geben, der seine [des Herrschers] Vollkommenheit kennen wird ...
aufgrund der Tatsache, dass sein Weg unerschöpflich ist." [*].
Niemand weiß dann um den 'Gipfel' 極 jí, die
Grenzen dieser Macht, der nichts unbezwingbar ist.
06 Hat
der Regent 'durch gehäufte Wohltaten' über das Volk eine solche innere Macht
erlangt, dass niemand ihre Grenzen ausloten kann, wird ihm kein Widersacher die
Regentschaft streitig machen, sodass er durchgreifend zum Wohl des Volkes zu
regieren vermag.
Nur weil niemand von der Vollkommenheit des weisen Herrschers weiß, könnte er
'den Staat besitzen', aber ... 'Würde er den Staat durch einen erschöpfbaren Weg
führen, wäre er nicht in der Lage, den Staat zu besitzen.' [*].
07 Der Friede eines Landes wird "von seiner Mutter gebracht":
[ Die Ansammlung von Dč als Innerer Kraft bedeutet "... sich nur auf die Wurzel von [Allem unter dem Himmel] zu konzentrieren und erst dann den Stamm und die Zweige zu verwalten".
[ Ein Herrscher, der diesem Weg folgt, "... wird es tatsächlich schaffen, sein [natürliches] Ende zu erreichen." [*].
[ Oder: Ein matriarchaler Staat wird lange Zeit 'in Kraft sein' ...!
08-09:
Dies heißt: tief verwurzelt, fest begründet:
Verlängertes Leben,
von Dauer Dŕos Ausblick!
08-09 "Das nenne ich den Weg von:
[ tief [implantieren] die Wurzel,
[ konsolidieren die Basis,
[ verlängern das Leben,
[ erweitern die Perspektive." [*].
Wurzel: vgl. Kap. 06, 16, 26, 39, 54.
[
60 - Herrschen ohne Schädigung
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
治大國若烹小鮮。
zhě dŕ guó ruň pēng xiǎo xiān 。
以道蒞天下,其鬼不神。
yǐ dŕo lě tiān xiŕ ,qí guǐ bú shén 。
非其鬼不神,其神不傷人。
fēi qí guǐ bú shén ,qí shén bú shāng rén 。
非其神不傷人,聖人亦不傷人。
fēi qí shén bú shāng rén ,shčng rén yě bú shāng rén 。
夫兩不相傷,故德交歸焉。
fū liǎng bú xiŕng shāng ,gů dé jiāo guī yān 。
Behutsam regieren, mit Dŕo der Welt begegnen – und die 'Geister' (Totengeister und förderliche Geistwesen) schaden nicht – wie auch Weise nicht schaden: die Erleuchtung durch das Dŕo sollte (den vor-philosophischen Glauben an) Geister und Dämonen in die Schranken weisen können.
01-07:
Leite große
Staaten behutsam
wie das Braten
kleiner Fische.
Mit Dŕo begegne aller Welt!
Ihre bösen
Geister
werden nicht mehr spuken;
nicht nur ihre bösen Geister
geistern nicht,
auch ihre guten Geister
schaden Leuten nicht.
Nicht
nur ihre guten
Geister
schaden nicht:
Weise schaden den Menschen ebenfalls nicht!
Weder Fische noch Staaten dürfen durch zu viel Eingreifen zerstückelt werden; Koch und König unterstehen dem gleichen Gesetz des Einen (Kap. 39):
01-02 „Héshŕng Gōng 河上公 meint, wenn man kleine Fische koche, so entferne man die Eingeweide nicht, entferne die Schuppen nicht, und wage nicht sie umzurühren, aus Furcht, dass sie zerkochten; und falle man mit der Regierung dem Lande beschwerlich, so empörten sich die Unterthanen etc.“ [** v. Strauß 1870 p. 267].
"Führt man neue Gesetze und Verordnungen ein, so verändern sich im allgemeinen
Nutzen und Schaden. ...
Wenn die Staatsaufgaben so zahlreich sind, dass man die Leute häufig
verschieben muss, so bleibt ihre Leistung gering; und wenn man ein großes Gefäß,
das man bewahrt, allzu häufig hin- und hersetzt, so wird es viel Beschädigung
erleiden.
Brät man kleine Grundeln und schiebt sie zu häufig in und her, so zerstört man
ihre Zubereitung.
Regiert man ein großes Land und ändert allzu oft die Gesetze, so wird das Volk
darunter leiden.
Deshalb schätzt ein Herr, der den Weg hat, die Leere und Stille und nimmt
Gesetzesänderungen ernst. Also heißt es:
'Regier ein großes Land,
Als ob du brietest kleine Grundeln'".
[Hán Fēizǐ 韓非子; nach Debon].
"Belebende Aktivität [wie beim Rühren des Fisches] wird [den kleinen Fischen]
viel Schaden zufügen, [aber] wenn er ruhig ist, dann wird er ihre wahre [Essenz]
intakt halten.
Deshalb
ist umso größer der
Staat,
je ruhiger sein Herr, umso umfassender wird er infolgedessen die Herzen der
Vielen beeinflussen können." [* Wáng
Bě /
Wagner].
03-05 "Wenn er einen großen Staat leitet ... [handelt er] als bräte [sic!] er kleine Fische, [aber] wenn er mit Hilfe des Weges alle unter dem Himmel regiert ... [manifestieren sich] seine Geister [nicht als aktive] Geister." [*].
06-07 Geister
schaden nicht, wenn die Wesen ihre Natur bewahren; ... folglich wissen die
Leute nicht mehr, dass die Geister Geister sind.
Wenn der Weise auch "den Menschen nicht schadet', dann wissen sie auch
vom Weisen nicht, dass er
weise ist." [*].
08-09:
Da beide einander nicht schaden,
so werden ihre
Inneren Kräfte
hier vereint zurückkehren!
08-09 Wenn Geister und die Weisen in Übereinstimmung mit dem Weg sind,
[ 'interagieren' sie darin, sie zur Rückkehr zu geleiten [die Menschen zur Wurzel]. [*].
[ Geister sind weder gut noch schlecht, und sie können freundlich oder feindselig sein ... aber sie neigen dazu, freundlich und nützlich zu sein, wenn ein Weiser über den Staat oder das öffentliche Leben herrscht ...
Die Hauptabsicht dieses Kapitels könnte sein: "...den ausschweifenden Volksglauben an die [鬼] guǐ auf ein bestimmtes Maass zu bringen und die Furcht vor ihnen durch den Glauben an die segensreichen Folgen des Fernhaltens an Tŕo zu zerstreuen." [**].
[
61 - Erste Diener
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
大國者下流,天下之交。
dŕ guó zhě xiŕ liú ,tiān xiŕ zhī jiāo 。
天下之牝。
tiān xiŕ zhī pěn 。
牝常以靜勝牡。
pěn cháng yǐ jěng shčng mǔ 。
以靜為下。
yǐ jěng wéi xiŕ 。
故大國以下小國,則取小國。
gů dŕ guó yǐ xiŕ xiǎo guó ,zé qǔ xiǎo guó 。
小國以下大國,則取大國。
xiǎo guó yǐ xiŕ dŕ guó ,zé qǔ dŕ guó 。
故或下以取,或下而取。
gů huň xiŕ yǐ qǔ ,huň xiŕ ér qǔ 。
大國不過欲兼畜人。
dŕ guó bú guň yů jiān chů rén 。
小國不過欲入事人。
xiǎo guó bú guň yů rů shě rén 。
夫兩者各得所欲,大者宜為下。
fū liǎng zhě gč dé suǒ yů ,dŕ zhě yí wéi xiŕ 。
Bilden sich große Staaten aus vielen kleinen Staaten, sind die notwendigen
Vereinigungsprozesse problematisch.
Lǎozĭ
versinnbildlicht dies mit dem Verhältnis der Geschlechter, wobei dem
weiblichen Prinzip die Überlegenheit zugesprochen wird.
Im friedlichen Falle geht die Identität der kleinen Staaten nicht verloren, im
Sinne eines Staatenbundes oder einer Bundesrepublik. [s. Simon
p. 190].
01-05:
Große Reiche, sie strömen abwärts:
als aller Welt Zusammenfluss,
aller Welt weibliches Prinzip.
Das beständig Weibliche überwindet
mittels seiner Seelenruhe das Männliche,
mittels einer Ruhe, die von unten her wirkt.
01-03 "Der
grosse Staat wird übermüthig, herrschsüchtig, such die kleineren zu verschlingen
oder zu unterdrücken und mit Gewalt sich dienstbar zu machen.
Kleine Staaten, auf ihre Selbständigkeit pochend, überheben sich, werden den
grossen hinderlich und reizen sie.
Um solchen Übelständen und den daraus quellenden Wirren zuvorzukommen, dringt
Laň-tsč [sic!] auf die praktische Bethätigung eines ethischen Motivs. (Erinnernd
an [1.
Petrus 5,5; Eph. 5,21.]
'Seid allesammt einander unterthan'." [** v.
Strauß, 1870 p. 272].
"Flüsse und Meere ... nehmen ihren
Platz in der Tiefe ein; infolgedessen fließen die hundert Bäche auf sie zu. Wenn
ein großer Staat [Gebiet], [obwohl] es ein großes [Gebiet] bedeckt, einen
niedrigen Platz einnimmt, wird 'Alles unter dem Himmel' darauf zukommen." [*
Wáng Bě / Wagner].
"Es [wird] der Punkt sein, an dem 'Alles unter dem Himmel' zusammenläuft. Da
[das Weibliche] ruhig und ohne Verlangen ist, werden sich die anderen Wesen von
selbst darauf einstellen (vgl. Kap. 28, 32, 06)." [*].
04-05 "Wenn [der große Staat] wegen seiner Gelassenheit wieder in der Lage ist, eine niedrige [Position] anzunehmen, werden sich die anderen Entitäten damit begnügen." [*].
Die untere Position und Yin betonend, diskutiert Lǎozĭ
wieder die Verwendung von Yin und die gewinnende
Weichheit:
"Ein großes Land ist wie das Meer: Alle Flüsse fließen in es hinein. Deshalb
empfängt es alles, was hineinfließt."
'Verkehr mit der Welt' bezieht sich auf Yin und Yang. Das Feminine ist Yin oder
das weibliche Prinzip. 'Das Weibliche erobert immer das Männliche durch Ruhe'
ist mit einer Linie im Buch der Wandlungen, I Ging,
verbunden, 'der Himmel gibt und die Erde empfängt.'" [Cheng
S. 187].
06-11:
Daher: große Staaten entsprechend
begeben sich unter kleine
Staaten,
und gewinnen dann die kleinen Staaten;
kleine
Staaten entsprechend
begeben sich unter
große Staaten,
und gewinnen dann die großen Staaten.
Folglich gilt: manche begeben
sich darunter,
um
zu gewinnen,
andere begeben
sich darunter
und werden gewonnen.
Regieren und regiert werden ('nehmen' und 'genommen werden') sind die zwei Seiten einer Medaille, in einer 'Treuhandbeziehung': "... gerechtfertigt durch die Qualität der Pflege und des Dienstes, die darin investiert werden." [Ames & Hall p. 173],
06-07 "Wenn der große Staat fortfährt, sich zu senken, ist es, als ob der Text sagte, 'wenn man mit einem großen Staat eine Position unter den kleinen Staaten einnimmt.'" [*].
08-09 "Dann wird es der kleinen Staaten habhaft werden. Die kleinen Staaten werden sich infolgedessen [dass sich der große Staat niedriger macht] mit ihm verbinden. Der große Staat wird sie aufnehmen." [*].
10-11 "Solange [der große Staat] eine bescheidene und niedrige [Position] kultiviert, werden sie [wie der nächste Satz der Lǎozĭ sagt], jeder seinen [richtigen] Platz einnehmen." [*].
12-15:
Große Staaten möchten
nichts als
zu vereinen und andere zusammenzubringen,
kleine Staaten möchten
nichts, als beizutreten
und anderen zu dienen.
Denn beide
von ihnen bekommen,
was sie sich
wünschen:
Große sollten von unten wirken!
Die Überlegenheit des Unteren über das Obere, wie im Fließen der Gewässer, wie
im Miteinander der Geschlechter, so auch zwischen staatlichen Gebilden.
Das tiefere Wasser nimmt das höhere schließlich in sich auf, das Weibliche
sammelt die Kräfte des Männlichen.
"Daher gebührt es dem großen Staat, abwartend den unteren Weg zu gehen, und von
selbst werden die kleinen Staaten sich ihm ergeben." [Möller
p. 93].
12-13 "Wenn ein kleiner Staat eine niedrige [Position] kultiviert, wird er nicht mehr erreichen, als intakt zu bleiben, aber er wird nicht in der Lage sein, 'Alles unter dem Himmel' dazu zu bringen, sich ihm [dem kleinen Staat] zu ergeben." [*].
14-15 "Darum sagt [der Text]: 'Damit jeder das bekommt, was er begehrt, ist es für den großen Staat verpflichtend, eine niedrige [Position] anzunehmen [und nicht für den Kleinen]!" [*].
[
62 - Quelle und Zuflucht
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
道者萬物之奧。
dŕo zhě wŕn wů zhī ŕo 。
善人之寶,不善人之所保。
shŕn rén zhī bǎo ,bú shŕn rén zhī suǒ bǎo 。
美言可以市尊。美行可以加人。
měi yán kě yǐ shě zūn 。měi háng kě yǐ jiā rén 。
人之不善,何棄之有。
rén zhī bú shŕn ,hé qě zhī yǒu 。
故立天子、置三公,
gů lě tiān zǐ 、zhě sān gōng ,
雖有拱璧以先駟馬,不如坐進此道。
suī yǒu gǒng bě yǐ xiān sě mǎ ,bú rú zuň jěn cǐ dŕo 。
古之所以貴此道者何。
gǔ zhī suǒ yǐ guě cǐ dŕo zhě hé 。
不曰:求以得,有罪以免邪﹖
bú yuē :qiú yǐ dé ,yǒu zuě yǐ miǎn xié ﹖
故為天下貴。
gů wéi tiān xiŕ guě 。
[ Dŕo: ein Geheimnis, in allen Dingen verborgen, ein Schatz für den Guten, ein Zufluchtsort für die Nicht-Guten, die nicht verlassen werden sollten (Kap. 27).
[ Sogar eine große kostbare Jade-Scheibe (halten Sie, während die Thronbesteigung eines Kaisers und die Installation der 'Drei Minister' nicht in einer sitzenden Position ist, Promotion dieses Dŕo!
[ Deshalb ist es der Inbegriff von Suchen und Finden, Schuld und Vergebung.
01-03:
Das Dŕo – aller Wesen Fluss der Inspiration:
guter Menschen Schatz,
schlechter Menschen Schutz.
01 "Der Weg ist es, der die zehntausend Arten von Entitäten einbezieht. 'Einbeziehen' ist wie 'ausbreiten'. Es ist ein Ausdruck dafür, dass jeder von ihnen den Schutz [des Weges] erreicht." (vgl. Kap. 51). [* Wáng Bě / Wagner].
Hinweis: 奧 ŕo ist
auch die südwestliche Ecke des Hauses, ein Heiligtum für Meditation oder Gebet.
Auch wurde dort Getreide aufbewahrt und die Dame des Hauses schlief hier. Der
Herr des Hauses hielt sich tagsüber im Ostteil auf und wechselte abends zur
Gattin; Symbol für Bedeutsamkeit.
So übersetzten Duyvendak 1954 "The
way for the ten thousand things is like the south-west corner of the house." [p.
133], Ariane
Rump 1979 "tao is the storehouse of all
things." [p. 175].
02-03 "Sie schätzen es, um es zu nutzen. Sie schützen es heißt, dass man seinetwegen unversehrt bleibt." [*].
04-07:
Schöne Worte kann
man
beim Feilschen gebrauchen,
ehrenvolle
Taten kann man
verwenden, andere zu fördern.
Nicht so gute Menschen ...
warum gar ihr Dasein verwerfen?
04 Mit
Freundlichkeit und Diplomatie erreicht man am meisten:
"Wenn
[jemand Gutes] schöne Worte darüber sagt, ist es möglich, mit dem Preis aller
Waren [auf dem Markt] zu übertreffen." [*].
05 "'Wenn jemand in einer geehrten [Position] ihn [den Weg] üben würde, würden [sogar Leute] weiter weg als tausend Meilen auf ihn antworten." [*].
06-07 "Die nicht so Guten müssen den Weg schützen, um [Bestrafung] zu entkommen." [*].
08-12:
Daher: setzte man einen Kaiser
auf den Thron,
beschallte drei Minister,
obzwar hätte man Jadescheiben,
beidhändig zu halten,
damit vorzufahren im Viergespann …
wäre es nicht wie bloß dazusitzen,
voranzubringen dieses Dŕo!
08-09 "Das bedeutet, den Weg in einer geehrten Position zu üben." [*].
Anmerkungen:
卿 qīng Minister
(Hoher Beamter) für
Bildung, Kriegswesen und Wirtschaft [R.
G. Henricks p. 146];
三卿 sān
qīng ("Drei
Minister") "die drei höchsten Räthe des Kaisers": der 'Groß-Führende',
'Groß-Lehrende', 'Groß-Wahrende'.
拱璧 = gǒng bě (Jadescheibe) ursprünglich "rundliche geschliffene blaue Nephritscheibe, welche die hohen Würdenträger, wenn sie mit dem Kaiser redeten, 'mit beiden Händen vorhielten', um ihn nicht anzuathmen." [v. Strauß 1870 p. 279].
10-12 "Den
Kaiser ehrenwert machen und den Ministern Bedeutsamkeit verleihen ... Menschen
mit wertvollen Jadescheiben (so groß, dass man zwei Arme dazu braucht) oder mit
[ihren] vier Pferden vor ihrer [Kutsche] ... "...diese wären noch immer nicht zu
vergleichen mit ihrer "Förderung dieses Weges, indem [sie] bloß [in ihrem
Amtssitz] sitzen." [*].
13-17:
Was war der
Alten Grund,
dieses Dŕo so zu schätzen?
Hieß es nicht:
„Wer sucht, wird finden", (und)
"Wer Schuld trägt, dem wird vergeben"?
Darum gilt es aller Welt als Höchstes.
13 Der Grund, 'warum die Alten diesen Weg schätzten':
14-16 "Sagten
sie nicht: Wenn die Guten durch ihn [den Weg] streben, werden sie ihn erreichen,
während diejenigen [die nicht Guten], die Verbrechen begangen haben,
[Bestrafung] dadurch vermeiden [der Weg]?
[Wenn
die Guten] danach streben, dann erreichen sie, wonach sie streben. Wenn [die
nicht Guten] [Bestrafung] durch ihn [den Weg] vermeiden, schaffen sie es, sie zu
vermeiden." [*];
(und durch nichts anderes wohl).
"Warum verehrten die Alten diesen Tŕo? Nicht, weil er [sic!] durch täglich Suchen gefunden wird und denen, die Schuld haben, vergiebt?" [sic!] [v. Strauß 1870 p. 277].
17 "Es gibt nichts, was es [dieser Weg] nicht bewirkt. Deshalb wird es im 'überall unter dem Himmel' [höchst] geschätzt." [*]. ("Darum wird er von aller Welt geehrt"; s. Kap. 56).
[
63 - Leichtigkeit des Seins
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
為無為,事無事,味無味。
wéi wú wéi ,shě wú shě ,wči wú wči 。
大小多少,報怨以德。
dŕ xiǎo duō shǎo ,bŕo yuŕn yǐ dé 。
圖難於其易,為大於其細。
tú nán yú qí yě ,wéi dŕ yú qí xě 。
天下難事必作於易。
tiān xiŕ nán shě bě zuň yú yě 。
天下大事必作於細。
tiān xiŕ dŕ shě bě zuň yú xě 。
是以聖人終不為大,故能成其大。
shě yǐ shčng rén zhōng bú wéi dŕ ,gů néng chéng qí dŕ 。
夫輕諾必寡信。多易必多難。
fū qīng nuň bě guǎ xěn 。duō yě bě duō nán 。
是以聖人猶難之,故終無難矣。
shě yǐ shčng rén yóu nán zhī ,gů zhōng wú nán yǐ 。
[ Eine
Sammlung von Regeln oder Vorschlägen an den Herrscher beginnt mit der Kernregel,
nicht in natürliche Prozesse einzugreifen.
Es folgen einige als Paradoxie formulierte 'Bewusstmachungen', sowie eine
bemerkenswerte Abkehr vom Vergeltungsgedanken, der noch bei Konfuzius als
'Recht' verbrieft war (Groll mit aufrechter Gesinnung zu vergelten).
[ Der Rat, auf Probleme zuzugehen, wenn sie noch klein sind, da alle Große aus Kleinem entstanden ist, schließt sich in Variationen an.
[ Ohne leichtfertige Versprechungen leisten Weise (Herrscher) fern eigensüchtiger Absichten Großes, erkennen Problematisches frühestmöglich, in statu nascendi, und bleiben daher frei von Problemen. (Kap. 36, 52).
01-05:
Tun
ohne Getue,
Geschäfte ohne Geschäftigkeit;
Geschmack am Geschmacklosen,
Größe im Kleinen, Vieles im Wenigen.
Erwidere Groll mit Innerer Kraft.
01-02 "'Nicht-Einmischung', 'wortlose Lehre' und 'das Gedämpfte und Fade als Genuß nehmen, ist der Inbegriff von [Ordnung] schaffen!'" [* Wáng Bě / Wagner].
03-05 "Wenn es einen kleinen Groll gibt, lohnt es sich nicht, ihn zu erwidern. Wenn es ein großer Groll ist, dann ist es ein Fall, in dem alle Welt die Hinrichtung [des Täters] begehrt. [Sein] einher gehen mit dem, worüber alle Welt zustimmt, ist [gemeint als sein] 'Empfang / Kapazität'." [Dé; *].
"Diejenigen, die Verletzung mit Freundlichkeit vergelten [Teh], verschmelzen auch ihren Geist mit der Welt." (Kap. 49) [Man-jan Cheng / Gibbs, 1971 p. 191. "Der Weise behandelt jeden als seine Kinder." (Kap. 49.13)].
Note: 'Ein kleiner Groll ist noch kein Erwidern wert' ist nur in Wáng Bě's Kommentar, in seinem Zitat des Lǎozĭ sind der kleine und der große Groll erwidert mit Dč!
Lun-yü 14.36: Jemand fragt: "Was soll man von dem Worte halten 'Vergilt Groll mit Tugend'"? Der Meister sagte "Womit sollen wir dann die Tugend vergelten? Vergilt Groll mit aufrechter Gesinnung und Tugend mit Tugend!" [nach Debon].
06-11:
Plane Schwieriges, wenn es noch leicht ist,
tue Großes, wenn es noch klein ist.
Aller Welt schwierige Angelegenheiten
erwachsen gewiss aus Einfachem,
aller Welt große Angelegenheiten
entstehen gewiss aus Kleinem.
06-07 "[Er] macht Pläne gegen [evtl.] Schwierigkeiten, wenn die Dinge noch leicht [zu lösen] sind. Er agiert auf [was schließlich ist] groß ist, solange es noch winzig ist." [*].
08-09 "Weil die Schwierigkeiten in aller
Welt unweigerlich aus leicht lösbaren Problemen erwachsen." [*].
10-11 "Weil die großen Angelegenheiten in aller Welt aus winzig kleinen
herauswachsen." [*].
12-17:
So
bewirken Weise
letztlich nichts Großes,
darum können sie
ihre Größe vollenden.
Denn
leichtfertigen Versprechen finden
unweigerlich wenig Vertrauen,
viel
Leichtfertigkeit erntet
gewiss viele Schwierigkeiten.
Darum
behandeln Weise
Angelegenheiten als problematisch,
deshalb bleiben
sie wohl
letztlich ohne Probleme!
"Wer sich jedoch umgekehrt Übertriebenes vornimmt und dies mit Pathos umzusetzen versucht, wird Gefahr laufen zu scheitern, da er nur schwer aus seinem verstiegenen Idealismus auf den Boden der Realität zurückfindet." [Möller p. 194].
12-13 "Nur indem der Weise nicht auf [Dinge] einwirkt, die schon groß geworden sind, ist am Ende in der Lage, ihre Größe zu vervollständigen. [Ebenso mit den Schwierigkeiten." ... [*].
14-15 "Derjenige, der leicht Versprechungen macht, findet unweigerlich wenig Vertrauen. ... Wer viele Dinge leicht nimmt, wird unweigerlich viele Schwierigkeiten haben." [*].
16-17 "Darum behandelt der Weise sogar [leichte Probleme] als Schwierigkeiten. [Dito bzgl. Vertrauen.]." [*].
[
64 - Erste Schritte zur Vollendung
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
其安易持,其未兆易謀。
qí ān yě chí ,qí wči zhŕo yě móu 。
其脆易泮,其微易散。
qí cuě yě pŕn ,qí wēi yě sŕn 。
為之於未有,治之於未亂。
wéi zhī yú wči yǒu ,zhě zhī yú wči luŕn 。
合抱之木生於毫末。
hé bŕo zhī mů shēng yú háo mň 。
九層之台起於累土。
jiǔ céng zhī tái qǐ yú lči tǔ 。
千里之行始於足下。
qiān lǐ zhī háng shǐ yú zú xiŕ 。
為者敗之,執者失之。
wéi zhě bŕi zhī ,zhí zhě shī zhī 。
是以聖人無為故無敗,無執故無失。
shě yǐ shčng rén wú wéi gů wú bŕi ,wú zhí gů wú shī 。
民之從事常於幾成而敗之。
mín zhī cóng shě cháng yú jǐ chéng ér bŕi zhī 。
慎終如始則無敗事。
shčn zhōng rú shǐ zé wú bŕi shě 。
是以聖人欲不欲,不貴難得之貨。
shě yǐ shčng rén yů bú yů ,bú guě nán dé zhī huň 。
學不學,復眾人之所過,
xué bú xué ,fů zhňng rén zhī suǒ guň ,
以輔萬物之自然而不敢為。
yǐ fǔ wŕn wů zhī zě rán ér bú gǎn wéi 。
Weitere Verhaltensregeln, auch für den Herrscher, schließen sich an Kap. 63 an: Kontrolle über weltliches Geschehen durch 'strategische Nicht-Intervention' (s. ch. 02, 16).
"Der Weise [Herrscher] handelt, indem er nicht handelt, lernt das Nichtlernen,
strebt an, nichts anzustreben.
Gelingt ihm die Reduktion auf das naturgemäss Notwendige, fällt es ihm leicht,
den Verlauf der Dinge zu steuern, ohne in ihn einzugreifen, denn er befindet
sich im Einklang mit ihm und scheut vor Unbeherrschbarem zurück." [Kalinke
p. 128].
01-06:
Was ruhig ist,
ist leicht zu halten,
was noch keine Vorzeichen hat,
ist leicht zu verhüten.
Das Brüchige ist leicht zerbrochen,
das Winzige leicht aufgelöst.
Behandle Angelegenheiten,
solange sie noch
nicht da sind,
sie regle
sie,
solange sie noch
nicht in Unordnung sind.
"Alle Anfänge sind unmerklich und gering,
die des Schlimmen sowol [sic!] als die des Guten, und jene werden hier zuerst
betrachtet.
Solange nur erst noch die Vorbedingungen des Bösen vorhanden sind, es selbst
ein Ruhendes, noch nicht Erregtes, und so ist es noch leicht zu handhaben, zu
halten. Es ist wie ein Samenkorn, dem man die Möglichkeiten des Keimens
entzieht." [** v. Strauß 1870 p. 287].
01-02 Solange
sicher, einfach zu warten; keine Anzeichen von Gefahr, 'leicht Vorsorge zu
treffen gegen':
"Weil [der Weise Herrscher, wie Xici
8.5.a3ff. über
den Ehrenmann in einem Zitat von Konfuzius sagt]
'während er in Sicherheit ist [in seiner Position]' ...
'vergisst er nicht die [Drohung von] Gefahr' und [so] behält diese [Sicherheit]
bei, und während er noch "existiert" ...
"vergisst [die Bedrohung durch seinen kör-perlichen] Untergang nicht, und
trifft [daher] Vorkehrungen gegen diese [Gefahr und Untergang] in einer
Situation, in der [noch] keine Anstrengung nötig ist. [*Wáng
Bě / Wagner].
03-04 "Obwohl
[diese Bedrohungen] aus der Nicht-Existenz ins Dasein geraten sind, berechtigen
sie, da sie "weich" und "winzig" sind, noch immer nicht einen großen Aufwand."
Vier Erklärungen, so weit, für eine 'sorgfältige Betrachtung des Ergebnisses'
von kleinen Anfängen ... [*].
05-06 Behandle Dinge, während sie noch 'sicher' sind und 'keine Anzeichen von Gefahr' existieren ... wenn Störungen 'noch winzig und weich' sind.
07-12:
Ein nur zusammen umgreifbarer Baum
erwuchs aus haarfeinem Sprössling;
ein neunstöckiger Turm
erhob sich aus einem Häufchen Erde;
eine Reise von tausend Meilen ...
beginnt stets da unten zu deinen Füßen.
"Man sollte 'mit einem sorgfältigen Blick auf das Ergebnis' [sogar] winzige [Drohungen] eliminieren und mit einem sorgfältigen Blick auf das Winzigkleine [drohendes] Chaos beseitigen." [*]:
07-08 "Ein Baum, der nur mit beiden Armen umfasst werden kann, wächst aus einem winzigen Trieb hervor." [*].
09-10 "Eine
neunstöckige Terrasse wird mit einer Handvoll Erde begonnen." [*].
Neun als magische Zahl: Neun Stufen des Himmels, neun Ministerien, 'Neun
Gesänge' (Schamananlieder, s. Waley, "Nine
songs: a study of shamanism in ancient China");
Neunstöckige Türme oder Terrassen als
Symbol des neunschichtigen Himmels (Himmelsnähe des Herrschers!) [nach Schwarz,
p. 203-204].
11-12 "Ein Marsch von tausend Meilen beginnt unter
dem Fuß [wo
man bleibt]." [*].
Gewöhnlich übersetzt als 'mit einem ersten Schritt', doch korrekt: 'Fuß-Unteres'
= 'unter-Fuß' (was unter dem Fuß ist).
"In der neueren Umgangssprache ist 足下 zú
xiŕ ein
Höflichkeitsausdruck statt des Pronomens der zweiten Person." [**].
"Drei Gleichnisse zu Entstehung des Großen aus Kleinem:
[ das erste (zeigt) den organischen Wachsthum aus zartestem Keime durch stetige Selbstausdehnung,
[ das zweite das Zunehmen aus kleinem Anfange durch fortwährenden äusseres Hinzukommen,
[ das dritte das Grosswerden durch dauernde Wiederholung des Anfanges ...". [**].
13-16:
Eingreifende
zerstören andere Wesen,
Festhaltende verlieren sie.
Darum greifen
Weise nicht ein,
somit ohne sie zu zerstören,
halten nichts fest,
somit ohne sie zu verlieren.
13-14 "Wenn
sie [andere Wesenheiten] auf Hindrängen und Intervention zur Ordnung gebracht
werden, schafft man umgekehrt Ursachen für [Regierungs-] Aktionen ...
Wenn sie [die anderen Wesen] sich an [ihre] Formen und Namen klammern, werden
List und Perversion reichlich sprießen." [*].
15-16 Kein Eingreifen, kein Zerstören; kein Festhalten, kein Verlieren ...!
17-19:
Die Leute
verfolgen ihre Angelegenheiten
häufig bis kurz vor Ende,
und verderben sie doch noch.
Darum sei behutsam
zu Ende wie zu Beginn:
Dann ohne Angelegenheiten zu verderben.
17 "...
wenn die Leute ihren Geschäften nachgehen, zerstören sie jene [die anderen
Wesenheiten] stets, wenn sie im Begriff sind, ihre Geschäfte abzuschließen ...
Das heißt, sie [die Leute] achten nicht sorgfältig auf die [eventuellen]
Ergebnisse.'" [*].
18-19 "[Nur] wenn man sorgfältig das schließliche Ergebnis als die [äußerste Entwicklung eines kleinen] Anfanges betrachtet, wird es kein Versagen in den Handlungen geben." [*].
20-22:
Darum begehren Weise,
nicht zu begehren,
schätzen keine schwer
zu erlangenden Güter;
sie lernen,
nicht wie andre zu lernen:
sie kehren dahin zurück,
wo die meisten achtlos vorbeigehen.
So fördern sie
die natürliche Entfaltung aller Wesen,
wagen aber nicht, einzugreifen.
20 Keine
Wünsche, keine hohen Wertschätzung für Waren, die schwer zu bekommen sind!
"Selbst wenn Waren [in seinen Händen], die schwer zu bekommen sind, [nur]
winzig sind, werden Gier und Raub von ihnen hervorgerufen."
21 Er studiert nicht nur das Studium, um den Überfluß der Menschen in der Menge zu beseitigen. [*].
22 "(Der
heilige Mensch:) ... allen Wesen verhilft zu ihrer Freiheit, und doch nicht wagt
zu thun...
Allen Wesen verhilft er so zu ihrem 'von selbst so', d.i. zu ihrer Freiheit
oder Selbständigkeit; denn nichts anderes ist es, wenn Jemand so, wie er ist,
von selbst ist." [v.
Strauß, 1870 p. 290].
[
65 Schlichte Natürlichkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
古之善為道者,非以明民,將以愚之。
gǔ zhī shŕn wéi dŕo zhě ,fēi yǐ míng mín ,jiāng yǐ yú zhī 。
民之難治,以其智多。
mín zhī nán zhě ,yǐ qí zhě duō 。
故以智治國,國之賊。
gů yǐ zhě zhě guó ,guó zhī zéi 。
不以智治國,國之福。
bú yǐ zhě zhě guó ,guó zhī fú 。
知此兩者,亦稽式。
zhī cǐ liǎng zhě ,yě jī shě 。
常知稽式,是謂玄德。
cháng zhī jī shě ,shě wči xuán dé 。
玄德深矣、遠矣!與物反矣。
xuán dé shēn yǐ 、yuǎn yǐ !yǔ wů fǎn yǐ 。
然後乃至大順。
rán hňu nǎi zhě dŕ shůn 。
Erkennt er [Lǎozĭ] ... "dass die Betonung, die Konfuzius auf Kenntnisse und Weisheit legt, auch ihre Schattenseite hat?" [Henricks 1989 p. 153].
"Schlichte Einfalt und Unverfälschtheit des Herrschers und der Bevölkerung wäre eine erstrebenswerte Konkretion von Dŕo, wäre Dé, das infolge seines Rückbezuges auf Dŕo die Große Harmonie herstellte." [Simon p. 204].
"Da unter dem Regieren wiederum das gut und heilsam Regieren verstanden wird, so ist die Meinung, eine Regierung könne nicht leicht das Volk glücklich machen, wenn bei demselben die einseitige, dem Ethischen abgewandte Verstandesbildung vorherrscht, welche, weil hier immer nur von dem Durchschnittsverstande die Rede seyn kann, notwendig die Selbstüberhebung der Seichtigkeit, Unzufriedenheit, Unredlichkeit zur Folge hat." [** v. Strauß 1870].
"Dieses Kapitel ist ein Beispiel der normativen Anwendung der Daoistischen Naturkosmologie im Streben nach einer anarchistischen politischen Ordnung. Es ist auch ein gutes Beispiel, wie der Daoismus eine Epistemologie des unmittelbaren Gefühls mit sich bringt." [Ames & Hall p. 180] (vgl. Kap. 03, 57; 18, 19, 20, 33, 47, 48, 59).
01-05:
Die Alten,
welche das Dŕo noch wohlpraktizierten,
nutzten es nicht etwa, um Leute aufzuklären,
sondern
wollten sie dadurch
schlicht halten.
Denn ein Volk ist schwierig zu leiten,
nutzt es seine Gerissenheit zu viel ...
01-03 Gegen
die konfuzianische Idee der Wissensvermittlung als 'Aufklärung', richtet
Lǎozĭ
den Blick auf die natürliche Erhaltung des Volkes:
'Gut
auf dem Weg', die Alten haben die Leute nicht 'erleuchtet': 'List und Betrug
zeigten sie [ihnen]'; 'Einfachheit zu bewahren': Sie nicht raffiniert zu machen,
'das wahre Wesen zu bewahren'. [*
Wáng Bě / Wagner].
04-05 Nicht
ausgeklügelte Intellektualität, sondern in die Natur eingebettete Klugheit im
Umgang mit den natürlich Ressourcen in sich selbst und in der Umwelt führen zu
Weisheit des Herrschers und unverdorbener Schlichtheit des Volkes:
"Mit der Zunahme ihrer Intelligenz [kommen] List und Betrug [auf], deshalb sind
sie 'schwer in Ordnung zu halten'". [*].
治 zhě regieren & 智 zhě Schläue bieten Lǎozĭ hier ein weiteres Beispiel seiner Wortspiele (gleicher Klang, unterschiedliche Schriftzeichen)!
06-09:
Einen Staat
mittels Gerissenheit zu regieren,
ist daher des Landes Ruin,
Gerissenheit nicht zum Regieren zu nutzen,
des Landes Segen.
06-09 "'Intelligenz' ist gleichsam ein Trick. [Wie Lǎozĭ in 65.2 sagte:]
[ 'Dass Menschen schwer in Ordnung zu halten sind, liegt an ihrer gestiegenen Intelligenz." [*].
[ Besser "die Zugänge der Leute verstopfen" und "ihre Türen versperren" (Kap. 52), um sie ohne Wissen und Wünsche zu erreichen (Kap. 03).
[ Wenn
ein Herrscher Intelligenz und Tricks benutzt, um die Leute zu bewegen: "was
wirklich bewegt wird, werden ihre verdorbenen Herzen sein".
Nutzt er Intelligenz und
Tricks, zu versperren, werden die Leute die Tricks 'durchkreuzen und ihnen
ausweichen'.
Gerissenere Gerätschaften lassen Lüge und Betrug aufkeimen.
10-13:
Man sollte diese beiden kennen,
auch als bewährte Vorbilder.
Beständig erprobte Vorbilder zu kennen
bedeutet Mystische Innere Kraft.
10-11 "Das gemeinsame Modell für alte und neue Zeiten kann nicht verschwinden [Wáng Bě zu Lǎozĭ 22.6 und zu Lǎozĭ 28.2].
12-13 "Um
als Herrscher diese allgemeinen Regeln kennen zu können, nenne ich "die
Fähigkeit, die kommt aus 'dem-was-dunkel-ist'". [*].
14-16:
Mystische
Innere Kraft ist tiefgreifend
und weitreichend,
in der Tat!
Sie bietet den Geschöpfen eine Rückkehr an:
so endlich dann erlangen sie Große Harmonie!
14 Die Fähigkeit, die aus Dem-was-Dunkel-ist kommt, ist tief, ist fern." [*].
15-16 "Er wird den anderen Wesen eine Rückkehr bieten: Eine Rückkehr zu ihrer wahren [Essenz] und sie werden zur Großen Anpassung [auf dem Weg] gelangen."
[
66 - Führen von unten
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
江海之所以能為百谷王者,
jiāng hǎi zhī suǒ yǐ néng wéi bǎi gǔ wáng zhě ,
以其善下之,故能為百谷王。
yǐ qí shŕn xiŕ zhī ,gů néng wéi bǎi gǔ wáng 。
是以聖人欲上民,必以言下之。
shě yǐ shčng rén yů shŕng mín ,bě yǐ yán xiŕ zhī 。
欲先民,必以身後之。
yů xiān mín ,bě yǐ shēn hňu zhī 。
是以聖人處上而民不重,處前而民不害。
shě yǐ shčng rén chů shŕng ér mín bú zhňng ,chů qián ér mín bú hŕi 。
是以天下樂推而不厭。
shě yǐ tiān xiŕ lč tuī ér bú yŕn 。
以其不爭,故天下莫能與之爭。
yǐ qí bú zhēng ,gů tiān xiŕ mň néng yǔ zhī zhēng 。
Kap. 66 ist eines der beiden Kapitel (& Kap. 31) ohne Kommentar von Wáng Bě 王弼.
In weiteren Ratschlägen an den Herrscher spricht sich
Lǎozĭ
gegen Konkurrenz
und Kampf aus, denn Konkurrenzverhalten zwingt natürlichen Abläufen in
aggressiver und destruktiver Weise einen fremden Willen auf. [vgl. Hsu
1976 p. 305].
Ein weiser Herrscher nimmt dem Volk gegenüber ohne eigenen Ziele eine demütige
Haltung ein.
"Er übt den Willen der Bevölkerung aus, ohne dass seine Macht spürbar wäre." [Simon
p. 206].
(vgl. Kap. 08-10, 13, 17, 22, 28, 35, 51, 59, 76-78, 81).
01-03:
Weshalb können Ströme und Meere als
Könige der aberhundert Täler gelten?
Weil sie sich vortrefflich unter sie begeben,
darum können
sie als Könige
der aberhundert Täler wirken.
01-03 "Ströme
und Meere, wodurch sie vermögen, der hundert Flüsse König zu seyn, ist, dass sie
gut sich ihnen unterthun. Darum vermögen sie der hundert Flüsse Könige zu
seyn...
Alle Gewässer eilen gehorsam Strömen und Meeren zu und erkennen sie willig als
ihre Gebieter, aber nur darum, weil diese, obwol [sic!] sie die Grösseren und
Mächtigeren sind, sich nicht über sie erheben, vielmehr in trefflicher Weise
sich unter sie erniedrigen.
'Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöhet werden', hier auf die höchsten
Personen im Reich angewandt." [** v.
Strauß 1870 p. 295].
04-05:
Darum: wünschen sich Weise über dem Volk,
sicher stellen sie sich
ausdrücklich unter es,
wünschen sie sich vor dem Volk,
gewiss stellen
sie sich hinter es.
04-05 "Daher
der heilige Mensch, wünscht er über dem Volke zu seyn, muss mit dem Worte sich
ihm unterthun; wünscht er dem Volke voranzugehn, muss mit der Person sich ihm
nachsetzen.
'Mit der Person', so zeigt diess, dass der heilige Mensch nicht bloss im Reden,
sondern auch in seinem thatsächlichen Verhalten seine Person und seine
persönlichen Interessen dem Volke, d.i. den Interessen der Gesammtheit nachsetze
und unter-ordne." [**].
06-10:
Daher: stehen Weise oben,
ist
das Volk doch unbeschwert;
stehen sie bevor,
bleibt das Volk doch unbeschädigt.
Deshalb
unterstützt alle Welt sie freudig
und wird ihrer nicht überdrüssig.
Weil sie nicht wettstreiten,
darum kann weltweit niemand
mit ihnen streiten.
06-07 "Daher
der heilige Mensch oben bleibt und das Volk ist unbeschwert, voran bleibt und
das Volk ist unbeschädigt.
Weil der heilige Herrscher in Wort und Wirklichkeit sich selbst dem Volke
nachordnet, wie er muss, um den Zweck seiner Stellung zu erfüllen, so bleibt er
oben, ohne dass er dem Volke dadurch schwer, lästig, drückend wäre; er bleibt
voran, ohne dass es beschädigt, verletzt wird; denn seine Worte wie sein
Verhalten bezeugen, dass die Sorge für das Wol [sic!] des Volkes ihm über alle
persönlichen Anliegen gehe." [**].
08 "Daher alle Welt sich freut ihm zu gehorchen und es nicht müde wird." [**].
09-10 "Weil er nicht streitet, drum vermag Keiner in der Welt mit ihm zu streiten." [**].
______________________
"Weit davon entfernt, nur passive Spieler zu sein, die in der
aufkommenden Ordnung herumge-schubst werden, koordinieren beide, Weise und
Meere, aktiv das massive Energiequantum, das ihnen von ihren Bestandteilen
zufließt, und maximieren ihre Zirkulation zum Vorteil von allen. Die Ströme und
die gewöhnlichen Leute verschieben sich glücklich zu ihren Koordinatoren.
Was den Beitrag sowohl der Wasserstraßen als auch der Weisen auszeichnet, ist,
dass sie in der Lage sind, so effektiv zu sein, wie sie es sind, weil sie eher
Ausgleich als Zwang als Grundlage für die Organisation ihrer Welten nutzen." [Ames
& Hall p. 182].
[
67 - Die drei Schätze
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
天下皆謂我道大似不肖。
tiān xiŕ jiē wči wǒ dŕo dŕ sě bú xiāo 。
夫唯大故似不肖。
fū wéi dŕ gů sě bú xiāo 。
若肖,久矣!其細也夫。
ruň xiāo ,jiǔ yǐ !qí xě yě fū 。
我有三寶持而保之:
wǒ yǒu sān bǎo chí ér bǎo zhī :
一曰慈, 二曰儉,三曰不敢為天下先。
yī yuē cí , čr yuē jiǎn ,sān yuē bú gǎn wéi tiān xiŕ xiān 。
慈故能勇,儉故能廣,
cí gů néng yǒng ,jiǎn gů néng guǎng ,
不敢為天下先故能成器長。
bú gǎn wéi tiān xiŕ xiān gů néng chéng qě zhǎng 。
今舍慈且勇,舍儉且廣,舍後且先,
jīn shě cí qiě yǒng ,shě jiǎn qiě guǎng ,shě hňu qiě xiān ,
死矣!夫慈以戰則勝,以守則固。
sǐ yǐ !fū cí yǐ zhŕn zé shčng ,yǐ shǒu zé gů 。
天將救之以慈衛之。
tiān jiāng jiů zhī yǐ cí wči zhī 。
[ Dieses Kapitel gilt als Schlüssel der dŕoistischen Ethik. [Ellen Chen 1989 p. 208].
[ Dŕo konkretisiert sich in den 'Drei Schätzen' Mitgefühl, Genügsamkeit und Bescheidenheit.
[ 慈 cí Mitgefühl wird gebildet aus dem Zeichen für Herz 心 xīn und einem phonetischen Anteil 兹, überdies kommentiert mit 愛 ŕi Liebe. Die Bedeutung hier in Kap. 67 entspricht am ehesten dem Mitgefühl, aber auch adjektivisch zu: sanft, barmherzig, freundlich, human.
01-07:
Alle Welt nennt mein Dŕo groß,
anscheinend unvergleichlich;
wahrlich, nur deshalb groß, weil
anscheinend unvergleichlich.
Wenn es vergleichbar wäre,
schon längst
wäre es wohl auch unbedeutend.
01-07 "Es
wäre schon vor sehr langer Zeit unbedeutend geworden, als hätte [der Text]
gesagt, dass 'seine bevorstehende Unbedeutendheit vor langer Zeit geschehen
wäre'.
Wäre [meine Größe [vergleichbar], dann würde sie das verlieren, wodurch sie
großartig ist. Darum sagt [der Text]:
'Wäre es vergleichbar [mit irgendetwas, was andere für groß erachten], wäre es
schon längst unbedeutend geworden.''' [* Wáng Bě /
Wagner].
08-12:
Drei Schätze besitze ich,
zu bewahren und ehren:
der erste heißt Mitgefühl,
der zweite Genügsamkeit,
der dritte: "Nicht dreist zu
handeln
allen voran" (Bescheidenheit).
08-09 Der erste Schatz ("Kleinod") ist Mitgefühl, der zweite ist Genügsamkeit, der dritte ist ein Satz, der Bescheidenheit paraphrasiert:
[ Mitgefühl oder Barmherzigkeit, herabsteigende Liebe wie Eltern-Kind, Mitleid, Gütigkeit;
[ Genügsamkeit oder Sparsamkeit;
[ Bescheidenheit oder Demut ('nicht wagen, allen voran zu sein').
10 "Es
ist eine Tatsache, dass es aufgrund [meines] Mitgefühls ist, dass [ich] in der
Lage bin, tapfer zu sein;
[Wie Lǎozĭ
in 67.6 und 67.7 sagt]
"Es ist eine Tatsache, dass man in Bezug auf Mitgefühl nur gewinnen wird, wenn
man in [offener] Schlacht daran festhält, und man wird [nur] sicher sein,
wenn man in der Verteidigung [einer Stadt] daran festhält. Darum [bin ich]
fähig, tapfer zu sein." [*].
11 "Es
ist wegen [meiner] Genügsamkeit, dass [ich] in der Lage [bin], großzügig zu
sein;
[Wenn ich als Herrscher] Sparsamkeit zur Regel mache und verschwenderische
Ausgaben kürze, wird alle Welt nicht bedürftig sein. Darum kann ich großzügig
sein." [*].
12 "Es
liegt daran, dass [ich] es nicht gewagt habe, zu kommen, in aller Welt
Vordergrund zu treten, dass [ich] Werkzeug für [alle Welt] vervollkommnen und
der Führer sein kann.
Es ist nur als eine Folge von [des Weisen], "seine eigene Person in den
Hintergrund zu stellen" und "seine eigene Person zu ignorieren" (wie Lǎozĭ
in 7.2 sagt)
und zu dem zu werden, zu dem die anderen Entitäten Respekt erweisen, dass er in
der Tat in der Lage ist, "Instrumente zum Wohle aller unter dem Himmel" zu
etablieren und zu vervollständigen" [wie das Xici
7.9b.8ff. besagt über den Weisen] und um
der Führer unter den Wesen zu sein." [*].
13-15:
Mit Mitgefühl,
so kann ich beherzt sein,
mit Genügsamkeit
so
kann ich hochherzig sein,
"Nicht dreist zu handeln
allen voran"
(Bescheidenheit) –
so kann ich meine Möglichkeiten
vollenden und sie leiten.
13 Mitgefühl 慈 cí mit dem inhaltlichen Zeichen für Herz 心 xīn lässt entsprechend beherzt (tapfer, mutig) sein, analog französisch courageux (coeur!), engl. courageous.
14 Genügsamkeit lässt freigebig, großzügig sein, ein hohes Herz besitzen.
15 "Gerade weil ich mich scheute, im Reichsregiment den ersten Platz einzunehmen, kann ich es fertig bringen, unter den begabten Menschen der Erste zu seyn." [** v. Strauß 1870 p. 301].
16-21:
Heutzutage
verschmäht man Mitgefühl
und möchte obendrein beherzt sein,
verschmäht man Genügsamkeit
und möchte
obendrein hochherzig sein,
verschmäht zurückzustehen
und möchte obendrein voran sein –
wohl tödlich!
Denn Mitgefühl,
im Kampf
befolgt,
wird folglich obsiegen,
in der Verteidigung befolgt,
wird
es folglich widerstehen.
16 "Heutzutage
... legen Herrscher ihr Mitgefühl ab 'und doch' [erstreben sie,] tapfer [zu
sein],
'und doch' [erstreben tapfer zu sein], 'ist wie 'ergattern' [tapfer zu sein]." [*].
17 "Legen sie ihre Genügsamkeit ab und [bemühen sich] dennoch, großzügig zu sein, legen ab ihr Verbleiben im Hintergrund und dennoch [erstreben sie] im Vordergrund zu sein ..." [*].
18-19 Unfähigkeit zur Demut und zugleich hohe Ambition: ein 'tödlicher 死 sǐ Cocktail'!
20-21 [Das
ist so, weil] es eine Tatsache ist, dass bezüglich des Mitgefühls man [nur]
gewinnen wird, wenn man in [offenem] Kampf daran festhält.
Und
man wird [nur] sicher sein, wenn man in der Verteidigung [einer Stadt] daran
festhält [*].
22-23:
Doch wem der Himmel Rettung
weist,
den schützt er durch der Liebe Geist!
22-23 Wen der Himmel retten will, den wird durch Mitgefühl bewachen. [Das Gleiche gilt für Genügsamkeit und es nicht wagen, in den Vordergrund zu treten.]" [*].
Die ursprüngliche Bedeutung 'Weg' war nicht allzu lange vor Lǎozĭ zum umfassenden Begriff des 'Dŕo' 道 erweitert worden.
莊子 Zhuāng
zǐ behandelt
in Kap. 6 die räumliche und zeitliche
Unbegrenztheit des vollkommenen Menschen, der eins geworden ist mit Dŕo:
"Wohl vermag man vorteilhaft Kleines im Großen verstecken, und doch besteht
immer die Gefahr, dass es einem entschlüpft. Wenn man aber das Universum
im Universum versteckt, so wird es nimmer entschlüpfen."
[
68 - Wahre Führerschaft
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
善為士者不武。
shŕn wéi shě zhě bú wǔ 。
善戰者不怒。
shŕn zhŕn zhě bú nů 。
善勝敵者不與。
shŕn shčng dí zhě bú yǔ 。
善用人者為之下。
shŕn yňng rén zhě wéi zhī xiŕ 。
是謂不爭之德。
shě wči bú zhēng zhī dé 。
是謂用人之力。
shě wči yňng rén zhī lě 。
是謂配天古之極。
shě wči pči tiān gǔ zhī jí 。
Der frühe Daoismus nimmt eine quasi-pazifistische Haltung mit
dem (Natur-)Recht auf Verteidigung, jedoch wenn möglich ohne Blutvergießen,
nicht martialisch und leidenschaftlich, sondern 'mit Menschenliebe und Tugend'.
Im Umgang mit Untergebenen zeigt der weise Herrscher wahre Führungsstärke
durch Innere Kraft, als quasi 'oberster Untertan' und erster Diener des
Staates.
"So sei verflucht der Krieg, verflucht das Werk der Waffen!
Es hat der Weise nichts mit ihrem Wahn zu schaffen.
Er wird die Waffe nur als letzte Rettung schwingen,
um durch den Tod der Welt das Leben zu erzwingen."
[Li Tai-bo, 701-762 / Klabund, 'Tränen und Rosen', 1965
p. 30].
01-04:
Gute Anführer sind nicht kriegerisch,
gute Kämpfer nicht wutentbrannt,
gute Feindbezwinger nicht im Gefecht,
gute Vorgesetzte handeln wie untertan.
Fern jeder Bereitschaft zum Angriffskrieg kann doch ein
notwendiger Verteidigungsfall gegen Angreifer erfordern,
anzuführen, zu kämpfen und zu obsiegen.
Ein sittlich gereifter Heerführer liebt nicht das Aufsuchen einer Schlacht, ist
nicht durch leidenschaftlichen Zorn unkontrolliert, 'nähert sich mit Menschenliebe,
entfernt sich mit Tugend, bringt die Feinde möglichst ohne Blutvergießen zur
freiwilligen Aufgabe' [nach Héshŕng
Gōng 河上公].
01-04 "'Officer' ist ein Kommandeur von Soldaten.
[ 'Martialisch' zu sein heißt, es zu schätzen, im Vordergrund zu stehen und andere zu unterdrücken.
[ Sie hielten ihre eigenen Personen im Hintergrund [wie die Weisen nach Lǎozĭ 7.2] und standen nicht [im Vordergrund], sie fielen ein, besangen aber nicht die Führung [wie laut Wang Bi auf Lǎozĭ 10.5], die Henne, deren Haltung der Weise nachahmt].
[ [Das ist so, weil] "(gegen) den, der gut ist im Besiegen, greifen Feinde nicht an." Das heißt, beteilige dich nicht im Kämpfen!
[ Wer gut von anderen Gebrauch zu machen weiß, begibt sich unter sie." [* Wáng Bě / Wagner].
05-08:
Dies heißt des
Nicht-Wettstreitens Innere Kraft,
und meint der Vorgesetzten Führungskraft.
Dies meint dem Himmel ähneln:
im Altertum das Höchste!
"Hier zeigt sich, dass das
Tüchtigseyn zum Nicht-streiten – worin
das 'Nicht-kriegerisch seyn, sich nicht erzürnen' gipfelte – als sittlich
gemeint war, da es nun als Tugend bezeichnet
wird.
'Das heißt des Menschen-Gebrauchens Kraft'". [** v.
Strauß 1870 p. 304].
05-06 "Dieses
[nicht angreifen im Kampf] nenne ich die Fähigkeit, nicht zu kämpfen.
Dieses [sich mindern als Offizier unter seinen Männern] nenne ich von der
Stärke der anderen Gebrauch machen.
Würde er andere benutzte, aber sich nicht unter sie minderte, dann würde [ihre
volle] Kraft nicht benutzt werden. [*;
s. p. 490].
07-08 "Diese [zwei Fähigkeiten] nenne ich sich dem Himmel angleichen. Sie sind die höchste [Leistung] der Antike." [*].
Die
wahre Kraft, Menschen zu verwenden, liegt im eigenen Dienen als 'oberstem
Untertan'!
„Un
prince est le premier serviteur et le premier magistrat de l’Etat. – Ein
Fürst ist der erste Diener und der erste Magistrat des Staates." (Friedrich
der Große).
[
69 - Siegreicher Rückzug
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
用兵有言:吾不敢為主而為客。
yňng bīng yǒu yán :wú bú gǎn wéi zhǔ ér wéi kč 。
不敢進寸而退尺。
bú gǎn jěn cůn ér tuě chǐ 。
是謂行無行。
shě wči háng wú háng 。
攘無臂。扔無敵。執無兵。
rǎng wú bě 。rēng wú dí 。zhí wú bīng 。
禍莫大於輕敵。
huň mň dŕ yú qīng dí 。
輕敵幾喪吾寶。
qīng dí jǐ sŕng wú bǎo 。
故抗兵相加哀者勝矣。
gů kŕng bīng xiŕng jiā āi zhě shčng yǐ 。
In der Zeit der "Streitenden Reiche" (481-221 B.C.), überträgt
Lǎozĭ
die Prinzipien der
Bescheidenheit und Genügsamkeit auf militärisches Handeln, falls es trotz
grundsätzlich pazifistischer Orientierung im Sinne der ultima ratio zur
Verteidigung nötig ist.
"Lǎozĭ
verabscheute den
Militarismus seiner Zeit." [Héshŕng
Gōng 河上公
/ Erkes 1958 p. 119, 235].
01-05:
Zum Waffengebrauch gibt
es Merksprüche:
„Ich wage nicht, als Hausherr zu handeln,
sondern wirke lieber als Gast".
"Nicht wag' ich, einen Zoll vorzustoßen,
ich weiche vielmehr einen Fuß zurück."
01-05 "Diejenigen, die wirklich verstehen, wie man Soldaten benutzt, haben zu viele Sprüche, die lauten: 'Ich wage es nicht, den Meister zu spielen, sondern als Gast zu handeln; ich wage es nicht, einen Zoll vorzudringen, sondern ziehe einen Fuß zurück'." [* Wáng Bě / Wagner].
"Ich nöthige Niemand zur Schlacht, nöthigt er aber mich, so bin ich bereits, obgleich auch dann noch zaudernd." [** v. Strauß 1870 p.306].
06-09:
Das heißt:
"Vorankommen ohne vorzugehen,
zurückwerfen ohne Arme,
niederwerfen ohne anzugreifen,
gefangennehmen ohne Waffen."
06-09 Getragen
von Menschlichkeit sogar im Kampf, wird die sittliche Überlegenheit mehr als
alle Waffen den rücksichtslosen, wutschnaubenden Kämpfer überwinden.
Beachtliche 'Poetische Paradoxie' der vier Zeilen!
"Dies
nenne [ich] marschiere auf einem Nicht-Marsch, die Ärmel aufrollen auf
dem Nicht-Arm, die Nicht-Waffe ergreifen und den Nicht-Feind zurückwerfen.
"'Marschieren' bezieht sich auf das Marschieren in einer Schlacht. Das
bedeutet: Wenn man [als Kommandeur] das Kriegswesen mit bescheidenem Vorbehalt,
Mitleid und Erbarmen ausübt als auch [der Einstellung], es nicht zu wagen, sich
über andere Wesen zu stellen [, dies sind
die 'Drei
Schätze'
des Weisen in Lǎozĭ
67,
nämlich Genügsamkeit, Mitgefühl und es nicht wagen, in aller Welt in den
Vordergrund zu treten], dann ist das wie 'Nicht-Marsch,
die Ärmel aufrollen auf dem Nicht-Arm, die Nicht-Waffe ergreifen und
den Nicht-Feind zurückwerfen',
was bedeutet, dass es nichts gibt, so jemandem Widerstand entgegensetzten." [*].
10-13:
Kein
Verhängnis ist größer
als Gegner zu leicht zu nehmen;
Gegner zu unterschätzen
verliert beinahe meine drei Schätze.
Darum: wenn kämpfende
Kräfte
aufeinander stoßen,
obsiegt, wer Bedauern empfindet.
10-11 Wer leichtfertig (Kap. 26) angreift, dabei den Gegner unterschätzt, schädigt sich selbst. Das umsichtige Zögern des guten Menschen hat, als eine der Drei Kostbarkeiten (Kap. 67), Mitgefühl im Sinne barmherziger Liebe zur Ursache (Kap. 30 + 31).
"Auf lange Sicht bleibt nicht die rohe Kraft Sieger, sondern jener Staat, der zum Kampf erst als letzte Mittel greift und diesen nur schweren Herzens antritt, der also rundherum eine weitsichtige und durchdachte Politik betreibt." [Braunsperger p. 210].
Dass der Barmherzigere aber obsiegen wird, hat sogar Shakespeare sagen lassen: "Wenn Milde und Grausamkeit um ein Königreich spielen, so wird der gelindeste Spieler am ersten gewinnen." [Henry V].
"[Ein anderer ihrer Sprüche ist]:
[ 'Es gibt kein größeres Unglück, als keine Feinde zu haben. Ohne Feinde zu sein, wäre ungefähr gleichbedeutend mit dem Untergang meiner [des weisen Kommandanten] Schätze.'
[ "Das bedeutet: Ich übe Mitleid und Erbarmen sowie bescheidene Zurückhaltung, und ich begehre nicht, Gewalt [-Herrschaft] aufzuerlegen [wie Lǎozĭ in Kap. 30.4 sagt über "jemanden, der darin gut ist (Truppen zu verwenden)" und "der nur (Dinge) erledigt bekommt"] [*] [um zu dem Punkt zu gelangen, dass] es keinen Feind [von mir] in aller Welt gibt.
[ [Wenn es unbeabsichtigt irgendwann zu dem Punkt kommen sollte, dass kein Feind mehr übriggeblieben ist], würde ich dies für ein großes Unglück halten. Die 'Schätze' sind die 'Drei Schätze' [von Lǎozĭ Kap. 67.2.]." [* Wáng Bě / Wagner p. 357].
12-13 "Darum
werden, wenn Truppen
aufgestellt werden, aufeinander zu treffen, jene mit Mitleid [für einander]
gewinnen.
'Aufgestellt' bedeutet 'vorwärts
bringen'. 'Treffen' bedeutet 'konfrontieren'. Jene mit Mitleid werden sich
notwendigerweise umeinander kümmern und werden nicht nach Beute hetzen und
Härten ausweichen. Deshalb werden sie zwangsläufig "gewinnen". [**].
________________
* Der Kommentar von Wáng
Bě zu Lǎozĭ
30.4 lautet: "[Dinge]
erledigen" ist wie "Ordnung bringen". [Der obige Satz] bedeutet: jemand, der gut
darin ist, Truppen zu benutzen, wird sich einfach darauf konzentrieren, Ordnung
in Schwierigkeiten zu bringen, und das ist es, aber er wird nicht durch
militärische Gewalt gewalttätige [Herrschaft] in aller Welt verhängen."
** "Das
gleiche Argument wird in Wáng
Bě's Komm.
zu Lǎozĭ
67.6 gemacht." [*
Wagner 2003 p. 491].
[
70 - Nur Wenige sind auserwählt
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
吾言甚易知、甚易行。
wú yán shčn yě zhī 、shčn yě háng 。
天下莫能知、莫能行。
tiān xiŕ mň néng zhī 、mň néng háng 。
言有宗、事有君。
yán yǒu zōng 、shě yǒu jūn 。
夫唯無知,是以我不知。
fū wéi wú zhī ,shě yǐ wǒ bú zhī 。
知我者希,則我者貴。
zhī wǒ zhě xī ,zé wǒ zhě guě 。
是以聖人被褐懷玉。
shě yǐ shčng rén bči hč huái yů 。
"Der Unscheinbare trägt die Kostbarkeit in sich und nur ein kleiner Kreis Verstehender weiß darum. Sie verehren ihn." [Simon p. 70].
"Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht, mit hörenden Ohren hören sie nicht, denn sie verstehen es nicht." [Matthäus 13, 13].
01-04:
Meine Worte sind sehr leicht zu verstehen,
sehr leicht zu befolgen, doch
niemand auf der Welt kann sie verstehen,
keiner kann sie befolgen.
01-02 "Es
ist möglich, [seine Worte] zu verstehen, ohne ins Freie zu gehen" und [ohne]
"aus dem Fenster zu schauen" [wie Lǎozĭ
in 47.1 über
das Verständnis von der Welt sagt]: '[Meine Worte] sind sehr leicht zu
verstehen'!"
"Ohne dass er auf sie [die anderen Wesenheiten] einwirkt, wird er [der Weise]
vollendet" [wie Lǎozĭ
47.4 sagt].
[*]
Darum sagt [der Text]: "[Meine Worte] sind sehr leicht in die Praxis
umzusetzen'!' (vgl. Kap.
49).
[*
Wáng Bě / Wagner].
03-04 "[Die
anderen] werden von Aufregung und Wünschen getäuscht; deshalb sagt [der Text]:
'Niemand kann [meine Worte] verstehen'!
[Die anderen] werden durch Ruhm und Profit in die Irre geführt; darum sagt [der
Text]: 'Niemand ist in der Lage, [meine Tätigkeiten] in die Tat umzusetzen'! [**] [*].
05-10:
Meine Worte folgen Regeln,
meine Taten einem Regler.
Denn nur ohne Verständnis,
darum werde ich nicht verstanden.
Ich werde selten verstanden,
gerade dementsprechend werde ich geschätzt.
05-08 "Dies
liegt daran, dass seine Worte den Grundsatz haben und seine Aktivitäten den
Herrscher haben."
Darum können Menschen mit Verständnis ihn nicht verkennen." [*].
09-10 "Insofern
ich [er] bis ganz zum Ende die Tiefe beschreite,
wie es Xici
7.8.a9 über
den Weisen sagt, gibt es nur wenige von denen, die mich verstehen. Je weniger es
gibt, von denen, die mich verstehen, umso mehr werde ich auch ohne Gleichen
sein. Darum sagt [der Text]:
'Je weniger es von denen gibt, die mich verstehen, desto mehr bin ich geehrt!'"
[*].
11-12:
Darum tragen Weise grobe
Kleidung,
im Busen aber ein Juwel.
11-12 "'Er
trägt grobes Tuch' ist identisch mit [dem was Lǎozĭ
sagt in ch.
56.06 über den weisen Herrscher, ebenso in 41 über
den weisen Herrscher, und in 4.01 über den Weg,
nämlich] 'er schließt sich in den gleichen Staub mit ihnen [die anderen
Entitäten].'
'Er trägt ein Stück Jade in seinem Busen' bedeutet, dass er seine wahre [Natur]
schätzt. Der Grund, warum der Weise schwer zu verstehen sei, ist, dass er sich
in den gleichen Staub einmischt, aber nicht auffällt, dass er ein Stück Jade in
seinem Busen trägt, es aber nicht zeigen lässt. Darum ist er schwer zu
verstehen, aber geehrt!" [*].
Daoistisches Wissen und Verständnis ist nicht enzyklopädisch, sondern voller "Sensibilität gegenüber minimalen Differenzen, die es erlauben, seismographisch Veränderungen wahrzunehmen und zu nutzen (solange sie klein sind)." [Kalinke p. 130]. (Kap. 47, 52, 64).
___________________________
* Vgl. Kap. 47; see Wagner, 2003 p. 491].
** Nahezu wörtlich wie Wáng Bě's Kommentar zu Lǎozĭ 20.09.-11.: "Die vulgären Gelehrten werden durch Schönheit und Beförderung betört, durch Ruhm und Gewinne verzaubert." [Wagner, The Craft of a Chinese Commentator, p. 128].
[
71 - Illusion und Weisheit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
知不知上,不知知病。
zhī bú zhī shŕng ,bú zhī zhī běng 。
夫唯病病,是以不病。
fū wéi běng běng ,shě yǐ bú běng 。
聖人不病,以其病病。
shčng rén bú běng ,yǐ qí běng běng 。
夫唯病病,是以不病。
fū wéi běng běng ,shě yǐ bú běng 。
[ "Der Spruch ist ein virtuoses Klang- und Sprachspiel um die Begriffe 知 zhī 'wissen, erkennen' und 病běng* 'krank', hier als Mangel gefasst." [Simon p. 71]. [* 'Versagen, Fehler'].
[ Das Nicht-Begehren zu begehren, aber auch das Nicht-Wissen zu wissen, ist zugleich das Höchste und Rückkehr zum Ursprung. [vgl. Ellen Chen 1989 p. 216].
[ 病 běng in modernen Chinesisch für Krankheit führt zu einer Blockade des Qi. "In diesem Fall ist die epistemische Krankheit die Blockade des Zugangs zur unmittelbaren Erfahrung" [Ames & Hall p. 189].
01-04:
„Ich weiß, dass ich nichts weiß" –
das höchste.
Nicht wissen, (nicht) zu wissen
–
ein Mangel:
denn nur die Ermangelung dieses Mangels
ist somit kein Mangel.
„Ich weiß, dass ich nichts weiß" –
das höchste.
Nicht wissen, (nicht) zu wissen
–
ein Fehler:
denn nur das Fehlen dieses Fehlers
ist somit kein Fehler.
[ "Es ist eine Tatsache, dass nur [ein Herrscher,] der Probleme als Probleme (an-)erkennt [verursacht durch die Anwendung von Wissen, welches man meiden sollte], wird daher keine Probleme erfahren. [* Wáng Bě / Wagner].
[ "Das
Erkennen hat "das Unbedingte und Unbegränzte [sic!] nur, sofern es im
Verhältnis zu ihm seine Bedingtheit und Begränztheit [sic!], d.h. sein
Nicht-Erkennen erkennt;
was um deswillen das Höchste ist, weil es das Erkennen der absoluten
Überschwänglichkeit seines Objects in sich schliesst.
Auch das sokratische Wissen des Nichtwissens hat nur so seine grosse Bedeutung
..." [** v. Strauß 1870 p. 312].
[ "Die
Fischfalle ist, wie du den Fisch fängst. Den Fisch gefangen, vergiss die Falle.
Die Schlinge ist, wie du den Hasen fängst. Nachdem du den Hasen gefangen hast,
vergiss die Schlinge.
Worte sind, wie du Sinn einfängst. Nachdem du die Bedeutung verstanden hast,
vergiss die Worte. Wo finde ich jemanden, der die Worte vergessen hat, damit ich
mit ihm sprechen kann?" [莊子 Zhuāngzǐ (369-286 v.
Chr.)].
01-02 "Wenn
[ein Herrscher] weiß, dass [er] nicht [Wissen] nutzen sollte, wird er
geschätzt.
Wenn [ein Herrscher] nicht weiß, dass Wissen [nicht zur
Anwendung geeignet] ist, wird er in Schwierigkeiten geraten." [*
Wáng Bě / Wagner].
03-04 "Es ist eine Tatsache, dass nur [ein Herrscher], der Schwierigkeiten als Schwierigkeiten erkennt [verursacht durch die Anwendung des Wissens, das man vermeiden sollte], daher keine Schwierigkeiten haben wird." [*].
Oder: "Wenn Einen nur diese 'Krankheit kränkt', d.h. wenn er nur den anormalen Zustand als solchen fühlt und begreift, so tritt er 'dadurch' über ihn hinaus; er ist insofern nicht krank." [**].
"Unser Leben ist begrenzt, Wissen (differenzierendes Wissen) aber ist unbegrenzt. Mit unserem begrenzten Leben Grenzenlosem (den grenzenlosen Möglichkeiten differenzierender Erkenntnis) nachzujagen, ist gefährlich. Wer aber dies erkannt hat und sich dennoch um Wissen müht, begibt sich in noch größere Gefahren." [莊子 Zhuāngzǐ].
05-07:
Weise Menschen werden nicht mangelhaft:
wegen dieser Ermangelung dieses Mangels,
darum werden sie nicht mangelhaft.
Weise Menschen werden nicht fehlerhaft:
wegen dieses Fehlens dieses Fehlers,
darum werden sie nicht fehlerhaft.
05-07 "Der
Weise hat keine Probleme,
weil er Schwierigkeiten als
solche erkennt [in diesem Sinne]. Deshalb hat er keine Probleme.
Er, der "die Schwierigkeiten
als Schwierigkeiten erkennt",
begreift den Grund, aus dem Schwierigkeiten entstehen
[nämlich die Anwendung von Wissen in der Regierung]." [*].
[
72 - Wahre Autorität
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
民不畏威,則大威至。
mín bú wči wēi ,zé dŕ wēi zhě 。
無狎其所居,無厭其所生。
wú xiá qí suǒ jū ,wú yŕn qí suǒ shēng 。
夫唯不厭,是以不厭。
fū wéi bú yŕn ,shě yǐ bú yŕn 。
是以聖人自知不自見。
shě yǐ shčng rén zě zhī bú zě jiŕn 。
自愛不自貴。
zě ŕi bú zě guě 。
故去彼取此。
gů qů bǐ qǔ cǐ 。
[ Die Lebensformen des Volkes sind zu achten, es darf nicht unterdrückt werden. Der Herrscher sollte jedweden Personenkult weder anstreben noch auch nur akzeptieren.
[ Nach Chen Guying [1984 p. 333] eine Warnung an den Herrschenden, nicht zu harsche Machtmittel einzusetzen.
[ Das Kapitel leitet auch eine Diskussion des Strafrechts und der Todesstrafe in den beiden folgenden Kapiteln ein.
01-06:
Fürchtet das Volk die Autoritäten nicht mehr,
dann kommt die Große Autorität.
Ohne Einengung sei ihr Platz zum Wohnen,
ohne Unterdrückung ihr Raum zum Leben:
denn nur nicht unterdrückt
sind sie darum nicht bedrückt!
01-02 "Wenn [der Herrscher] seine Reinheit und Gelassenheit verlässt (Lǎozĭ 15) und seine Aufregungen und Begehrlichkeiten auslebt, lässt er seine Bescheidenheit fallen und sein 'sich selbst [in den] Hintergrund stellen' (Lǎozĭ 07 + 67) und wendet seine Autorität und Macht an, dann werden die anderen Wesen Schwierigkeiten machen und die Menschen werden böse werden.
Sobald [seine] Autorität nicht [mehr] in der Lage ist, die Kontrolle über die Menschen zu erlangen, und die Menschen [einmal] nicht mehr in der Lage sind seine Autorität zu ertragen, sind Hoch und Tief in großem Aufruhr: Die Todesstrafe des Himmels [für die Herrscher] wird kommen. "[* Wáng Bě / Wagner].
03-04 "'Ohne
Rücksichtslosigkeit zu sein, ist es, was ihn [den Herrscher] ruhen lässt', 'ohne
Unterdrückung zu sein, macht, dass [der Herrscher] sein Leben besitzt [bewahrt]'
bedeutet, dass er definitiv nicht die Macht [seines] Amtes anwenden sollte."
Wáng
Bě erklärte
dies zusätzlich durch: 'Reinheit' und 'Gelassenheit' (Lǎozĭ
15.4)
und [damit] 'ohne Einmischung', (Lǎozĭ
2.2), Lǎozĭ
ruft 'Ruhe haben'.
Bescheiden sein und 'seine Person als Herrscher' in den Hintergrund stellen (Lǎozĭ
7.2 und 67)
[und damit] 'nicht auffüllen' (Lǎozĭ
15.6 ff.),
nennt [Lǎozĭ
] 'Leben haben'." [*].
05-06 "Das heißt, dass er selbst nicht unterdrückt. Da er sich selbst nicht unterdrückt, wird es daher niemanden in aller Welt geben, ihn zu unterdrücken." [*] (Lǎozĭ 75, 80).
07-11:
Darum kennen weise Menschen sich selbst,
aber beachten sich nicht selbst.
Mit Selbstwertgefühl,
nicht jedoch Selbst-Überschätzung:
So lassen sie daher dies und wählen das.
07-08 "Er
zeigt nicht selbst, was er weiß, um das Verhalten innerhalb und außerhalb des
Amtes [von anderen] aufzuklären." [*].
"Laut Lǎozĭ
58.10 erleuchtet
der Weiser 'aber erforscht nicht' 方而不割,
was von Wang
Bi kommentiert
wird: 'Durch Erleuchtung klärt er auf, was sie [die Menschen] getäuscht hat,
aber er klärt nicht durch Mittel seiner Erleuchtung die geheimen Verstecke
[des Volkes] auf. Das ist es, was [in Lǎozĭ
41.3] gesagt
wird: 'Es ist des Weisen Weg der Erleuchtung, nachgerade dunkel zu sein.' [Wagner
2003 p. 493].
09-10 An der Macht unterliegt auch der Weise ständigen Verführungen, vor allem jener, seine macht zu missbrauchen. "Doch indem er um die subtilen Formen der Beschämung weiß, die von einem Autoritätsstatus ausgehen, kann er seine Autorität bewahren, ohne Hass zu erregen." [Kalinke p. 132].
"Würde er sich selbst erhöhen, wären die anderen Wesenheiten rücksichtslos und würden [seine] Ruhe und {sein] Leben unterdrücken." [*].
11 "Deshalb lehnt er letzteres ab und
behält ersteres bei."
[letzteres = 'eine Show veranstalten und sich selbst verherrlichen',
ersteres = sein eigenes Wissen und die Liebe zu sich selbst]. [*].
"Nur wenn sie zentriert auf die Menschen sind, können diejenigen, die mit der Regierung betraut sind, die Autorität ausüben, um die richtige Ordnung in die Welt zu bringen. Wenn sich die Menschen misshandelt fühlen und sich von politisch Verantwortlichen lösen, sind die Tage des gegenwärtigen Regimes gezählt, und die politische Veränderung steht bevor." [Ames & Hall p. 191].
[
73 - Stille Siege
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
勇於敢則殺。
yǒng yú gǎn zé shā 。
勇於不敢則活。
yǒng yú bú gǎn zé huó 。
此兩者或利或害。
cǐ liǎng zhě huň lě huň hŕi 。
天之所惡孰知其故。
tiān zhī suǒ č shú zhī qí gů 。
是以聖人猶 難之 天之道不爭而善勝。
shě yǐ shčng rén yóu nán zhī tiān zhī dŕo bú zhēng ér shŕn shčng 。
不言而善應。
bú yán ér shŕn yīng 。
不召而自來。
bú zhŕo ér zě lái 。
繟然而善謀。
chán rán ér shŕn móu 。
天網恢恢疏而不失。
tiān wǎng huī huī shū ér bú shī 。
Die weiteren Ratschläge an den (weisen) Herrscher bleiben der
Maxime der Sanftheit und der Nicht-Intervention treu:
"Herrschen ohne Aggression, Überzeugung ohne Rede, Legitimation des Herrschers
qua Gefolgschaft, Ataraxie ohne Planlosigkeit." [Simon p.
224].
01-03:
Mut zum Wagnis lässt töten,
Mut nicht zu wagen lässt leben –
diese beiden mögen nützen oder schaden.
01 (Wagemutige ...): "Er wird notwendigerweise 'nicht zu seinem natürlichen Tod kommen' (wie Lǎozĭ in 42.3 über 'Gewalttätige und Brutale' sagt)." [*].
02 (Nicht Wagemutige ...): Notwendigerweise wird er sein [ihm beschiedenes] Leben vollenden." [* Wáng Bě / Wagner].
03 "Beide
sind Mut, aber was sie bewirken, ist unterschiedlich.
Sie unterscheiden sich hinsichtlich profitieren und schaden."
[*].
"Den Tod zu verhängen ist ein Wagniss [sic!]; was man dabei wagt, wagt man nicht wenn man begnadiget; aber zu Beiden gehört Muth, denn man nimmt dabei immer eine große Verantwortlichkeit auf sich." [** v. Strauß 1870 p. 318].
04-06:
Des Himmels Abneigung:
Wer wüsste eigentlich seine Gründe?
Darum finden sogar Weise dies schwierig.
04-05 "Das heißt: "Wer kann die Absichten des Himmels verstehen? Nur der Weise."
06 "Es ist eine Tatsache, dass, wenn bereits die Einsicht des Weisen 'den Mut zu wagen' als 'schwierig' ansieht, 'um wie viel mehr [wird das der Fall sein] für jene, denen die Einsicht des Weisen fehlt, aber die wünschen, die [zwei Aussagen in Text 1 und 2], [was daraus folgt], in die Praxis umzusetzen: 'Schon [der Weise] hält es für schwierig'!" [*].
07-10:
Des Himmels
Weg:
nicht wetteifern,
doch bestens siegen,
nicht reden,
doch gut antworten,
nicht rufen,
doch von selbst zulassen.
Gelassen so,
sicherlich,
doch bestens planen.
07 "[Wie Lǎozĭ in 22.7 über den Weisen sagt] "Es ist eine Tatsache, dass nur, weil er nicht kämpft, niemand in aller Welt in der Lage ist, mit ihm zu kämpfen." [*].
08 "Das Befolgen [seiner Lehren] bringt Glück, von ihnen abweichen, Unglück [gemeint in] 'nicht sprechen, aber immer noch gut darin, befolgt zu werden." [*].
09 "Wenn er sich in eine niedrige [Stelle] positioniert, werden sich die anderen Wesenheiten von selbst fügen." [*].
10 "Wie
[Xici
7.10a1, sagt, dass der Himmel] Bilder herabhängen
lässt und Glück und Unglück zeigt' ['und der Weise imitiert sie'], richtet er
eine Warnung ein, bevor etwas passiert ist.
[Wie Xici 8.5.a3 sagt
über den Ehrenmann] "Während er in Sicherheit [in seiner Position] ist, vergisst
er nicht die [Bedrohung der]
Gefahr' und [, wie Lǎozĭ
über den Weisen
Herrscher in 64.1 sagt],
während 'es noch keine Anzeichen einer Gefahr für sein Leben gibt,
'trifft er Vorsichtsmaßnahmen. Darum
sagt [der Text] 'sich behaglich fühlen, doch immer noch gut darin,
Vorsichtsmaßnahmen zu treffen." [*].
11-12:
Des Himmels Netz: sehr breit geknüpft,
weitmaschig und doch undurchlässig.
11-12 "Das Netz des Himmels ist weit [seine Maschen], aber nichts geht verloren." [*].
Viele Deutungen sind hier möglich und umgesetzt
worden, von der Unentrinnbarkeit des Schuldigen vor der allumschließenden
Strafgewalt (des Herrschers oder gar des Himmels) bis zur Natur als Himmelsnetz,
die alles Sein umfasst und sich nicht beherrschen lässt, aber ein Vorbild für
den Menschen und seine Handlungen sein sollte.
"Das Tao der Natur ist intelligent und mächtig. Es verwirklicht seinen Plan
ohne Mühe, und es antwortet auf potenziell destabilisierende Extreme mit
unabänderlicher Präzision." [Wing].
Das Modell von 天 tiān, Heaven: "Echte Stärke bringt Flexibilität, echte Weisheit bringt Unsicherheit und echte Ausdauer bringt Geduld mit sich. So ist auch echter Mut nur dann am wirksamsten, wenn er durch Klugheit gemildert wird." [Ames & Hall].
[
74 - Tod und Tödlichkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
民不畏死,奈何以死懼之。
mín bú wči sǐ ,nŕi hé yǐ sǐ jů zhī 。
若使民常畏死,而為奇者,
ruň shǐ mín cháng wči sǐ ,ér wéi qí zhě ,
吾得執而殺之,孰敢。
wú dé zhí ér shā zhī ,shú gǎn 。
常有司殺者殺。
cháng yǒu sī shā zhě shā 。
夫代司殺者殺,是謂代大匠斲。
fū dŕi sī shā zhě shā ,shě wči dŕi dŕ jiŕng zhuó 。
夫代大匠斲者,希有不傷其手矣。
fū dŕi dŕ jiŕng zhuó zhě ,xī yǒu bú shāng qí shǒu yǐ 。
[ Tod und Todesstrafe werden in ihrer Wirkung oder Nichtwirkung und bezüglich ihrer Durchführung diskutiert.
[ Die letzte Legitimation des Lebensendes obliegt dem Großen Zimmermann, einer mächtigen Versinnbildlichung des Dŕo.
[ "Die Todesstrafe stelle einen Eingriff in das, was so ist wie es ist 自然 zě rán (hier: das Menschenleben) dar, der sich bitter rächen werde [Simon p. 74].
[ "Wer den himmlischen Todes(boten) verdrängen will, verliert seine Prinzipien." [Héshŕng Gōng 河上公 / Erkes 1958 p. 126, 242].
01-06:
Leute, die den Tod nicht fürchten,
wie könnte man ihnen mit dem Tod drohen?
Ließe man Leute ständig
den Tod fürchten,
und Übeltäter –
würde ich sie aufspüren und ergreifen ...
aber sie hinrichten –
er wagte das?
"Seltsames und ungewöhnliches [Handeln], um die wahre [Essenz] zu verwirren, nennt [Lǎozĭ] 'Freveltaten begehen." [* Wáng Bě / Wagner].
01-02 "... wie könnten sie sich vor [der Bedrohung] des Todes fürchten?" [*].
"Die Erfahrung lehrt, wie bei solchen Zuständen die Gleichgültigkeit gegen den Tod um sich greifen kann, zugleich aber auch die Verbrechen zunehmen, weil dann der tod [sic!], den das Gesetz androht und der Richter verhängt, kein Schreckmittel mehr für das Volk ist." [** v. Strauß 1870 p. 321].
03-06 "Und selbst wenn den Menschen ständig Angst vor dem Tod machen könnte, und einer [, das heißt, ein Herrscher, persönlich] wäre in der Lage, jene, die Freveltaten begehen, zur Hinrichtung zu übergeben, wer würde es wagen [diese Hinrichtungen durchzuführen]? [Niemand]." [*].
'Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.' [Johannes 8:7].
Anmerkung: 吾 wú kann, wie hier, als 'eins' behandelt werden und tritt bei klassischen Autoren wie
Mčngzĭ und anderen auf. [s. * Wagner 2003 p. 494].
07-11:
Stets gab es
amtliche Vollstrecker
zum Hinrichten.
Doch sie zu ersetzen zum Vollstrecken,
hieße den Grossen Zimmermann
als unseren Schnitter zu ersetzen.
Doch wahrlich: Ersetzten sie
den Großen Zimmermann als Schnitter,
wohl selten hatten sie nicht
ihre Hände verletzt!
07 "[Niemand, weil] es immer [Leute] gibt, die Hinrichtungen handhaben, die die Ausführung besorgen." [*].
08-09 "Es ist jedoch eine Tatsache, dass [die Leute], welche die Hinrichtungen durchführen, bei der Ausübung zu ersetzen, hieße, den 'Großen Zimmermann' beim Hacken [des Holzes] zu ersetzen." [*].
10-11 "Es
ist eine Tatsache, dass nur wenige unter denen, die den Großen Zimmermann beim
Hacken ersetzen, mit ihren Händen unverletzt davonkommen werden.
Diejenigen, die Abweichungen begehen, werden von denen, die entlang gehen,
gehasst und verachtet werden; jene, die nicht menschenfreundlich sind, werden
von denjenigen gehasst werden, die menschlich sind [und diese anderen Leute
werden die Hinrichtung solcher
Schurken automatisch handhaben]. [*].
"Nach taoistischer Auffassung ist die Tötung eines Menschen – ob es nun innerhalb oder außerhalb des Gesetzes erfolgt – ein unnatürlicher Akt, der letztendlich die Sozialstruktur zerstört. Ebenso wird der Führer sich selbst schaden, wenn er sich eine Machtbefugnis anmaßt, die weder in ihm selbst noch in der Organisaion verankert ist.
Alle Gesetze, Restriktionen oder Strafen, die das natürliche Wachstum und die unabhängige Entfaltung des menschlichen Bewusstseins hemmen, werden sowohl die Organisation wie auch ihre Führer vernichten." [Wing].
[
75 - Steuerrevolten
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
民之饑以其上食稅之多,是以饑。
mín zhī qí yǐ qí shŕng shí shuě zhī duō ,shě yǐ qí 。
民之難治以其上之有為,是以難治。
mín zhī nán zhě yǐ qí shŕng zhī yǒu wéi ,shě yǐ nán zhě 。
民之輕死以其求生之厚,是以輕死。
mín zhī qīng sǐ yǐ qí qiú shēng zhī hňu ,shě yǐ qīng sǐ 。
夫唯無以生為者,是賢於貴生。
fū wéi wú yǐ shēng wéi zhě ,shě xián yú guě shēng 。
[ "Die Ausbeutung und Bedrückung des Volkes sind eine besondere Art des zielgerichteten Eingreifens seitens der Herrschenden ...
[ Der Text analysiert, ohne zur Rebellion aufzurufen, aber er macht den Ausgebeuteten insofern Mut, als er ihnen nahelegt, die Bedeutung ihrer Existenz wahrzunehmen: Es gibt kein unwürdiges Leben." [Simon p. 75].
01-06:
Das Volk hungert,
denn seine
Obrigkeiten
verschlingen Getreidesteuern zuhauf …,
somit hungert es.
Das Volk ist schwer zu leiten,
weil seine
Obrigkeiten
eingreifend handeln –
somit ist es schwer zu leiten.
01-03 "Dass die Leute die Ernte nicht einsammeln, liegt daran, dass ihre Herrscher zu viel Getreidesteuer verzehren."
Hinweis: 饑 jī hier: Die Ursachen der Hungersnot mehr als die Hungersnot selbst! [s. * Wagner p. 495].
"Die Regierenden selbst, die Oberen, sind schuld an dem Hunger
des Volks; sie nehmen ihm zuviel an Abgaben weg, um selbst damit in Üppigkeit zu
leben.
Da die Abgaben großenteils in Naturalien und Bodenerzeugnissen bestanden, so
mußte ihre Übersteigerung in den schon damals zahlreichen Bevölkerungen sofort
Mangel hervorrufen, und der Ausdruck, daß die Abgaben verzehrt, eigentlich
'gegessen' würden, ist daher passend" [** v. Strauß 1870
p. 324-325].]
04-06 "Darum bringen sie nicht die Ernte ein! Dass Menschen schwer zu regieren sind, liegt daran, dass ihre Herrscher Einmischung praktizieren. Darum also ist es schwer, sie zu regieren!" [* Wáng Bě / Wagner].
07-11:
Das Volk nimmt den Tod leicht,
da die Herrscher nach Lebensfülle eifern –
so nimmt es den Tod leicht.
Denn gerade ohne
hinzuarbeiten auf das Leben,
dies ist würdiger als
die Wertschätzung des Lebens.
07-09 "Die Menschen nehmen den Tod leicht, weil sie die Dringlichkeit der Suche nach Leben betonen. Umgekehrt, wenn jene droben das Nicht-Handeln praktizieren, erlauben sie den Menschen, auf natürliche Weise zu leben, und sind so würdige Vorbilder für das Leben." [Cheng p. 217].
"[Kurz gesagt]: dass Menschen den Tod leicht nehmen, liegt an dem Streben ihres Herrschers nach der Fülle des Lebens. Deshalb nehmen sie den Tod leicht." [*].
10-11 "Es
ist eine Tatsache, dass nur die Abwesenheit von Wertschätzung des Lebens mehr
wert ist als die Wertschätzung des Lebens.
Das bedeutet: Wodurch Menschen böse werden und Ordnung in Chaos verwandelt
wird, basiert ausschließlich auf dem Herrscher [seinem Verhalten] und nicht auf
[dem derer]
da unten. Die Leute folgen [nur] dem Präzedenzfall des Herrschers."
Anmerkung: Zweifel
sind zum Ausdruck gebracht worden, ob dieses Kapitel von Lǎozĭ
selbst geschrieben wurde. [s. Wagner
p. 495].
[
76 - Zarte Kräfte
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
人之生也柔弱,其死也堅強。
rén zhī shēng yě róu ruň ,qí sǐ yě jiān qiáng 。
草木之生也柔脆,其死也枯槁。
cǎo mů zhī shēng yě róu cuě ,qí sǐ yě kū gǎo 。
故堅強者死之徒,柔弱者生之徒。
gů jiān qiáng zhě sǐ zhī tú ,róu ruň zhě shēng zhī tú 。
是以兵強則滅,木強則折。
shě yǐ bīng qiáng zé mič ,mů qiáng zé shé 。
強大處下,柔弱處上。
qiáng dŕ chů xiŕ ,róu ruň chů shŕng 。
[ Im
dialektischen Stil des frühen Daoismus werden die Zyklen des menschlichen Lebens
und der gesamten Natur durch antagonistische Wortpaare dargelegt.
Dabei sind das Sanfte, Geschmeidige, Weiche naturgemäß Repräsentanten des
Lebens, das Heftige, Starre, Harte jene des Todes.
[ "Das
Keimhafte ist näher der Entwicklung, und das Ausgereifte ist näher der
Vereinzelung."
In einem einseitigen Bilde von der Wirklichkeit übersieht man "... die
verborgenen Möglichkeiten, die im Keimhaften und in den Andeutungen und
Unwägbarkeiten enthalten sind."
Unscheinbar und unbeachtet stecken in ihnen "... jene Strukturen, die für die
Zukunft wesentlich sind und die daher im Gegensatz zu ihrem Erscheinungsbild
einen höheren Rang als das bereits Erstarrte einnehmen solten. [Braunsperger
p. 320] Vgl. Kap. 10, 20, 36, 43, 55; 72-75.
01-06:
Menschen bei ihrer Geburt: weich, schwach,
aber in ihrem Tod hart und stark.
Abertausend
Lebewesen, ob Kraut, ob Baum,
sind bei ihrer Geburt weich und zart,
in ihrem Tod aber trocken und verdorrt.
Somit sind Härte und Stärke
Gefährten des Todes,
Weichheit und Schwäche
Gefährten des Lebens.
01-02 "Wenn Menschen leben, sind sie geschmeidig und weich; wenn Menschen tot sind, sind sie hart und von heftiger [Starre]." [* Wáng Bě / Wagner].
Anmerkung: Der Begriff qiáng 強 bezeichnet Gewalt im Sinne von sowohl aggressiv als auch unnachgiebig. Es wird in diesem Kapitel in beiderlei Sinn verwendet: für die Toten ist der Aspekt die unnachgiebige Strenge; weiter unten für das Militär ist es die aggressive Gewalt." [Wagner S. 495].
03-04 "Wenn die zehntausend Lebewesen, die Gräser und Bäume leben, sind sie geschmeidig und zart; wenn ... sie tot sind, sind sie trocken und verwelkt." [*].
05-06 "Deshalb sind Härte und heftige Starre die Begleiter des Todes, Geschmeidigkeit und Weichheit sind die Begleiter des Lebens." [*].
07-10:
So: Armeen unbeugsam, dann siegen sie nicht.
Sind Bäume unbiegsam, dann zerbrechen sie.
Starre und Größe bleiben unterlegen,
Weichheit und Sanftmut überlegen.
"Wo ein Heer im blossen Vertrauen auf seine Stärke rücksichtslos in den Krieg
zieht, da ist diess bereits die Anzeige, dass es unterliegen wird.
Wo ein Baum bereits die volle Stärke seines Wachsthums [sic!] erreicht
hat, das ist diess ein Zeichen, dass er bald fällt." [**
v. Strauß 1870 p. 328].
07 "Jemand,
der von gewalttätigem militärischen Handeln [Gebrauch macht], um seine Hegemonie
aller Welt aufzuzwingen, wird von den anderen Wesenheiten verachtet werden.
Deshalb wird er notwendigerweise nicht [sein natürliches] Ende erreichen." [*].
08 "Dieses
[Brechen] wird an [dem 'Baum'] von den anderen Entitäten ausgeführt." [*].
"Wie ein Heer, das geschlagen, wie ein Baum, der gefällt wird, wie das Ausgelebte, das dem Tode entgegen zu Boden sinkt, gehören sie hinunter, müssen unterliegen, sind untauglich zum königlichen Herrschen und werden vergeblich streben, sich oben zu erhalten oder wieder emporzukommen." [**].
09-10 "... nur wer auch als reifer Mensch Zartheit und Schwäche bewahrt, kann sich, schwimmenden Gegenständen auf dem Wasser gleich, oben halten." [Kalinke p. 135].
"Darum nimmt das harte und heftige Starre seinen Platz unten ein – das bezieht sich auf die Wurzel des Baumes – und das Geschmeidige und Weiche nimmt seinen Platz darüber ein – das bezieht sich auf die Zweige und Äste." [*].
"Weich und
Schwach im edlem Sinne bezeichnet die grossherzige [sic!] Milde und Hingebung
dessen, der sich selbst vergessen und voll quellenden Gemüthslebens das Wol und
Heil Aller als das seinige fühlt und ansieht, der darin sein Leben, wie immer
wieder von vorn beginnend, segenreich auswirkt und stetig weiter entfaltet.
Diess ist das königliche Gemüth, recht dazu beschaffen um oben um Obrigkeit zu
seyn und in seiner Höhe zu beharren." [**].
[
77 - Der Weg der Natur
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
天之道其猶張弓與。
tiān zhī dŕo qí yóu zhāng gōng yǔ 。
高者抑之,下者舉之。
gāo zhě yě zhī ,xiŕ zhě jǔ zhī 。
有餘者損之,不足者補之。
yǒu yú zhě sǔn zhī ,bú zú zhě bǔ zhī 。
天之道,損有餘而補不足。
tiān zhī dŕo ,sǔn yǒu yú ér bǔ bú zú 。
人之道,則不然,損不足以奉有餘。
rén zhī dŕo ,zé bú rán ,sǔn bú zú yǐ fčng yǒu yú 。
孰能有餘以奉天下,唯有道者。
shú néng yǒu yú yǐ fčng tiān xiŕ ,wéi yǒu dŕo zhě 。
是以聖人為而不恃,功成而不處。
shě yǐ shčng rén wéi ér bú shě ,gōng chéng ér bú chů 。
其不欲見賢邪!
qí bú yů jiŕn xián xié !
[ Nicht am Dŕo orientierte Herrscher nehmen den Armen und geben den Reichen, Ellen M. Chen fühlt sich an den 'Geist des Kapitalismus' und die 'protestantische Ethik' erinnert. [1989 p. 224].
[ "Der Wegfall der Instinkte und die starre Steuerung durch Traditionen läßt bestimmte Richtungen bis zur Maßlosigkeit aufschaukeln ... (wie Ober- und Unterschicht)". [Braunsperger p. 233].
[ Das Dŕo, wie die Metapher des "Bogenspanners" (in anderen alten Texten in Verwendung und naheliegend im Alten China) gleicht aus – worauf sich Geheimgesellschaften in der chinesichen Geschichte bezogen [nach Simon 234-235].
01-06:
Der Weg des Himmels gleicht
dem Bogen spannen, nicht wahr?
Hohes zieht er herunter,
Niedriges hebt er empor,
Überfluss zu begrenzen,
Ungenügendes zu ergänzen.
01-02 oder: ... wahrlich wie jemand, der eine Bogen spannt!
03-06 "Was hoch ist [an einem Bogen], drückt er nieder, was unten ist, erhebt er], Mit anderen Worten], was zu viel hat, mindert er, was mangelhaft ist, ergänzt er." [* Wáng Bě / Wagner].
07-08:
Das Dŕo des
Himmels
begrenzt also Überfluss
und ergänzt
Ungenügendes!
07-08 "Während der Weg des Himmels [also] den Überschuss reduziert, indem er den Mangel ergänzt ...] [*].
"Der Bogenspanner 'erniedrigt das Hohe und hebt
das Untere' ... Das tertium
comparationis ist
aber die Ausgleichung des Ungleichen, dort in der Lage der Bogenenden, hier in
der Vertheilung der Güter; jene werden durch das Spannen des Bogens, diese durch
das Verfahren des Himmels einander angenähert.
Ein ähnlicher Gedanke bei ähnlicher Verbindung findet sich 1.
Sam. 2, 7. 'Jahweh macht arm und macht
reich, er erniediget und erhöhet.' ... Der Himmel nimmt denen, die zuviel haben,
und giebt denen, die zu wenig haben." [**
v. Strauß 1870 p. 331].
09-12:
Der Weg des Menschen ist jedoch anders:
Er begrenzt Ungenügendes,
dabei dem Überfluss darbietend.
Wer kann Überfluss besitzen,
um es aller Welt darzubieten?
Nur Dŕo-Befolger.
09 "... das
gilt nicht für den Weg der Männer.
Nur [ein Mann, der ein Weiser ist], welcher '[mit seiner] Fassungskraft in
Übereinstimmung mit [derjenigen von] Himmel und Erde' in der Lage ist, 'sie zu
umfassen' [Himmel und Erde (Lǎozĭ
5.2 + 17.1)] wie der Weg des
Himmels ...
Wenn welche [nur] die Maßnahmen eines Menschen haben, so
wie jeder von ihnen seine [individuelle] Person besitzt, können sie es nicht
schaffen, sich gegenseitig gerecht zu beherrschen.
Nur jemand ohne eine [individuelle] Person, der seine
privaten [Interessen] beseitigt hat, bildet [sein]
Das-was-ist-von-selbst-was-es-ist-wird dann in der Tat in der Lage sein, [mit
seiner] Fassungskraft in Übereinstimmung zu sein mit [jener von] Himmel und
Erde." [*].
10 "[Der Weg des Menschen] reduziert das, was [schon] mangelhaft ist, indem er das hervorbringt, was [bereits] Übermaß hat. [*].
11-12 "Was ist [schließlich allein] in der Lage, den Überschuss zu reduzieren, indem man das hervorbringt, was in aller Welt mangelhaft ist? Nur [der] Weg! [*].
13-15:
Darum: weise Männer handeln,
verlassen sich aber nicht darauf,
sie vervollständigen,
ohne darauf zu verweilen,
Sie wollen nicht überlegen erscheinen.
Der
'heilige Mensch' 聖人 shčng
rén hat und tut Dŕo,
und er weiß, dass er Verdienstliches duch Dŕo tut, daher 'stützt er sich nicht
darauf' und 'verweilt nicht':
"Solch Verfahren kann nur aus rechter Weisheit, 賢
xián,
sittlich-geistiger Bedeutsamkeit, hervorgehen, allein er verfährt so nur
geradehin weil er Tŕo hat, nicht um seine Weisheit sehn zu lassen, nicht damit
er sich 'weise weise' ..." [**].
"Er verdient Verdienste, beansprucht aber kein Ansehen, weil er kein Begehren kennt, für seinen Wert zu werben." [Cheng p. 221].
13-15 "Darum ...
[ handelt der Weise, aber maßt sich nicht an [den anderen Wesen gegenüber]; und [seine besonderen] Errungenschaften kommen zustande, ohne dass er [sich darin] festgelegt hat, dies liegt daran, dass er seine Fähigkeiten nicht zeigen wollte.
[ Dies bedeutet: Was kann im Überfluss weilen, aber [seine] Leere intakt halten, reduziert das, was ergänzt werden soll, was nicht "mit [der anderen Wesen] Glanz vermischt" ist und "verbindet sich in demselben Staub" [mit ihnen] [wie Lǎozĭ in 4.1, 56.5 und 56.6 über den Weg und den Weisen schreibt] und ist [undefinierbar] ausgedehnt und herrscht gerecht – nur der Weg!
[ Darum wünscht der Weise nicht, seine Fähigkeiten zur Schau zu stellen, um alle Welt gerecht zu beherrschen." [*; Wagner S. 496]. (Vgl. Kap. 55, 56, 04, 77, 02).
[
78 - Die Weisheit des Wassers
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
天下莫柔弱於水。
tiān xiŕ mň róu ruň yú shuǐ 。
而攻堅強者,莫之能勝,以其無以易之。
ér gōng jiān qiáng zhě ,mň zhī néng shčng ,yǐ qí wú yǐ yě zhī 。
弱之勝強。柔之勝剛。
ruň zhī shčng qiáng 。róu zhī shčng gāng 。
天下莫不知莫能行。
tiān xiŕ mň bú zhī mň néng háng 。
是以聖人云,受國之垢是謂社稷主。
shě yǐ shčng rén yún ,shňu guó zhī gňu shě wči shč jě zhǔ 。
受國不祥是為天下王。
shňu guó bú xiáng shě wéi tiān xiŕ wáng 。
正言若反。
zhčng yán ruň fǎn 。
[ Wasser, geschmeidig und stark, ist unübertrefflich.
Die Einheit der Gegensätze in sich selbst verkörpernd, dass das scheinbar Schwache das Starke überwindet – jene Maxime, der leicht verständlich ist, doch niemand befolgen kann.[ Nur der weise Herrscher, der selbst Schande und Unglück seines Reiches als persönliche Verantwortung annimmt, ist würdig, geschmeidig und stark, sanft und nachhaltig zu leiten.
[ Paradoxie ist die ursprünglichste, strengste Form der Wahrheit.
01-04:
Nichts ist weltweit
weicher und schwächer als
Wasser,
und doch:
im Angriff auf Festes und Starkes
ist keines imstande, es zu übertreffen,
denn diese haben nichts,
es entsprechend zu ersetzen.
01-04 "Nichts in aller Welt ist geschmeidiger und weicher
als Wasser, aber für einen [Herrscher], der das Feste und heftig Starre angreift, ist
nichts in der Lage, [diese Eigenschaften] zu übertreffen. [Wenn er] mittels
seiner [Eigenschaften] [handelt], wird es nichts geben, womit er verändert
werden könnte.
'Mittels' bedeutet 'Gebrauch machen von.' "Es" bezieht sich auf das Wasser.
Diese [ganze Passage] bedeutet: Wenn [ein Herrscher] von der Geschmeidigkeit und
Weichheit des Wassers Gebrauch machen würde, gäbe es kein anderes Wesen, das ihn
verändern könnten." [* Wáng Bě / Wagner]. (Vgl. Kap.
13, 17, 78).
05-08:
Schwaches besiegt Starkes,
Weiches bezwingt Hartes.
Weltweit ist niemand,
der es nicht wüsste,
doch niemand kann danach handeln.
05-06 "Dass das Geschmeidige das Harte überwindet und das Weiche das heftig Starre, ist in aller Welt bekannt." [*].
Vgl. "Wenn ich schwach bin, so bin ich stark." [2.
Korinther 12,10];
"Die Sanftmüthigen werden das Erdreich besitzen." [Matthäus
5,5].
07-08 "Aber niemand kann dies in die Praxis umsetzen." [*].
"Thut man aber nicht, was man als das Richtige erkennt, so muss
ein sittliches Hindernis unfähig machen, das Erkannte auszuüben:
es fehlt die Demuth, welche mild, die selbstlose Liebe,
welche hingebend macht." [** nach v.
Strauß 1870 p. 334].
09-13:
Darum, der Spruch der Weisen:
„Wer gerne des Reiches Schande trägt,
heißt 'Herr des Schreines und Ackers';
wer des Reiches Unglück trägt,
heißt 'König aller Welt'.“
09-13 Darum
heißt es in den Aussagen des Weisen: "Nur wer
die Erniedrigung des Staates auf sich nimmt, nenne ich des
Landes Herrn der Altäre;
[nur] wer das Unglück des Staates auf sich nimmt, den nenne ich den König aller
Welt." [*].
Anmerkung: auch 'Kornschrein': vom Feudalherrn in archaischer Zeit der Fruchtbarkeit der Erde geweiht, zuweilen mit Erde aus der Hauptstadt des Reiches; 社稷 shč jě (Gott des) Landes und der Feldfrüchte / (von) Erde und Geistern.
Unter Vorrecht des Kaisers werden alljährlich zur Sonnenwende
dem Geist der Erde Opfer [(Rispen-) Hirse] dargebracht, laut Konfuzius letztlich
dem 'Höchsten Herrn' 上帝 Shŕng
dě.
Als Stellvertreter seinen Volkes soll der Kaiser selbst tragen, "... was durch
des Volkes Verirrungen und Sünden den Staat bedeckt", es sich "in demüthiger
Herablassung sich selber auferlegt" [**].
14:
Wahre Worte klingen sinnverkehrt ...
14 "Wahre Worte erscheinen paradox." [*] "Dies ist die Sprache der strengen Wahrheit, obwohl es paradox erscheint." [Chalmers].
Mehr als alles andere symbolisiert Wasser (weich und hart, schwach und stark) am besten den linguistischen Aspekt der Einheit der Gegensätze, die Untrennbarkeit der Gegensätze: alte Wörter haben oft beide gegensätzliche Bedeutungen (wie lateinisch: altus), als Teil der Evolution, hier der Sprache (s. englische Beispiele in Ames & Hall p. 198):
terrific (bad + good),
prodigious (marvelous + ominous),
enormity (immense + horrendous),
awful (unpleasant + inspiring).
grandios (schlecht + gut),
erstaunlich (wunderbar + ominös),
Ungeheuerlichkeit (immens + horrend),
schrecklich (unangenehm + inspirierend).
[
79 - Segen der Verträglichkeit
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
和大怨必有餘怨。
hé dŕ yuŕn bě yǒu yú yuŕn 。
安可以為善。
ān kě yǐ wéi shŕn 。
是以聖人執左契,而不責於人。
shě yǐ shčng rén zhí zuǒ qě ,ér bú zé yú rén 。
有德司契,無德司徹。
yǒu dé sī qě ,wú dé sī chč 。
天道無親常與善人。
tiān dŕo wú qīn cháng yǔ shŕn rén 。
[ Groll kann versöhnt, ihre Ursache aber nicht ungeschehen gemacht werden.
[ Verträge wurden konkret z.B. auf 'Kerbholz'-artige Bambusstäbchen geschrieben, die linke Seite für den Gläubiger, die rechte für den Schuldner. Der Weise, der 'heilige Mensch', schließlich der Herrscher im Geiste des Dŕo können mittels ihres uneingeschrnkten Dé wenn nötig beide Seiten übernehmen, auf Eintreibung des Anspruchs verzichten.
[ Im höheren Sinne ist der Vertrag des Herrschers ein 'Mandat des Himmels': die Welt zu Natürlichkeit und ursprünglicher Gemeinsamkeit zu führen, zurück zu den Wurzeln, ohne Günstlinge, aber voller Güte gebend.
Anmerkung: 莊子 Zhuāngzǐ (369-286 BC) gibt in seinem 5-ten Kapitel Dé Chōng Fú 德充符 ('Zeichen für das Aufblühen der Wirkkraft') extreme Beispiele für "Character Satisfies the Tally" in seiner unnachahmlichen satirischen Form!
01-03:
Besänftigt großen Groll,
gibt es sicherlich noch Reste an Groll;
wie
könnte das entsprechend
dienen als
'(wieder) gut machen'?
Milde und Versöhnlichkeit überwinden Groll, doch dessen Ursache 'kann nicht nicht mehr sein'!
01-03 "[Selbst
nachdem jemand] einen großen Groll beigelegt hat, es wird zwangsläufig Groll
übrig bleiben.
Durch Unklarheit im Handhaben seines [eigenen Teils des] Vertrags wird ein
großer Groll [bei Nichterfüllung der Vertragsverpflichtungen durch die andere
Partei] herbeigeführt.
[Selbst wenn], einmal dieser [Groll] gekommen
ist, der Empfang / die Fassungskraft verwendet wird,
um ihn zu begleichen*,
kann der bereits angerichtete Schaden nicht ungeschehen gemacht werden, deshalb
[sagt der
Text] 'es werden notwendigerweise übrig gebliebene Ressentiments [in einem
selbst] sein '!
Wie kann ein solches Verfahren als gut angesehen werden? [kann es nicht]."
[* Wáng Bě / Wagner].
04-07:
Darum halten
Weise
die linke
Vertragsseite,
doch fordern nicht von anderen ein.
Mit Innerer Kraft
hält man Verträge ein,
ohne Innere Kraft
hält man Forderungen aufrecht.
Um die Ursachendes Groll zu löschen, vermag der 'heilige Mensch' notfalls beide Seiten der Vertragstafel zu übernehmen, d.h. auf seine berechtigte Forderung zu verzichten – durch die Innere Kraft seines uneingeschränkten Dč.
04-05 "Deshalb hält der Weise an dem 'linken Vertrag' fest [der die Forderung gegen einen Schuldner begründet und zur Rückzahlung vorgelegt wird] – [Durch Festhalten am] 'linken Vertrag' wird die Grundlage für Ressentiments [dadurch] blockiert, [dass sie nicht zur Zahlung vorgelegt werden] - und keine Zahlung vom anderen [Vertragspartner] fordert." [*].
06-07 "Wer also Fassungskraft besitzt, achtet folglich auf [seinen Teil des] Vertrages – Ein Mann mit Kapazität [der Weise] ist [nur] mit seinem [Teil des] Vertrages befasst. [So] lässt er nicht einen Groll entstehen und dann die Zahlung vom anderen einfordern.** – während derjenige, welcher ohne Kapazität ist, achtet darauf, heraus zu bekommen." [*].
08-09:
"Das himmlische Dŕo ist unparteiisch,
obschon es beständig den Guten gibt."
08-09 "Der Weg des Himmels ist ohne Parteilichkeit. Er gibt ständig den guten Leuten." ***
Da man Feinde nie ganz versöhnt, weil man sie
nicht zu guten Menschen machen kann, so kümmert der heilige Mensch sich nicht
weiter darum, ob sie ihm seine Gaben und Wolthaten [sic!] auch von Herzen
vergelten.
Er betrachtet diese als Verpflichtungen, die er zu erfüllen habe, fordert von
den Anderen nichts, und folgt darin dem Verfahren des Himmels, dass er Niemand
bevorzugt, gegen gute Menschen aber immer freigebig und wolthätig ist." [**
v. Strauß 1870 p. 338].
____________________
*"Dies
bezieht sich auf Laozi
3.2: 'In Bezug auf großen und
kleinen, viel und wenig [Groll], erwidert [er] für
den Groll durch seine / seine 'Empfang'
/ 'Kapazität'.
Wang Bi's
Kommentar: "Wenn es einen kleinen Groll gibt, lohnt es sich nicht, ihn zu
erwidern. Wenn es ein großer Groll ist, dann ist es ein Fall, in dem alle Welt
die Hinrichtung [des Übeltäters] wümscht.
[Sein] mit dem, welchem alle Welt zustimmt, ist der Empfang /
die Kapazität.
Mit anderen Worten: der Weise erwidert nicht." [*! =
Wagner S. 497].
** "Diese beiden Sätze wurden von Wang Bi als wichtig genug erachtet, um in das Kernprogramm des Laozi aufgenommen zu werden, wie in LZWZLL 2.44 dargelegt." [*!].
*** Die Sparsamkeit und teilweise schlechte Übertragung des Kommentars in das Kapitel machen eine extrapolative Lesart so gut wie unmöglich [*!].
[
80 - Vereinfache Dein Leben!
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
小國寡民。
xiǎo guó guǎ mín 。
使有什伯之器而不用。
shǐ yǒu shí bó zhī qě ér bú yňng 。
使民重死而不遠徙。
shǐ mín zhňng sǐ ér bú yuǎn xǐ 。
雖有舟輿無所乘之。
suī yǒu zhōu yú wú suǒ chéng zhī 。
雖有甲兵無所陳之。
suī yǒu jiǎ bīng wú suǒ chén zhī 。
使民復結繩而用之。
shǐ mín fů jié shéng ér yňng zhī 。
甘其食、美其服、
gān qí shí 、měi qí fú 、
安其居、樂其俗。
ān qí jū 、lč qí sú 。
鄰國相望,雞犬之聲相聞。
lín guó xiŕng wŕng ,jī quǎn zhī shēng xiŕng wén 。
民至老死不相往來。
mín zhě lǎo sǐ bú xiŕng wǎng lái 。
[ Das daoistische Utopia (vergangenheits-, nicht zukunftsorientiert!) eines schlichten, natürlich in kleinen, überschaubaren Einheiten lebenden glücklichen Völkchen – nach den Regeln der Weisheit, die aus Dŕo und Dé stam-men! (Kap. 31, 72, 74).
[ Eine milde Regierungsform vorausgesetzt, benötigt es niemand, in die Ferne zu schweifen, da die idyllische Heimat genügt, ohne übertriebene Sucht nach Steigerung des Lebens und Erlebens (die dann den Tod sogar mehr fürchten ließe).
[ Verteidigungswaffen für Notfälle bleiben ungenutzt, da der Herrscher keine Ruhmestaten mittels Angriffkriegen benötigt.
[ Die Rückkehr zu schlichten Bräuchen (das 'Knoten von Schnüren', "Quippu", auch als Schrift), schützen durch Heilige Einfalt vor dem Verfall der Sitten. Relativ autarke Dörfer mit zufriedenen Menschen erfüllen das daois-tische Regierungsziel.
[ Vgl. teilweise zitiert in 莊子 Zhuāngzǐ (369-286 BC), Kap. 10: Utopias sind nicht (vollständig) verwirklichbar, aber die Idee alleine vermag Stärke und einen Weg anbieten:
Laozi zeigte ein Idealbild auf, nicht "... damit es verwirklicht werden, sondern damit es als Kraft wirke, um das technische Vervollkomm-nungsstreben nicht allzu weit von der Natur abschweifen zu lassen." [Wilhelm 1928 p. 36].
01-11:
Kleinere Reiche, weniger Bewohner!
Lasst sie zig, ja hunderte Gerätschaften
zwar besitzen, doch nicht benötigen.
Lasst die Leute den Tod ernst nehmen,
und nicht in die Ferne schweifen.
Zwar haben sie Boote und Wagen:
keinen Anreiz aber, sie zu benutzen,
zwar haben sie Panzer und Waffen:
doch keinen Anlass, sie auszustellen.
Lasst die Menschen zurückkehren,
Schnüre Knüpfen
und sie verwenden auch.
01 "Wenn, obwohl der Staat klein war und überdies mit nur wenigen Leute, es möglich wäre, eine Rückkehr hebeizuführen zu [der Zeit in] der Antike [als Ordnung durch 'geknotete Schnüre' hergestellt wurde], um wie viel mehr würde das der Fall sein, wäre der Staat große und das Volk zahlreich? Darum erörtert [der Text] [die Rückkehr in die Antike], indem es den kleinen Staat als Beispiel nimmt." (* Wáng Bě / Wagner).
02-03 "Das heißt: Wenn Menschen bereits
dazu gebracht werden könnten, obwohl sie [militärische] Geräte besitzen [von]
zehn oder hundert Soldaten [gemeinsam benutzt zu wer-den], sie überhaupt nicht
zu benutzen,
um welchen Mangel würden sie sich dann (noch) sorgen? [Keiner]." [*].
04-05 "Die
Menschen könnten veranlasst werden, den Tod für wichtig zu halten und nicht weit
zu reisen.
[Das heißt] wenn die Leute dazu gebracht werden könnten, nur ihre Personen zu
schätzen und sich nicht nach Gütern zu sehnen, dann würden sie [wie Laozi weiter
unten sagt] 'an ihren Plätzen zufrieden sein', 'den Tod betrachten' [d.h. ihr Leben!]
(als) wichtig und nicht weit reisen.'"[*].
06-07 "[Das soll heißen, wenn sie angeregt werden könnten], obwohl sie Schiffe und Wagen hatten, sie absolut nicht zu besteigen." [*].
08-09 "Obwohl sie die Rüstung hatten, absolut nicht, um es zu ins Feld zu schicken." [*].
10-11 "[Kurz gesagt], wenn das Volk dazu angeregt werden könnte, zu den verknoteten Schnüren zurückzukehren [und nach Xici 8.3.a7 'in der Altertumskunst wurden geknotete Schnüre verwendet, um Ordnung herzustellen {s.o.!}] und diese zu nutzen, wäre dies der Inbegriff der höchsten sozialen Ordnung!"
Anmerkung: Wang Bi nahm zweifellos an, dass Laozi sich auf diese Passage in Xici bezog. [Wagner p. 498].
12-15:
Genussvoll sei ihre Speise,
schön ihre Kleidung,
friedlich ihr Wohnen,
fröhlich ihr Brauchtum.
12-15 "Die Leute würden dann ihr Essen genießen und fänden Freude an ihrer Kleidung, ihren [örtlichen] Sitten, und zufrieden in ihrer Heimstätte sein." [*].
"Ein Leben lebt am meisten in der
Unmittelbarkeit und Konkretheit der gewöhnli-chen Erfahrung. ...
Was auch immer die Versuchungen zu Reichtum und Größe sind, die uns von diesen
Beziehungen [die uns spezifisch in Zeit und Raum lokalisieren] abziehen, solche
Ablenkun-gen von dem, was wir wirklich sind, dienen nur dazu, unsere
Gelegenheiten zum Konsum-genuss zu verringern." [Ames
& Hall S. 203].
16-19:
Nachbargemeinden mögen
einander erblicken,
der Hähne und Hunde Laute
beiderseits hören.
Doch die Menschen
erreichten Alter und Tod,
ohne jemals einander
besuchen zu gehen.
16-19 "Und,
[ [obwohl] Nachbarstaaten in Sichtweite zueinander wären
[ und könnten die Geräusche der Hähne und Hunde der anderen hören,
[ die Leute würden bis zu ihrem Alter und Tod nie miteinander kommunizieren [durch Handel oder Krieg].
[ Sie hätten nichts, was sie begehren oder sich ersehnen." [*].
[
81 - Wahre Worte
Wáng Bě 王弼 (226–249):
hŕnyǔ pīnyīn
信言不美。美言不信。
xěn yán bú měi 。měi yán bú xěn 。
善者不辯。辯者不善。
shŕn zhě bú biŕn 。biŕn zhě bú shŕn 。
知者不博。博者不知。
zhī zhě bú bó 。bó zhě bú zhī 。
聖人不積。既以為人己愈有。
shčng rén bú jī 。jě yǐ wéi rén jǐ yů yǒu 。
既以與人己愈多。
jě yǐ yǔ rén jǐ yů duō 。
天之道利而不害。
tiān zhī dŕo lě ér bú hŕi 。
聖人之道為而不爭。
shčng rén zhī dŕo wéi ér bú zhēng 。
In drei eleganten Kurzparadoxien bringt der 'Alte Meister', 老子 Lǎo Zĭ, zum Ende noch einmal drei elementare Fallen im menschlichen Denken selbst auf den Punkt:
[ die Wahrheit durch Gefälligkeit zu verunreinigen,
[ die einfache Wahrheit durch Quantität im Disput zu verlieren,
[ die Tiefe der Erkenntnis der Breite bloßen Wissens zu opfern.
Von alledem unverblendet steht vielmehr das Geben anstelle sinnlosen Anhäufens im Zentrum eines Lebens in Dŕo und Dé: dem Weg des Himmels folgend:
wohltun, nicht schaden,
wirken, nicht wettstreiten.
01-02:
Wahre Worte sind nicht schön,
schöne Worte sind nicht wahr.
01-02 "Glaubwürdige Worte
sind nicht geschönt.
Das Wesentliche liegt in der [schmucklosen] Substanz.
Geschönte Worte
sind nicht glaubwürdig."
[*
Wáng Bě / Wagner].
Wahre Worte sind nicht süßlich, lieblich, gefällig, angenehm - gefällige Worte sind nicht wahr.
信 xěn Treue,
Vertrauen: in der chinesischen Ethik ein verhaltensnahes Basiswort, entscheidend
auch für das Verhältnis zwischen Herrscher und Volk (s. auch in Kap.
08, 17, 21, 38, 49, 63).
03-06:
Gute zerreden nicht,
Zerredende sind nicht gut.
Wissende sind nicht hochgelehrt,
Hochgelehrte nicht wissend.
03-04 "Wer gut ist, redekünstelt nicht; wer redekünstelt, ist nicht gut.
"Wer gut ist, redet die Wahrheit, und das Bewusstseyn,
dass diese die Menschen nicht anmuthet, kann ihn nicht veranlassen, listig
sophistisirend [sic!] den Leuten nahc dem Munde zu reden.
Vielmehr wer diess thut, ist nicht sittlich gut, ihm mangelt der ernste
sittliche Untergrund." [** v. Strauß 1870 p. 344].
05-06 "Jemand, der [wirklich] kenntnisreich ist, ist nicht allgemein [gelehrt], jemand, der weitgehend [gelehrt] ist, ist nicht [wirklich] kenntnisreich. Die Wurzel liegt im Ungeschönten." [*].
"Wer erkennt, ist kein Vielwisser; wer
Vielwisser ist, erkennt nicht."
博 bó: "Einer,
der vieles gesehen, gehört und nicht erkannt.
Einen Solchen, dessen Wissen nur in die Breite und nicht in die Tiefe wahrer
Erkenntnisse geht, nennen wir 'Vielwisser'." 河上公 Héshŕng
Gōng. [**].
07-09:
Weise Menschen häufen nichts an:
Je mehr sie so für andere
tun,
desto mehr besitzen sie selbst,
je mehr sie anderen geben,
desto mehr gehört ihnen selbst im Überfluss.
07-09 Mit 'anhäufen' sind vornehmlich geistig-sittliche Güter gemeint, die man "auch nicht als einen todten Schatz aufhäufen soll, sondern dann erst wahrhaft besitzt, wenn man sie für Andere verwendet, und die dann erst viel oder mehr werden (tō), wenn man sie Andren giebt." [**].
[ Jemand,
der wirklich geht, geht nicht in Quantität hinein. ‚Das Absolute ist in dem
Einen.‘
Jemand,
der auf Quantität Wert legt, tut nichts Gutes. Deshalb ist der Weise ohne
Anhäufung!
[ "Ohne
Eigeninteressen zu haben, besitzt er [Dinge] spontan; er tut nichts, als dem
Guten zu geben und stellt sich einfach in den Dienst anderer Wesenheiten.
Weil er für andere
handelt, hat er selbst mehr. Das bedeutet, er wird von den anderen Entitäten
geehrt.
Wenn wir also anderen etwas geben, wird es mehr mit ihm geben. Das heißt, er
ist derjenige, dem sich die anderen Wesenheiten fügen." [*].
[ "Ein
Weiser will nicht nur Erkennen oder nur handeln, er will sich selbst als
Geistwesen verwirklichen, indem er Erkennen und Handeln verbindet.
Darum geht es ihm nicht darum, Besitz oder Ansehen anzusammeln, da dies nur
Äußerliches ist.
Er schwendet und verschenkt sich vielmehr und nimmt dadurch selbst in seiner
inneren Substanz zu, auf die es schließlich allein ankommt." [Braunsperger
p. 244-245].
10-11:
Des Himmels Weg:
wohltun und nicht schaden,
des
Weisen Weg:
wirken und nicht (wett-) streiten.
10-11 "Es ist der Weg des Himmels, nützlich und nicht schädlich zu sein. In seiner Bewegung erzeugt und vervollkommnet er ständig [und schadet] ihnen [den Entitäten] nie." [*].
Es ist der Weg des Weisen, zu handeln, aber nicht zu streiten. Er passt sich dem Nutzen des Himmels an und wird andere [Wesenheiten] nicht verletzt.
"Des
Himmels Taň (Taň im
Himmel)
[ thut
wol, und beschädiget nicht; des heiligen Menschen Taň (Taň im heiligen Menschen)
thut, und streitet nicht.
[ Wird dem Himmel Wolthun und Nicht- Wehethun zugeschrieben, so weiset das Thun des heiligen Menschen in dem folgenden Parallelsatze hierauf zurück, da, wie Héshŕng Gōng erinnert, das was der Himmel thut des Heiligen Vorbild und Gesetz ist.
[ Er bestreitet Niemanden etwas, – denn seine Polemik und Apologetik besteht lediglich in Thun und Seyn.
[ Der Zweck dieses Ausspruchs dürfte seyn, dass auch Laň-tsč ... verfahren haben wolle, wie der heilige Mensch verfährt , und dass er dem Leser zum Schluss andeuten wollte: Gehe hin und thue desgleichen.“ [**].
[
Literatur:
Dŕodéjīng 道德經 ~ -400) by → 老子 Lǎozĭ.
Fů Yě 傅奕 (555−639) 574 / < -202.
Guōdiŕn 郭店 ~ -300.
Hán Fēizǐ 韓非子 (-280-233) ch. 20+21.
Héshŕng Gōng 河上公 > 100 .
Kǒng fū zǐ 孔夫子 (Konfuzius).
Lǎozĭ 老子~ -400: Dŕodéjīng 道德經.
Ličzǐ 列子 ~ -440-360, ~ -350.
Lún yǔ 論語 = Analects by 孔夫子 Kǒng fū zǐ (Konfuzius).
Mǎwángduī 馬王堆 A < -206.
Mǎwángduī 馬王堆 B < -179.
Wáng Bě 王弼 (226–249) < 250.
Yě Jīng 易經 (Book of Change) .
Zhuāngzǐ 莊子 (-369-286) .
=
道德經 Dŕodéjīng by 老子 Lǎozĭ.
傅奕 Fů Yě (-554−639 +574 / < -202 .
郭店 Guōdiŕn ~ -300.
韓非子 Hán Fēizǐ (-280-233).
河上公 Héshŕng Gōng > 100 .
孔夫子 Kǒng fū zǐ (Konfuzius).
老子 Lǎozĭ ~ -400: Dŕodéjīng 道德經.
列子 Ličzǐ ~ -440-360 ~ -350.
論語 Lún yǔ = Analects 孔夫子 Kǒng fū zǐ Konfuzius.
馬王堆 Mǎwángduī A < -206.
馬王堆 Mǎwángduī B < -179.
王弼 Wáng Bě (226–249) < 250.
易經 Yě Jīng (Book of Change) .
莊子 Zhuāngzǐ (-369-286) .
Abel-Rémusat, Jean-Pierre (P. VII des Mémoires de l'Académie des inscriptions et belles lettres), Imprimerie royale, Paris 1823. B) Le livre des récompenses et des peines, ouvrage taoďstes traduit du chinois avec der notes et des éclaircissements. Paris: A. – A. Renouard, 1816; Paris: Librairie Orientaliste Paul Geuthner, 1939 / 2 (Les Joyaux de l‘Orient, tome III) B) Mémoire sur la vie et les ouvrages de Lao-Tseu, philosophe Chinois du VI. sičcle avant notre čre, qui a professé les opinions communément attribuées ŕ Pythagore, ŕ Platon et ŕ leurs disciples. a) Vortrag 15. VI. 1823 in: Académie des inscriptions et belles lettres, tom. VII 1824. (Denkschriften) [auch: Rémusat's Mčlanges asiatiques, Sčrie I. , 1825-26].
Ames, Roger T. & David L. Hall Dao de Jing. A Philosophical Translation. “Making this life significant”. Featuring the recently discovered bamboo texts. Translated and with commentary. New York: A Ballantine Book. The Random House Publishing Group, (book + CD), Ballantine Books, 2003. 256 p. & Audio. .
Braunsperger Hubert 1992 Innere Geborgenheit durch Tao Te King. Dialog mit Laotse. Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien. 245 P.
Chan, Wing-tsit Chu Hsi's appraisal of Lao Tzu. In: Philosophy East and West, 25, 29, 1975, 131-144.
Chang,Tsungtung, 1982 Metaphysik, Erkenntnis und Praktische Philosophie im Chuang-Tzu. Zur Neu-Interpretation und systematischen Darstellung der klassischen chinesischen Philosophie Gebundene Ausgabe. Verlag: Vittorio Klostermann (1982).
Chan, Wing-tsit, The Way of Lao Tzu. 1963. [Lao Tzu], übersetzt von Günther Schwarz aus: Encyclopedia of Philosophy, New York, 1967 (p. 107-111).
Chen, Ellen Tao, Nature, Man: A Study of the Key Ideas in the Tao Te Ching, PhD dissertation, Fordham University, 1966.
Debon, Günther (1921-2005) Lao-Tse. Tao-Tę-King. Das Heilige Buch vom Weg und von der Tugend. Philipp Reclam jun. , Stuttgart 1961.
Duyvendak, Jan [Julius Lodewijk] Tao te ching. The Book of the Way and its Virtue. The Wisdom of the East Series. London: John Murray, 1954 → Lao Tzu, Tau-Te-Tsjing, Het boek van Weg en Deugd … Arnhem: 1942; Amsterdam: Uitgeverij De Driehoek, 1980: → Tao tö king, le livre de la voie et de la vertu: texte chinois tabli et traduit avec des notes critiques et une introduction. Paris: Adrien-Maisonneuve, 1953 ff.
Heidegger in "The Thing" Lǎozĭ's 11, [Philosophy of Technology, 2th lecture].
Kalinke Viktor Laozi. Daodejing. Band 1 : Eine Wiedergabe seines Deutungsspektrums. Text und Übersetzung / Zeichenlexikon Edition Erata, Leipzig 1999. 121 p. Band 2 Eine Erkundung seines Deutungsspektrums. Anmerkungen und Kommentare; Edition Erata, Leipzig 1999. 134 p. Band 3 Nichtstun als Handlungsmaxime. Zur Rationalität des Mystischen im Laozi, Edition Erata, Leipzig 2011, 204 p. .
Karlgren, Bernhard The poetical parts in Lao-tsϊ. In: Kina Antiken. Göteborgs högskolas arskrift, 38, 3, 1932, 1–45 Göteborg: Elander, 1932. (schwedisch); Svenska Bokförlaget, 1964 → Poesie des Laozi: wohl nur Kapitel 31, 42, 48, 49, 50, 61, 74, 75 im Original ungereimt. / poetry of the daodejing: in the original text, only chapters 31, 42, 48, 49, 50, 61, 74, 75 might have been unrhymed.
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